20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
18.10.03 / Definition des Glücks

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 18. Oktober 2003


Definition des Glücks
Lienhard Schmidt sucht nach den Gründen für das begehrte Gefühl

"Glück ist Selbstgenügsamkeit" Aristoteles

In einer überwiegend hedonistisch geprägten Zeit wie der heutigen kommt so eine bescheidene Definition von Glück, wie der griechische Philosoph sie im vierten Jahrhundert vor Christi Geburt formulierte, einem Schlag in die Magengrube eines Großteils unserer Gesellschaft gleich. Deren Seelenzustand im "pursuit of happiness", auf der Jagd nach dem Glück und immer exzentrischeren Genüssen, hat der deutsche Schriftsteller Sigismund von Radetzki (1891-1970) so amüsant wie treffend skizziert, als er schrieb: "Glück ist heute, wenn man im neugekauften Auto mit 150 Stundenkilometer durch die innere Leere fährt." Lebte er heute noch, hätte er wohl 200 Stundenkilometer als die Schwelle zum echten Kick, der postmodernen Mischung aus Glücks- und Lustempfindung, genannt. Tempo 150 fahren ja schon die meisten "Grufties", wenn die Sonne scheint und keine Laster die Überholspur blockieren.

Was Menschen als Glück, als den Zustand der Glückseligkeit empfinden, ist wohl nicht zuletzt von Erfahrungen bestimmt, die jeder von uns im Lauf des Lebens macht bei den ganz normalen und natürlichen Versuchen, dem Glück zu begegnen und es möglichst lange festzuhalten. Die Illusion, wonach das Raffen von immer neuen Glücksgütern zu immer größerer Zufriedenheit führt, dürfte in aller Regel von der nüchternen Erkenntnis abgelöst werden, daß weit eher Frustration und Überdruß zur dominierenden und letztlich unglücklich machenden Empfindung werden. Menschen, die sich gegen solche Einsicht nicht sperren, werden keine Schwierigkeiten haben, mit Demokrit übereinzustimmen, der einige Jahrzehnte vor Aristoteles lebte und zu dem Schluß kam, daß die Glückseligkeit in der heiteren Ruhe des Gemütes bestünde, die der Mensch nur durch Herrschaft über seine Begierden erlangen kann. - Novalis (1772-1801) hatte wohl auch diese Ausgeglichenheit, diese heitere Ruhe des Gemütes im Sinn, als er schrieb: "Glück ist Talent für das Schicksal."

In der Tat, je stärker die Erkenntnis sich durchsetzt, daß wir zwar vieles vermögen, durch Fleiß und Intelligenz, durch Energie und Ausdauer, begleitet auch von ein wenig Glück, das wir aber nicht steuern oder herbeimogeln können, daß wir also an Grenzen stoßen, die wir nicht überwinden können, um so näher kommen wir jener heiteren Ruhe des Gemüts. Wer sie erreicht, ist auch vor den Sackgassen gefeit, in die der Neid uns treiben kann. Die deutsche Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916) meinte, sich glücklich fühlen können, auch ohne Glück, das ist Glück. In unserer weitgehend vermaterialisierten Welt wird diese Philosophie der Genügsamkeit wenig Verständnis und kaum Gegenliebe finden. Aber die Vereinseitigung und Verengung des Denkens und Strebens auf die materiellen Seiten des Daseins, der primitive Egoismus, der diesen Entwicklungen innewohnt, er ist als Glücksbringer mit Langzeitwirkung kaum geeignet. Diese Bequemlichkeit im Elfenbeinturm der Nabelschau des selbstzufriedenen Individuums umschrieb der französische Schriftsteller Jules Renard (1864-1919) gedämpft sarkastisch so: "Wenn ein Mensch sagt, ich bin glücklich, so meint er einfach, ich habe keine Sorgen, die mich bedrücken." Aber gibt es nicht auch Menschen, die Glück empfinden, wenn sie des anderen Last tragen oder zumindest tragen helfen?

Walter Rathenau, deutscher Staatsmann, 1867 geboren und 1922 ermordet, hat einmal gesagt: "Das höchste Glück des Menschen ist die Befreiung von der Furcht."

Wenn wir den ständig so gerühmten Fortschritt in der Welt von heute - in technischen Dingen ist er unbestritten - vor dem Petitum "Befreiung von der Furcht" einer kritischen Beobachtung unterziehen, dann offenbart sich das fast erdrückende Ausmaß ungelöster Probleme. Die hehren Ziele der Vereinten Nationen, Befreiung der Menschen von den Furien des Krieges und der Gewalt, der Not und den noch so weit verbreiteten Verletzungen der Menschenrechte, sie werden Absichtserklärungen einer wohlmeinenden politischen Elite bleiben, wenn die vielen Einzelwesen nicht begreifen, daß ihr persönliches Glück ohne ein Sich-Kümmern um das Glück anderer stets gefährdet bleibt. Glück auf Kosten anderer entlarvt sich ebenso als Selbstbetrug wie die Annahme, daß es käuflich zu erwerben sei.

Aristoteles dürfte beim Quiz über das Glück auch heute noch die beste Antwort liefern.