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27.09.03/ Dolmetscher berichtet Interna aus der Ära Hussein

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 27. September 2003


Vertrauter des Diktators
Dolmetscher berichtet Interna aus der Ära Hussein

Als die Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera am 6. September ein informatives Interview mit Saadoon Al-Zubaydi, dem langjährigen Dolmetscher Saddam Husseins, veröffentlichte, blieb der Inhalt außerhalb Italiens erstaunlicherweise weitgehend unbekannt. Einzige Ausnahme: das zornige Dementi des Kärntner Landeshauptmanns und FPÖ-Politikers Jörg Haider. Dieser stritt ab, von Saddam je Geld erhalten zu haben - wie das der einstige Dolmetscher am Ende des Gesprächs behauptet hatte. Da Al-Zubaydi aber viele beachtenswerte Details aus dem nahen Umfeld Saddam Husseins berichtete, hat die Preußische Allgemeine Zeitung die wichtigsten Aussagen zusammengefaßt.

von Carl Gustaf Ströhm

Saddam Husseins Dolmetscher Saadoon Al-Zubaydi war kein einfacher Dolmetscher, sondern ein hochrangiger Diplomat - er war unter anderem Botschafter des Irak in Indonesien - und Dozent für englische Literatur an der Universität Bagdad. Besonders war er mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Tarek Aziz verbunden, dem einzigen Christen in Saddams Führungsmannschaft.

Tarek Aziz hatte Al-Zubaydi 1984 überredet, die Universitätslaufbahn zu verlassen und in den diplomatischen Dienst des Irak einzutreten. In seinen Aufzeichnungen berichtet Al-Zubaydi, die beiden (inzwischen umgekommenen) Söhne Saddams, Uday und Qusay, hätten gemeinsam mit Geheimdiensten und dem Takrit-Clan einen "unbarmherzigen Krieg" gegen Aziz geführt. Dieser habe, wie man dem Corriere della Sera entnehmen kann, voller Furcht den Konflikt mit den USA kommen sehen und nicht daran gezweifelt, daß Saddam Hussein diesen Krieg verlieren würde.

Die wirkliche Macht im Irak sei in der letzten Zeit vor dem Krieg in den Händen des Außenministers (seit 2001) Naji Hadith, ferner des persönlichen Sekretärs von Saddam, Abd al-Hamoud und des "allgegenwärtigen" Chefs des Geheimdienstes "Mukhabarat", Taher Abdul Jalil al-Habboush, gewesen. Daneben natürlich noch in den Händen von "Sohn" Qusay und der beiden Vizepräsidenten Izzat Ibrahim und Taha Yassin Ramadan.

Obwohl Christ und nicht Moslem, gehörte Tarek Aziz während der sechziger Jahre zu den Gründungsvätern der Baath-Partei. Er gehörte auch nicht zu Saddam Husseins Stammes-Clan. Aber er wurde von allen anderen gehaßt und als "Schlange am Busen" bezeichnet.

Tarek Aziz' älterer Sohn Ziad sei im Jahre 2001 47 Tage lang eingekerkert worden - wegen angeblicher "Korruption". Das war eine Warnung der Militärs: deine Lieben sind unsere Geiseln. Hüte dich, Verrat zu üben oder zu versuchen, in den Westen zu fliehen. Wir werden deine ganze Familie umbringen, vor allem die beiden männlichen Kinder!

Auch nach Kriegsbeginn im Irak befürchtete er, seine Familie könne massakriert werden. Tarek Aziz hat sich am 24. April den Amerikanern gestellt - aber erst nachdem sicher war, daß die Flucht seiner Frau, der Söhne und einer Tochter nach Amman, der Hauptstadt Jordaniens, geglückt war. Erst danach fühlte er sich frei, mit den Amerikanern zu kollaborieren. Jedoch betont Al-Zubaydi, daß Tarek Aziz bis zuletzt ein "panarabischer Baath-Ideologe" geblieben sei.

