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01.11.03 / Von der Stasi mißbraucht - vom BKA neun Jahre lang observiert

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. November 2003


Der Spion, der von nichts wusste
Von der Stasi mißbraucht - vom BKA neun Jahre lang observiert
Von Hans Heckel

Die besten Spionage-Thriller schreibt die Wirklichkeit: Neun Jahre lang war das Bundeskriminalamt (BKA) Heinz Buchholz auf den Fersen. Für die Beamten stand so gut wie fest: Der Hamburger Unternehmer spioniert für die Stasi. In Wahrheit war Buchholz jedoch das Opfer eines gerissenen Ost-Berliner Ablenkungsmanövers. Unschuldig geriet er ins Fadenkreuz deutsch-deutscher Geheimdienst-Ränke.

Sein Name sei Schulz, meldet sich der freundliche Herr am Telefon. Er sei Mitarbeiter des Bundeskriminalamts (BKA) und müsse ihren Mann sprechen. "Warum?" will Ute Buchholz wissen. Schulz konfrontiert die 31jährige Mutter von zwei Kindern mit einer haarsträubenden Geschichte: Er sei Mitarbeiter der Abteilung Staatsschutz und habe gegen ihren Mann wegen Spionagetätigkeit für die DDR ermittelt. Nun wolle er ihn dazu befragen. So einen blöden Scherz hatte sie noch nie gehört. Dann fällt der Frau ein, welches Datum heute ist: Freitag, der 1. April 1981. Kurz fertigt sie den vermeintlichen Witzbold ab: "Na dann kommen Sie mal am Sonnabend, da hat mein Mann Zeit. April, April!"

Doch der mysteriöse Herr Schulz war kein aprilscherzender Possenreißer. Am nächsten Morgen steht tatsächlich um Punkt neun Uhr ein leger gekleideter Mann Mitte dreißig vor der Haustür der Familie Buchholz und bittet höflich um Einlaß. Heinz Buchholz beginnt es zu dämmern, daß die Sache ernst ist. Was ihm der freundliche Beamte dann wenig später auftischt, verschlägt ihm den Atem.

Ohne selbst den leisesten Verdacht zu schöpfen, war Buchholz seit 1972, seit neun Jahren also, die zentrale Figur in einem deutsch-deutschen Spionagekrimi gewesen. Auf Schritt und Tritt überwacht vom BKA, das fest davon überzeugt war, mit dem Unternehmer einem gefährlichen Spitzel von Markus Wolfs Stasi-Aufklärung auf den Fersen zu sein. Gezielt hatten die DDR-Spione den Verdacht der Westdeutschen auf Heinz Buchholz gelenkt, um das BKA von ihrem tatsächlichen Agenten abzulenken. Dieser war den bundesdeutschen Staatsschützern nun aber doch ins Netz gegangen und hatte den Trick verraten. Jetzt erst ging den Ermittlern auf, daß sie all die Jahre dem Falschen hintergeschlichen waren.

Als Ermittler Schulz ihm das eröffnete, sei er "fast vom Stuhl gefallen", so Buchholz heute, und habe erst einmal einen Cognac gebraucht. Bis zum Ende des stundenlangen Gesprächs sollte es eine ganze Flasche werden.

Korrekt fragt BKA-Mann Schulz den verdatterten Schein-Spion, ob er Auskunft geben wolle. "Selbstverständlich", gibt der zurück und versteigt sich sogleich in die kühne Behauptung, daß er gewiß jeden wiedererkennen werde, mit dem er in den vergangenen neun Jahren zu tun gehabt habe. Ein Fehler. Der damals 49jährige hatte ja keine Ahnung, wie geschickt die Stasi ihre westdeutschen Gegenspieler auf seine Fährte gesetzt hatte.

Es ist ein verregneter Frühsommertag, dieser Sonnabend, der 9. Mai 1972. Heinz Buchholz hat sich erst zwei Jahre zuvor selbständig gemacht mit einer Vermarktungsfirma für Havariegüter. Wenn irgendwo ein Lager abgebrannt ist oder sonstwie Güter beschädigt wurden, kauft Buchholz die verwertbaren Reste auf und bringt sie wieder auf den Markt. An diesem Tag ist er am Rand des Hamburger Hafens verabredet. Um dem Regen zu entfliehen, wartet Heinz Buchholz unter einem Vordach auf seinen Geschäftspartner, der gleich herunterkommen will. Sehr schnell gesellt sich ein Mann im hellen Mantel zu ihm, der anscheinend auch nur nicht naß werden will, und verwickelt den Unternehmer in ein kurzes Gespräch. Belanglosigkeiten, "Schietwetter!" und so. Neun Jahre später muß der Angesprochene erfahren, daß diese Begegnung sein Leben verändern sollte, ohne daß er einen blassen Schimmer davon bekam.

