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04.10.03 / Ein Beitritt der Türken würde die Europäische Union verändern und aus den Fugen heben

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 04. Oktober 2003


"Untergang des Abendlandes"
Ein Beitritt der Türken würde die Europäische Union verändern und aus den Fugen heben 
von Klaus Hornung

Die Türkei strebt nach dem Beitritt in die Europäische Union. Man sollte es sagen: "Die Türken stehen an der Pforte des christlichen Europa und zwingen die Politiker in allen Ländern Europas zu seltsamen Kunststücken in der Diplomatie, denn die Türken können Europa sprengen. Die politischen Führer Deutschlands scheinen wie schon der Ex-Kanzler Kohl für den Beitritt der Türken zu sein, um Europa ein multikulturelles Gesicht zu geben. Ist es übertriebene Toleranz oder Realitätsverlust? Will man die EU gar sabotieren oder denkt man in Selbstüberschätzung, die Türkei und die Türken europäisieren und christianisieren zu können? Steht also, wie Oswald Spengler schrieb, "Der Untergang des Abendlandes" kurz bevor?

Der Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan in Berlin Anfang September und die offenen Arme, die dort sein Drängen auf den EU-Beitritt seines Landes fand, zeigen, daß es in dieser Frage ernst zu werden beginnt. Die neue türkische Regierung, die sich ein fortschrittlich islamisches Mäntelchen umhängt, will den Beitritt auf Biegen oder Brechen. Ihr Drängen hat das Stadium des Bittens längst verlassen und ist in das des Forderns eingetreten. Die rot-grüne Regierung in Berlin sieht ihrerseits die einmalige Chance, ihrem Projekt der Ersetzung des deutschen Volkes durch eine multikulturelle Gesellschaft in Mitteleuropa einen entscheidenden Schritt näherzukommen.

Für die Türkei sind die Vorteile eines EU-Beitritts durchaus handfester Natur. Das Land befindet sich inmitten einer demographischen Revolution. Hatte es am Ende des Zweiten Weltkrieges noch kaum 40 Millionen Einwohner, so wird sich diese Zahl bald verdoppelt haben. Bei einem eventuellen EU-Beitritt in einigen Jahren dürften die Türken dann mit etwa 80 Millionen die Deutschen als größtes Volk in Europa überholt haben. Für dieses enorme Bevölkerungswachstum bietet es sich an, ein Ventil in Europa zu finden. Schon heute sind die Überweisungen der türkischen Arbeitnehmer aus dem Hochlohnland Deutschland in die Heimat ein Segen für die türkische Zahlungsbilanz. Ein reicher Finanzsegen aus Brüssel und der kontinuierliche Fluß des technischen Know-how würden dann dazukommen. Bis jetzt war die Herstellung eines leistungsfähigen modernen Staates in der Türkei an den egoistischen und korruptionsanfälligen Finanzinteressen der städtischen Oberschicht gescheitert. Die bisherigen Regierungen hatten beim wirtschaftlichen Aufbau des Landes jämmerlich versagt. Dies war die Stunde der neuen "Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei" (AKP) Erdogans, die bei den jüngsten Wahlen einen erdrutschartigen Sieg errang und in der Nationalversammlung die verfassungsändernde Mehrheit erreichte. Sie versteht sich als gemäßigt islamisch und als Anwalt der armen Massen in den weiten Provinzen. Der EU-Beitritt würde sie auch innenpolitisch unschlagbar machen. Operiert sie jetzt noch vorsichtig und pragmatisch, so stünde zu befürchten, daß sie dann sehr viel unverblümter agieren würde. Den Wahlsieg der AKP wird man heute schon als einen innenpolitischen Umschwung geschichtlichen Ausmaßes erkennen müssen, mit einem weitgehenden Austausch der Eliten. Auch die Armee als der bisherige Wahrer der kemalistisch-säkularen Türkei zeigt bereits deutliche ideologische Risse.

Erdogan hat sich in kurzer Zeit innen- wie außenpolitisch als überlegener Stratege mit einem robusten Machtwillen erwiesen. Er kennt offensichtlich die heutigen europäischen und vor allem deutschen Schwächen gut genug, insbesondere die neudeutsche Unart, in der Welt "everybodies darling" sein zu wollen, die eigenen Interessen hintanzustellen, um deutlich zu machen, daß man doch "die Lehren der Geschichte" begriffen habe, "weltoffen" und "demokratisch zuverlässig" sei. Dem türkischen Regierungschef ist als außereuropäischem Beobachter das Ausmaß des Mangels der heutigen Deutschen an historisch-politischem Bewußtsein, an kultureller und religiöser Verwurzelung nicht verborgen geblieben. In der rot-grünen Bundesregierung, Wortführer der Errichtung einer multikulturellen Gesellschaft in Mitteleuropa, kann er mit guten Gründen einen wichtigen Bundesgenossen zur Durchsetzung seiner Zukunftspläne erkennen.