Er habe die brutalen Aspekte der Diktatur nicht unterstützt. Er habe die korrupten und grausamen Methoden des Uday gefürchtet. Er habe sich vom Mukhabarat bespitzelt gefühlt. Dennoch sei er ein überzeugter Antiamerikaner geblieben, der stets die Meinung vertrat, die Araber müßten mit Europa eine gemeinsame Front gegen die neue Supermacht USA bilden.

Al-Zubaydi war von 1987 bis 1995 persönlicher Dolmetscher des Präsidenten - und zwar auch für die vertraulichsten Gespräche. Er kehrte auf diesen Posten nach Beendigung seines Aufenthalts als Botschafter in Djakarta zurück. Er war an der Seite Saddams, als Delegationen aus der ganzen Welt nach Bagdad kamen, um die Freilassung der ausländischen Geiseln zu erlangen. In dieser Eigenschaft nahm er an den delikatesten Begegnungen während des Golfkrieges teil.

Als im Mai 1987 eine irakische Rakete irrtümlich die amerikanische Korvette "Stark" traf und den Tod von 37 Matrosen verursachte, sei er aufgefordert worden, bei den Gesprächen Saddam Husseins mit dem Vizeminister des US-State Departments für den Nahen Osten, Richard Murphy, zu dolmetschen, berichtet Al-Zubaydi weiter. Wörtlich: "Ich erinnere mich an meine Überraschung, als ich bemerkte, daß es damals einen großangelegten Austausch von ‚intelligence' (Geheimdienstinformationen) zwischen Washington und Bagdad über den Krieg gegen den Iran gab."

Nach dem Ende des kalten Krieges stellte Saddam die "These von den sieben Polen" auf. Für ihn dominierten neben den USA, Rußland und China auch Indien, Japan und Frankreich als führende Macht Europas. Warum sollte für die arabische Welt nicht der Irak als Leuchtturm fungieren? Der Dolmetscher sagte: "Saddam konnte die Engländer nicht leiden, er konnte ihnen ihre koloniale Vergangenheit im Irak nicht verzeihen. Vor allem aber konnte er Margret Thatcher nicht ausstehen. Al-Zubaydi ist überzeugt, daß die "arroganten Töne" in einem von Frau Thatcher an Saddam gerichteten Brief, in welchem sie die sofortige Freilassung von Farzad Bazoft, eines britischen Journalisten iranischer Abstammung, verlangte, der wegen Spionage angeklagt war, das Gegenteil bewirkten: Sie führten zu seiner Hinrichtung am 15. März 1990.

Für Frankreich habe Saddam gefühlsmäßige Zuneigung empfunden, berichtet sein Dolmetscher der italienischen Zeitung. Saddam habe sich eingebildet, die Pariser Politik allein deshalb zu verstehen, weil er einmal anläßlich eines offiziellen Besuchs dort gewesen war und damals mit allen Ehren empfangen wurde. In Wirklichkeit habe er aber nichts begriffen. Er verstand nicht, daß Frankreich "vor allem daran interessiert war, seine Waffen zu verkaufen". In Wirklichkeit waren auch die Beziehungen zu Frank-reich nicht eitel Sonnenschein. Als Jacques Chirac ihn 1988 persönlich anrief, um die Freilassung einer bestimmten Anzahl iranischer Agenten aus irakischen Gefängnissen zu erwirken, zuckte Saddam nur mit den Achseln.

Was Italien betreffe, waren die Beziehungen beider Länder zueinander am Ende der achtziger Jahre am besten, als dort Mohammad Al-Sahaf (der spätere Informationsminister, der während des Krieges als "Comical Ali" bekannt wurde) Botschafter war. Aber weil Giulio Andreotti, der einer Gruppe von italienischen Geschäftsleuten mit starken Interessen im Iran nahestand, damals Außenminister war, seien die Beziehungen mit dem Irak vernachlässigt worden.

