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18.10.03 / Preussische Tugenden

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 18. Oktober 2003


Preussische Tugenden
Ein Gastkommentar von Herbert Kremp

Pflichtgefühl, Redlichkeit, Fleiß, sachlicher Ehrgeiz und das Bemühen, jede Aufgabe unter Anspannung aller seiner Kräfte zu lösen, werden gemeinhin als preußische Tugenden bezeichnet. Erfunden und zum Kanon zusammengefaßt hat sie niemand. Sie bildeten sich heraus als Verhaltensmaximen eines Staates, des preußischen, der vor drei Jahrhunderten zum Königreich wurde. Es war ein armer Staat mit zersplitterten Territorien, die sich von Brandenburg nach Ost und West über fünf parallele Stromsysteme hinweg erstreckten.

Der Staat ist dahingegangen, die Tugenden nicht. In allen Epochen der verflossenen 300 deutschen Jahre galten sie als Antworten auf spezifische Herausforderungen - bewährten sich in der Not, wurden mißbraucht und tauchen heute in jeder Unternehmensphilosophie auf. Man kann nicht ohne sie wirtschaften, man kann ohne sie auch keinen Staat machen. Anstatt zu verschwinden, haben sie sich von der Grundlage des harten, gefährlichen Lebens Preußens gelöst, sozusagen universalisiert. Preußisch, in einem unscharfen Sinne deutsch ist ihr Ursprung, weltweit die Geltung, die sie erlangt haben. Sie sind sittlich, denn sie sind nicht angeboren, sondern müssen durch ernste und andauernde Übung erworben werden und können durch Untätigkeit und Laster verlorengehen. Preußens Könige waren reformierte Christen. Der Tugendkatalog ist eine Ableitung aus den vier christlichen Kardinaltugenden, der Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit und Tapferkeit. Es fällt auf, daß der Gehorsam nicht dazu zählt. Entgegen der Geschichtslegende war Alt-Preußen kein Tyrannenstaat, sondern eine Monarchie der Rechtsgesinnung. Tugend paßt nicht zur Karikatur des Untertanen, sie setzt Verantwortung voraus, um das Leben zu meistern und der Sache zu dienen.

Wenn die sittlichen Grundlagen schwinden, können instrumentale Tugenden zu einer gefährlichen Waffe werden. In dem Neu-Preußen, das mit der Reichsgründung 1871 begann, verstärkte sich diese Gefahr. Unter Wilhelm II., der ein begabter Modernisierer der Bildung und Wissenschaft war, legte sich Preußen als Hegemonialmacht des deutschen Fürstenbundes eine unangenehm bramarbasierenden, auftrumpfenden Ton zu. Dies ist bekannt. Vergessen ist jedoch, daß das Land Preußen in der Weimarer Republik eine innere Rückwendung zu Alt-Preußen vollzog: Unter Ministerpräsident Braun war es 13 Jahre lang der bestverwaltete Staat unter den deutschen Ländern - übrigens im Unterschied zum Reich eine lupenrein parlamentarische Demokratie.