25.04.2024

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04.10.03 / Wenn die letzte Ähre fiel ...

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 04. Oktober 2003


Wenn die letzte Ähre fiel ...
Von Rose Marie v. Grumbkow

Seit Generationen war es Tradition, das Erntedankfest in der Wagenremise des herrschaftlichen Kutschstalles zu feiern. Welch ein Anblick, es war fast wie ein Gebet, wenn der schwere Erntewagen mit dem goldenen Korn sich über die weite Chaussee bewegte! Hoch oben thronte der Fahrer, und es galt als eine besondere Leistung, wenn das Korn nach keiner Seite leicht abkippte. Es konnten nicht alle laden, oft machten es Mädchen, wie etwa Bertha Preuss, die mit ihren stämmigen Armen die höchsten und korrektesten Wagen packte. Ein Stamm quer über das Ganze gelegt, hinten mit einer Kette festgezurrt, trug dazu bei, die Fuhre sicher zum Hof und in die Scheune kommen zu lassen.

Man konnte es absehen, wann das letzte Fuder eingefahren sein würde. Oft grollte schon der Augustdonner im Hintergrund, würde sich das Wetter halten - auch halten für die große Feier? Opapa fuhr am letzten Tag der Ernte noch einmal aufs Feld, da standen sie schon und warteten auf das "Fräulein", kamen mit einem Büschel Ähren am Halm und banden sie um den Arm des jungen "Fräuleins": "Ich tu' mich überwinden, das gnädige Fräulein zu binden ..." Ein paar Geldstücke wechselten den Besitzer, das stille Versprechen zur Erntefeier war gegeben.

Dann kam das große Ausräumen der Remise. Wohin mit den Kutschwagen, den Kaleschen, den russischen Schlitten, Klingelschlitten, dem Tafelwagen, dem Ponywagen? Aber irgendwo waren sie jedes Jahr verschwunden, buntes Papier mußte ran, Lampions, Papierblumen, Bänke an den Wänden entlang, ein großer Tisch aus zusammengesetzten Brettern in der Mitte. Ein Bock für die kommende Biertonne, Zapfhahn. Emmy backte endlose Streuselfladen, viele Frauen des Dorfes hatten sich Zutaten geholt und halfen in ihren eigenen Back-öfen die Kuchenmengen zu bewältigen. Kaffee, für später Brote mit Aufschnitt, Käse. Jedes Jahr gab es für die Kinder die große Streitfrage, wie lange darf aufgeblieben werden, dürfen wir an der Polonaise durch den Park teilnehmen, darf man die Musik und den Tanz noch sehen und hören? Ja, also, wenn der erste einen Rausch bekommt, gehen die jungen Kinder ins Bett. - Behütete Jugend, eingebettet in Liebe und Betulichkeit, Verantwortung, Schutz.

Über den Stunden vor dem Aufmarsch der Leute lag eine ungeheuere Spannung. Schon tagelang war von uns Kindern der Bau der Erntekrone in einer Scheune beobachtet worden, und jedes Jahr war man der Meinung, daß sie wesentlich schöner sei als im vergangenen Jahr. Flatternde bunte Bänder, alle Getreidesorten vereint.

Dann kamen sie, allen voran der Kämmerer, der Oberschweizer, Unterschweizer, Gespannknechte, Hofgänger, Mägde, die Frauen, Kinder. Vor der Terrasse hielt der Zug an, die Übergabe der Erntekrone an den Gutsherrn, ein langes Gedicht, von einer der Mägde aufgesagt, rotglühende Wangen, Hilfen aus der Menge, Dank der Leute an den gerechten, großzügigen, immer hilfsbereiten Herrn. Rührung unserer Familie, Hildegard wischte sich immer die Augen, dann Dank des Gutsherrn für die Arbeit, die Treue zu Familie, Gut und Haus - so, und jetzt laßt uns dankbar feiern. Ein Hoch erscholl, der Bann war gebrochen, und unter den Klängen der kleinen Kapelle, die ein Volkslied intonierte, ging es mit uns allen zum Kuchenessen. Anfänglich noch Ziererei, man war der Hausfrau nicht immer so nah, aber bald ließen die glühenden Wangen auf reichlich Kaffeegenuß schließen, die ersten Biere wurden gezapft. Die kleinen Kinder brachte man vorsorglich zurück ins Dorf, und als sich dann die Dämmerung langsam über die Felder und den Park senkte, formierte man sich zur so sehr beliebten Polonaise.

War das ein Gekicher, Lachen, Singen, Stoppen, Stolpern, Umfassen, Anfassen, Unterfassen, eine ganze große, einige Familie! Da war kein Neid, kein Minderwertigkeitsgefühl der Dorfleute, man hatte zusammen geschafft, der Sommer war gut gewesen, es würde einen guten Ertrag geben. Man wurzelte in der Erde, war eins, litt mit ihr, war glücklich mit ihr, liebte sie. Bis spät in die Nacht ging das Fest, niemand kam zu Schaden, niemand fiel aus, alle waren froh, der Herbst konnte kommen!

Bunt flatterten die langen Bänder an der Erntekrone