Von besonderem Interesse ist, was Saddams Dolmetscher über die früheren Beziehungen und Kontakte des irakischen Diktators zu den USA zu berichten weiß. Al-Zubaydi war bei allen Gesprächen anwesend, welche Saddam während dreier Jahre mit der US-Botschafterin April Glaspie führte. Wörtlich: "Ich kann mit Sicherheit bestätigen, daß den Amerikanern wirklich die Absicht mitgeteilt wurde, Kuwait anzugreifen - und die Antwort war schweigendes Einverständnis."

Noch Mitte Juli 1990 (die irakische Invasion in Kuwait begann am 2. August) habe das State Department ein Telegramm mit einer persönlichen Entschuldigung gegenüber dem Präsidenten geschickt. Anlaß war eine Sendung der "Stimme Amerikas" mit einer Kritik an der Diktatur der Baath-Partei. Am 25. Juli kam es zur letzten Begegnung zwischen Botschafterin Glaspie und Saddam. Er selber, berichtet Al-Zubaydi, sei ein persönlicher Freund von Joseph Wilson, der Nr. 2 in der US-Botschaft, gewesen. Wilson habe Saddam am 7. August zum letzten Mal gesehen, bevor er den Irak verließ. Wilson sei ein sehr guter Arabist gewesen, der fließend arabisch sprach. Aber auch Botschafterin Glaspie sei genau über die Situation unterrichtet gewesen. Die Amerikanerin überbrachte eine Botschaft des Präsidenten Bush senior an Saddam Hussein: "It's not US-policy to interfere into inter-Arab affairs." (Es ist nicht amerikanische Politik, sich in innerarabische Angelegenheiten einzumischen.)

Wenn es wirklich grünes Licht für einen amerikanischen Angriff gegeben hätte - wieso blieb dann US-Botschafterin Glaspie, die nicht verheiratet war und zusammen mit ihrer alten, kranken Mutter in Bagdad lebte, seelenruhig in der Stadt und wieso ließ sie ihr Programm unverändert, Bagdad am 26. Juli zwecks Ferien zu verlassen? Al-Zubaydi ist überzeugt, daß die Botschafterin "unsere Absicht begriffen hat, die Panzerdivisionen gegen Kuwait City in Marsch zu setzen, und warum sollte man dann nicht 24 Stunden später in Urlaub fahren?"

Später folgt Al-Zubaydi seinem Mentor Tarek Aziz und wendet seine Aufmerksamkeit der Diplomatie des Vatikans zu. Nach dem ersten Golfkrieg hatte sich der Irak in einen "Paria-Staat" verwandelt, der politischen und wirtschaftlichen Sanktionen unterworfen war. Die Bevölkerung verarmte immer mehr. Es mußte jetzt das erste Ziel sein, gegen die Isolierung zu kämpfen, den Verkauf des Erdöls auf dem freien Weltmarkt wieder aufzunehmen, das Embargo zu beenden. Man mußte Saddam in den Gängen des Präsidentenpalais von Bagdad davon überzeugen, der Außenpolitik größere Aufmersamkeit zu schenken. Saddam hatte bereits seit mehreren Jahren beschlossen, den in Bagdad akkreditierten Diplomaten nicht mehr persönlich zu begegnen, außer in Ausnahmefällen.

Tarek Aziz lud persönlich den va- tikanischen Kardinalstaatssekretär Achille Silvestrini nach Bagdad ein. Aber das Gespräch des vatikanischen Abgesandten mit Saddam erwies sich zum x-ten Mal als versäumte Gelegenheit. Al-Zubaydi beschreibt den Kardinalstaatssekretär Silvestrini als versierten Diplomaten, der dem Präsidenten nachdrücklich erklärte, er müsse sofort die von der Uno verhängten Bedingungen erfüllen, mit den Waffeninspektoren kooperieren. Er sprach auch von einer Öffnung des Irak gegenüber Israel. Wörtlich habe der Kardinalstaatssekretär dem Präsidenten gesagt: "Sehen Sie, zwischen uns (dem Vatikan) und den Israelis gibt es historische, sehr alte Gegensätze. Es gibt viele Streitpunkte: Jerusalem, die heiligen Stätten und die Art und Weise, wie die christliche Gemeinde behandelt wird. Und dennoch erhalten wir mit ihnen (den Israeli) volle diplomatische Beziehungen aufrecht, es gibt keinen anderen Ausweg, wenn man den Frieden im Nahen Osten will."