Aus Erdogans Sicht gilt es, noch vor der nächsten Bundestagswahl 2006 mit Hilfe des Berliner Duos Nägel mit Köpfen und den türkischen Beitrittsprozeß unumkehrbar zu machen. Erdogan hat bei seinem Berliner Besuch deutlich werden lassen, daß er bereit ist, die zweieinhalb Millionen Türken in Deutschland als Aktivposten seiner Politik einzusetzen. Er hat ihnen geraten, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, die ja von Rot-Grün großzügig angeboten wird, und sich überhaupt zu "integrieren", also nach den deutschen Gesetzen zu richten und die deutsche Sprache zu lernen. Er hat aber zugleich hinzugefügt, daß "Integration" nicht zur "Assimilation" führen solle, die Türken also nicht "Deutsche" werden, sondern durchaus Türken bleiben sollten. Er hat sich auch nicht gescheut, sich in die deutsche Innenpolitik einzumischen und den Deutschen zu "raten", die Frage des Türkei-Beitritts nicht zum Thema des Wahlkampfs von 2006 werden zu lassen.

In jedem anderen Land hätte sich das Staatsvolk solches verbeten, nicht so im historisch-politisch schwächlichen Deutschland, das unter dem modischen Stichwort der "Fremdenfeindlichkeit" Ansatzpunkte bietet für eine politisch-psychologische Strategie der Art Erdogans. Aus taktischen Gründen hat sich der türkische Regierungschef mit den Kontakten zur türkischen "Islamischen Gemeinschaft Milli Görus" während seines Berlin- Besuchs zurückgehalten.

Tatsächlich pflegt er jedoch enge Beziehungen mit ihr und erhält aus ihren Reihen Lageberichte über die innenpolitische und psychologische Situation in Deutschland und seinen schwächlichen Rechtsstaat sowie über die Establishments in Politik, Parteien, Medien und Wirtschaft. Gerade die türkische Bevölkerung in Deutschland ist ja keineswegs auf dem Weg zur Integration. Wie die Kenner der Szene wissen, neigt insbesondere die dritte Einwanderungsgeneration zu "Ghettos" inmitten der deutschen Umwelt, die sich nach außen abschirmen und die deutsche Gesellschaft ob ihres Säkularismus und moralischer Schwäche aus islamischer Überzeugung verachten. Man braucht sich nicht nur auf Udo Ulfkottes Buch "Der Krieg in unseren Städten" zu beziehen, wo Milli Görus als "islamistischer Staat im deutschen Staat" charakterisiert wird. Tatsächlich sind die islamischen und türkischen Volksgruppen in Deutschland und Europa längst in die Funktion des Wählerpotentials bei nationalen Wahlen eingerückt. Die türkische Minderheit hat, wie alle Welt weiß, schon die letzte deutsche Bundestagswahl entschieden, als sie zu 80 Prozent Rot-Grün wählte. Sie hat längst begriffen, welche parteipolitischen Interessen in Deutschland ihr entgegenkommen, will doch die gegenwärtige Berliner Regierung durch die türkischen Wähler wie insgesamt durch ihre Einwanderungspolitik sich auf Dauer stabilisieren. Die Interessen-Kongruenz Schröder-Fischer-Erdogan ist hier perfekt. Und auch in Frankreich hat sich bei der Wiederwahl Chiracs die Funktion der islamischen Wähler als Veto-Gruppe deutlich gezeigt, indem sie Chiracs Sieg entschied. Später, so das Kalkül der islamistischen und türkischen Strategen, wenn man stark genug ist, wird man mit eigenen Parteien als Koalitionspartner dienen können. Das alles macht deutlich, daß hier ein weit über den Tag hinausreichendes geschichtliches Thema zur Diskussion steht, das eine öffentliche Debatte dringend erfordert und dies natürlich - wo denn sonst? - auch im nächsten Bundestagswahlkampf. Und man kann nur hoffen, daß die Unionsparteien in der Stunde der Entscheidung dann nicht wieder einknicken wie bei vielen Problemen zwischen Abtreibung und Zuwanderung. Die deutsche Schwäche besteht eben in einem Defizit an historischem Bewußtsein und damit an politischer Interessendefinition, sie besteht in dem Nicht-Wissen dessen, was gestern war und daher auch in dem Nicht-Fragen, was morgen sein kann oder sein wird. Umso eher haben dann Demagogen und Ideologen leichtes Spiel, aufkeimendes kritisches Bewußtsein zu betäuben und zu Illusionen zu verführen. Die Proklamation von Schröder-Fischer des angeblichen "deutschen Interesses" am türkischen EU-Beitritt anläßlich des Erdogan-Besuchs ist ein klassisches Beispiel solcher Verführung und Narkotisierung der Wähler.