Geduldig zeigt BKA-Beamter Schulz ein Schwarzweißfoto von der Begebenheit. Jetzt wird es Buchholz ziemlich mulmig. Er hatte den Mund zu voll genommen. An diese Szene, an den Mann im hellen Trenchcoat kann er sich beim besten Willen nicht erinnern. Buchholz war nicht allein mit dem Unbekannten. In einer Baulücke nebenan hatten sich bundesdeutsche Spionagebekämpfer auf die Lauer gelegt und schossen fleißig Bilder von der Szene.

Der Unbekannte hat, bevor er dem Hamburger Unternehmer gezielt über den Weg läuft, bereits eine lange Reise hinter sich. Sein Auftraggeber: die Staatssicherheit der DDR. Der Agent mit dem Decknamen Christoph Heiden war von Neubrandenburg zunächst nach Köln gefahren. Schon im Zug dorthin wurde er, ganz nach seinem Plan, vom BKA observiert. Dann ging die Reise weiter zum Hamburger Hauptbahnhof und schließlich zur U-Bahn-Haltestelle Rödingsmarkt, in deren unmittelbarer Nähe er, wie von der Stasi vorgesehen, auf Heinz Buchholz tritt. Danach unternimmt "Heiden" sogar noch eine Stadtrundfahrt, um dann auf gleichem Wege, wieder über Köln, in die DDR zu verschwinden.

Da Buchholz die einzige Person bleibt, mit der DDR-Spion "Heiden" während seiner Westreise Kontakt aufnimmt, steht für die BKA-Fahnder von jetzt an praktisch fest: Der Unternehmer Heinz Buchholz ist der bundesdeutsche Kontaktmann, den wir suchen. Unfreiwillig macht sich der arglose Mittelständler in den folgenden Jahren immer wieder verdächtig. So erhält er als Havariegutvermarkter regelmäßig Schadensmeldungen, die mit - für den Laien rätselhaften - Kennungen wie "BS" (für Brandschaden), "WS" (für Wasserschaden) oder "EB" (für Einbruch und Diebstahl) versehen sind. Auf das Kürzel folgt jeweils die zwanzig Ziffern lange Nummer der Versicherungspolice.

Leider hat das BKA den banalen Sinn dieser Angaben nie entschlüsseln können, weshalb die Staatsschützer dahinter codierte Geheimmitteilungen an den Osten ver- muteten. Alle Versuche, den "Code" zu entziffern, mußten zwangsläufig scheitern. Kein Zweifel, mögen sich die Fachleute von der Abwehr gedacht haben: Dieser Buchholz ist ein Topspion (erst 1981 fragt BKA-Mann Schulz Heinz Buchholz, was die geheimnisvollen Zahlenreihen eigentlich zu bedeuten haben). Oft unternahm der Unternehmer auch spontane Reisen in alle möglichen Ecken der Republik. Seine kleine, junge Firma gedieh über die Jahre auffallend prächtig. Schließlich unterhielt er zu allem Überfluß noch ganz offizielle Geschäftskontakte in den Arbeiter- und Bauernstaat, genauer: zu der in Hamburg angesiedelten, DDR-gesteuerten Spedition Richard Ihle. Die ist erst jüngst im Oktober 2003 im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Stasi-Killer Jürgen G. in die Schlagzeilen geraten. G. hatte sich gebrüstet, 27 Auftragsmorde für den DDR-Geheimdienst "abgewickelt" zu haben. Ihle-Geschäftsführer Uwe Harms ist 1987 in Hamburg unter bis heute ungeklärten Umständen ermordet worden. Die Behörden ermitteln immer noch - ohne sichtbares Ergebnis.

Nach dem kurzen Auftritt des Stasi-Spions am Hamburger Hafen war das Leben des Heinz Buchholz mit seltsamen Ereignissen gespickt, die für ihn erst in der Rückschau einen Sinn ergeben.