Aber Saddam habe das so interpretiert, als sei der Diplomat des Heiligen Stuhls gekommen, um sich als Vermittler anzubieten. In seiner Paranoia habe Saddam sogar den Verdacht gehabt, Silvestrini sei ein von Israel entsandter Agent. Er reagierte beleidigt und "sinnlos aggressiv". Als er, Al-Zubaydi, den Kardinalstaatssekretär im Auto zu seiner Unterkunft im Hotel "Rasheed" begleitete, versteckte Silvestrini nicht seine Enttäuschung. "Ihr Präsident täuscht sich, er täuscht sich sehr. Er muß sich ändern, sonst wird er große Tragödien für sich und sein Land verursachen", sagte der Kardinal zum Dolmetscher.

Dann habe Silvestrini ihn sorgenvoll angeblickt und hinzugefügt: "Mein junger Freund, mit diesem Präsidenten sind Sie und Ihre Familie in großer Gefahr!"

Al-Zubaydi spricht von einer für den (damaligen) Irak "verlorenen großen Gelegenheit" im Jahre 2000. Damals sei ein Besuch des Papstes, der die Zweitausendjahrfeier in Ur eröffnen wollte, welche als Geburtsstadt Abrahams gilt, möglich gewesen. Al-Zubaydi (damals Botschafter in Djakarta) schlug die Ab- haltung einer Konferenz mit einem Dialog der drei Religionen - Moslems, Christen und Juden - vor, woran auch UN-Generalsekretär Kofi Annan teilnehmen sollte.

Damals habe Kofi Annan ihm, Al-Zubaydi, gesagt: "Ihr Iraker wollt und wollt es nicht richtig begreifen. Seid ihr verrückt? Der Besuch des Papstes wäre ein Geschenk wie auf einem silbernen Teller gewesen, die wichtigste internationale Legi- timation, eine Möglichkeit, das Embargo anzuklagen, ein Todesstoß für die Isolation, die von Washington und London betrieben wurde. Und was macht ihr? Ihr versetzt ihm einen Fußtritt ohne jede Entschuldigung!"

Tarek Aziz habe damals einen resignierenden Seufzer ausgestoßen und Al-Zubaydi aufgefordert, einen "schönen Bericht mit allen Einzelheiten" für das Büro des Präsidenten und das Außenministerium zu schreiben. Auch Kofi Annans Worte solle er ausgiebig zitieren. Einige Wochen danach erhielt Al-Zubaydi eine Antwort von (Außenminister) Naji Sabri: er solle sich gefälligst nicht in Angelegenheiten einmischen, welche ihn nichts angingen. Der Botschafter wurde aus Djakarta abberufen, der Reisepaß wurde ihm weggenommen und er wurde vom Geheimdienst "Mukhabarat" verhört. Zum wiederholten Male versuchte man ihn zu kompromittieren, um Tarek Aziz zu treffen.

Doch seien dies die letzten Monate gewesen. Al-Zabaydi: "Unsere einzigen Freunde waren Personen vom Kaliber des Jörg Haider. Im Jahre 2002 hat er den Irak dreimal besucht." Und dann schließt Saddams Dolmetscher seinen Bericht im Corriere della Sera mit den Worten: "Wir verloren den Papst - und gewannen Haider. Ein schöner Tausch!"

Uday und Qusay bedrohten das Leben von Aziz und seiner Familie

Nahmen die USA Saddam Husseins Kuwait-Pläne 1990 stillschweigend hin?

Der Papstbesuch im Jahr 2000 hätte den Irak aus der Isolation geholt

Vergebliche Versuche zur friedlichen Einigung: Kofi Annan hoffte vor allem über Tarek Aziz Saddam Hussein zum Einlenken zu bewegen, doch der irakische Diktator blieb uneinsichtig. Foto: AP