Während in der deutschen politischen Klasse aus Mangel an historisch-politischem Bewußtsein langfristiges Denken und Handeln und das verantwortungsethische Abwägen der Folgen ohnehin einen Tiefstand erreicht hat, besteht die Überlegenheit der neuen türkischen Führungsschicht eben darin, daß sie über dieses Bewußtsein verfügt und dementsprechend ihre politische Strategie entfaltet. In Ankara und Istanbul kennt man die Geschichte, als die osmanischen Sultane den europäischen Südosten eroberten und mehrere Jahrhunderte lang beherrschten bis an die Alpen und vor die Tore Wiens, dessen Eroberung man zweimal nur knapp verfehlte (1529 und 1683). Es war verräterisch, daß Erdogan in Berlin davon sprach, daß die Türkei damals doch bereits eine "europäische Macht" gewesen sei, woran man beiderseits anknüpfen könne. Er nahm sogar das Wort vom "Zusammenstoß der Kulturen" auf, den man "umdrehen" könne in Richtung auf ein friedliches Zusammenleben der Kulturen in Europa. Das ist natürlich Musik in den Ohren deutscher und europäischer Friedensillusionisten. Die Idee ist aber auch geeignet, die neuartigen Strategien und Methoden zu verhüllen, die dieser modernen Expansion zugrunde liegen: Nicht mit Armeen und militärischer Gewalt, wohl aber durch eine demographische Offensive, die die Geschichts- und Identitätsschwäche der anderen Seite optimal auszunützen versteht, um Einfluß- und Landnahme zu erreichen. Und den geschichtslosen, individualistischen Konsumgesellschaften in Europa wird solcher Kulturkampf auf leisen Sohlen dann gar nicht sonderlich auffallen. Aus der Sicht der heutigen türkischen Führung könnte sich der EU-Beitritt der Türkei als größter außenpolitischer Erfolg dieses Landes seit Jahrhunderten erweisen.

Die EU hingegen könnte er auf Sicht eher zerreißen oder gar zerstören. Eine künftige Außengrenze der Union an den Grenzen Irans und Syriens, also der nah- und mittelöstlichen Krisenregion vom Mittelmeer bis nach Afghanistan könnte leicht dazu führen, daß sie schließlich ihre Erweiterung nach Westen in den Raum zwischen Anatolien und dem Atlantik findet. Es könnte aber auch leicht dazu kommen, daß die außereuropäischen Krisenräume "ansteckend" wirken.

Die Überdehnung der EU, die hier historisch und geopolitisch unerfahrene Ideologen riskieren, aber auch der nicht auszuschließende wirtschaftliche Niedergang Europas kann ein solches Szenario nicht einfach ausblenden. Schon die Aufnahme des europäischen Ostens und Südostens wird die ökonomischen Kräfte und die politischen Institutionen und Strukturen der EU bis an die Zerreißgrenze führen.

Im Falle der Türkei würde ein weiteres steiles ökonomisches Gefälle zwischen der EU und der Türkei hinzukommen. Und die Distanzen zwischen dem von Christentum und Aufklärung geprägten Europa und der vorderasiatischen und wieder zunehmend islamisch geprägten Türkei sind so gewaltig, daß der Beitritts- und europäische Erweite-rungsplan geradezu als mutwilliges Abenteuer erscheinen muß. Wie so oft bei solch vermeintlichen Großprojekten in der nahen Vergangenheit könnte auch diesmal hier wieder das historische Gesetz der ungewollten Wirkungen in Kraft treten: nicht die Stärkung, sondern die nachhaltige Schwächung der Europäischen Union, Europa nicht als Leuchtfeuer ökonomischen Wohlstandes und der Menschenrechte für die Türkei, sondern im Niedergang und als Opfer eines neuen und keineswegs friedlichen "Kampfes der Kulturen".

Schröder-Fischers Ziel: eine multikulture Geselllschaft in Europa Deutschlands Innenpolitik: "Brot und Spiele", Unstetigkeit statt historisch verbindlichen Bewusstseins

Die Aussenpolitik Ankaras bedeutet das Ende der Europäischen Union

Jetzt schon Alltag: Wie selbstverständlich haben sich türkische Eigenarten in den letzten Jahrzehnten in das deutsche Straßenbild eingefügt. Die einheimische Bevölkerung toleriert größtenteils die Tatsache, daß manche Stadtteile zu Klein-Istanbul mutieren. Sollte die Türkei Mitglied in der EU werden, kann man allerdings davon ausgehen, daß vermehrt junge, selbstbewußte Türken in Deutschland ihr Glück suchen werden. Foto: images.de