Jedesmal, wenn er sich der Zonengrenze näherte, umschlichen ihn, mehr oder minder unauffällig, unbekannte Gestalten. Verstohlen dreinblickende Fremde löcherten seine Mitarbeiter mit Fragen. Merkwürdig: Wenn ein Mitarbeiter solche Besucher barsch des Platzes verwies, verzogen die sich "wie kleine Äpfelklauer", so Buchholz heute. "Normale" Erwachsene hätten sich so eine Behandlung verbeten, da ist er sich sicher. Und dann war da noch der klapprige VW-Käfer, der eine Zeit lang hin und wieder auf den Hof seines Mühlenbetriebes in Reinbek fuhr und wieder verschwand. "Damals dachte ich, da übt einer Fahren, weil wir ja am Ende einer Sackgasse liegen", so Buchholz. Heute ist er sich sicher: Das waren "die vom BKA".

Besonders lästig waren ihm die häufigen Störungen seines Telefons. Wenn Buchholz daraufhin die Störungsstelle anrief, erschien nicht irgendwer, sondern stets eine bestimmte Firma, die das Problem behob. Irgendwann wurde er aber doch stutzig und bat einen Kameraden aus dem Postsportverein, in dem Buchholz aktiv war, sich die Sache mal anzusehen. Der tat das auch. Heute will sich Buchholz an ein vieldeutiges Grinsen im Gesicht des Telefontechnikers erinnern, nachdem der seinen Apparat untersucht hatte.

Die Jahreswende verbrachte Buchholz gern und regelmäßig mit Frau und Freunden in dem kleinen Harz-Örtchen Hohegeiß, das unmittelbar an der Zonengrenze lag. Zufällig fiel die Wahl auf den Grenzort - für Buchholz jedenfalls. In den Augen des BKA paßte das natürlich genau ins Bild: Wollte er seine Spionage-Beute dort über den Zaun gen Osten entsorgen? Zwei junge Männer stellten dem Unternehmer auf einer Skiloipe, die streckenweise haarscharf entlang des Todesstreifens verlief, zu Silvester 1980 regelrecht nach. "Zwei sportliche Typen auf Skiern", berichtet Buchholz, "folgten einem Freund und mir bei unserem Langlauf-Ausflug. Oft überholten sie uns, hielten an, ließen uns vorbeiziehen und überholten uns wieder." Das habe sich mehrfach wiederholt. Er habe, man möchte fast sagen: wie immer, nichts davon wirklich wahrgenommen, bis ihn sein Begleiter aufmerksam machte: "Guck mal, da sind sie wieder!" Seit der Enthüllungsvisite des Herrn Schulz nur wenige Monate später ist Heinz Buchholz ziemlich überzeugt: Die gehörten auch dazu. Allem Anschein nach wollten die mutmaßlichen BKAler bewußt gesehen werden, befürchteten womöglich, daß ihr Observierungsobjekt dort am Stacheldraht geheimes Material über den Zaun schleudern könnte. Wäre Buchholz tatsächlich einer von Stasi-General Markus Wolfs "Kundschaftern für den Frieden" gewesen, er hätte die Botschaft sicher verstanden: Wir haben dich im Auge!

All die Jahre, in denen Buchholz den Lockvogel spielte, konnte ein tatsächlicher Spion im verborgenen ganz ungestört seiner trüben Tätigkeit nachgehen. Der 1981 verhaftete und zu sechs Jahren Haft verurteilte G. (nicht mit dem mutmaßlichen Stasi-Killer Jürgen G. zu verwechseln) lebte ganz in der Nähe der Familie Buchholz und verwaltete dort, in Lohbrügge, einen geheimen Briefkasten, in dem die Ausbeute anderer DDR-Spitzel aus dem ganzen Bundesgebiet zusammenlief. G.s Aufgabe bestand darin, das Material wöchentlich über West- nach Ost-Berlin zu schaffen, derweil die westdeutschen Behörden einem Unschuldigen nachjagten.

G. ist Heinz Buchholz kein ganz Unbekannter. Er besuchte in den 60er Jahren mit Buchholz' Bruder Rudi zusammen die gleiche Wirtschaftshochschule in Hamburg. "Wir haben uns auch schon mal zum Bier getroffen", weiß Buchholz noch. Hat G. ihn damals bereits ausgeguckt für eine mögliche spätere "Verwendung"?

Oder war alles schon viel früher angelaufen? Im November 1956 heiratete Heinz Buchholz' Vetter Martin, damals ein überzeugter SED-Funktionär, in dessen Wohnort Waren an der Müritz. Martins Vater war querschnittsgelähmt, weshalb Cousin Heinz ihn mit seinem Wagen hinüberkutschierte. Die Reise war voller Absonderlichkeiten. "Schon beim Grenzübertritt an der Kontrollstelle Horst östlich von Lauenburg behandelten uns die DDR-Grenzer äußerst zuvorkommend", wundert sich Buchholz noch nach Jahrzehnten. Immerhin: Der kalte Krieg war auf dem Höhepunkt, der 17. Juni nur gut drei Jahre, der Ungarn-Aufstand gar erst wenige Wochen her. Freundlichkeiten am "Eisernen Vorhang" waren da nicht selbstverständlich, und Buchholz fiel auf, daß allein ihm die Sonderbehandlung zuteil wurde.

Bis zum Zielort erwarteten ihn in jedem größeren Ort Leute, die ihm sofort weiterhalfen: "Ah, Sie sind aus dem Westen? Nach Waren? Ja, dann müssen Sie also ..." Oder auch gleich: "Ach, dann fahren Sie doch einfach hinter mir her." "Einfach". Zu einfach, findet Heinz Buchholz im Blick zurück: "Es lief alles ein bißchen sehr reibungslos." Auf dem Fest fielen ihm gleich vier finstere Herren auf, wie aus einem schlechten Spionagefilm. "Mit schwarzen Ledermänteln und tiefernst." Nie habe er anschließend Fotos von der Feier bekommen. War er schon hier unter die Lupe genommen worden? Das wird Heinz Buchholz wohl nie erfahren.

Vielleicht hatte bereits in Waren, vielleicht auch erst auf den Bierabenden mit Bruder Rudis Kommilitonen G. begonnen, was an jenem 2. April 1981 ein glimpfliches Ende finden sollte. G. hatte kurz zuvor alles gestanden und Heinz Buchholz aus der Schußlinie geholt.

Nach mehreren Stunden Gespräch verabschiedet sich der BKA-Beamte Schulz von einem erschütterten Heinz Buchholz, der eben erfahren mußte, daß er über neun Jahre hinweg ein Doppelleben geführt hatte, von dem er keinen Schimmer besaß. Seine Akte werde nun geschlossen, so Schulz in lapidarem Beamtendeutsch. Die Angelegenheit ist für das BKA erledigt. Nicht so für Heinz Buchholz. Ein gewisses Schaudern packt ihn noch über zwanzig Jahre danach. Der ungeklärte Mord an seinem früheren Geschäftspartner Uwe Harms von der DDR-geleiteten Spedition Ihle im Jahre 1987 läßt ihn ahnen, daß es auch ganz anders hätte ausgehen können.

Das BKA gezielt auf die falsche Fährte gelockt: Von Neubrandenburg reiste der Stasi-Spion, Decknahme "Christoph Heiden", über Köln nach Hamburg, um die westdeutschen Späher auf sich aufmerksam zu machen. Vor einem alten Speicher am Hafen lauerte er dem ahnungslosen Heinz Buchholz auf.

Das BKA hielt simple Versicherungs-Nummern für einen Spionage-Code

Foto: Heinz Buchholz im Jahre 1972

Der Unternehmer Heinz Buchholz wurde 1931 im ostpreußischen Kreis Schloßberg geboren. Die Flucht führte ihn über Pommern bis in den Hamburger Raum. Die dramatischen Ereignisse seiner Flucht - erst 1947 gelang es ihm, von Pommern aus in den Westen zu gelangen - hat Buchholz erst kürzlich in dem autobiographischen Buch "Iwan, das Panjepferd" beschrieben. Kaplan André Schmeier, deutscher Seelsorger in Allenstein, zeigte sich von dem Band tief beeindruckt: "Die Erlebnisse des Krieges nach über 50 Jahren so überzeugend aus der Sicht und in der Sprache eines Jungen darzustellen, ist eine einmalige Leistung des Autors", so Schmeier. "Iwan, das Panjepferd" ist für 19,95 Euro beim Preußischen Mediendienst, Telefon (040) 41 40 08-27, erhältlich.