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08.11.03 / Sozialreformen umgehen die Systemfehler

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. November 2003


Nur Kurieren an den Symptomen
Sozialreformen umgehen die Systemfehler

Das konnte nicht ausbleiben. Nachdem alle relevanten Parteien im Bundestag den Weg zu schmerzhaften Sozialreformen beschritten haben und die Gewerkschaften zwar maulen, aber nicht mauern, gehen diejenigen, die es nicht wahrhaben wollen, daß das System langsam, sozusagen in Zeitlupe kollabiert, auf die Straße. Möglicherweise ist das Potential der Reformverweigerer noch höher als die hunderttausend, die am Wochenende in Berlin zusammenkamen, immerhin geht es ans Eingemachte, an Zuwendungen, die Vater Staat und Mutter Partei jahrzehntelang wie selbstverständlich verteilten. Aber die Tischlein-deck-dich-Formel von Blüm und Co. funktioniert nicht mehr. Die Nutznießer der Formel müssen selbst vorsorgen, und das haben viele von ihnen nicht gelernt. Nun treibt sie die Angst vor der Zukunft auf die Straße.

Es waren PDS-Wähler, die notorisch gegen das marktwirtschaftliche System eingestellt sind. Es waren aber vor allem mittlere Alters- gruppen, die sich bei Attac engagieren, wahrscheinlich auch bei Greenpeace, und die früher ihre politische Heimat bei den Grünen hatten. Die ist ihnen mit dem Aufkommen einer neuen, funktionalen Elite in der Partei abhanden gekommen. Wer die Bilder genauer ansah, der stellte fest, daß zwar viele junge Leute mitmarschierten, das Gros aber aus den Altersgruppen der 45- bis 60jährigen stammte. Deren fehlende Kinder sind die fehlenden Beitragszahler des Systems. Es waren auch kaum Kinder zu sehen. Eltern haben eben trotz Feiertag oder Wochen- ende wenig Zeit, an Protestmärschen teilzunehmen.

Um das Verhältnis dieser Gruppen innerhalb der Generationen geht es eigentlich in der gesamten Sozialreformdiskussion, nicht um Alt gegen Jung. Dabei ist natürlich zu bemerken, daß es bei den Trittbrettfahrern des Systems nicht um diejenigen geht, die unverschuldet kinderlos sind. Diese Gruppe hat sich mit diesem Schicksal meist ab- und Lösungen nicht nur für ihre Altersvorsorge gefunden, sondern auch für ihren sozialen Beitrag. Aus dieser Gruppe kommt zum Beispiel viel ehrenamtliches soziales Engagement. Es wäre ungerecht, sie mit den bewußt kinderlosen Singles in einen Topf zu werfen. Die bewußt und gewollt kinderlos Bleibenden sind die Trittbrettfahrer des Systems. Man findet nicht wenige von ihnen auch in der Politik, was zum Teil erklären mag, warum die Reformdebatte so quer läuft und warum die Debattierer sich nicht mit der wandelnden Struktur des Sozialstaats, sondern fast nur mit den Symptomen der Krise, den Löchern in den Kassen, befassen.

Zum Beispiel bei der Rente, wobei hier die Unübersichtlichkeit besonders groß ist. Die Rentenformel ist lang, sie hat ein halbes Dutzend Variablen, ein Hochgenuß für Mathematiker. Den Politikern bereitet sie Kopfzerbrechen. Denn soviel sie auch herumrechnen, irgendwie geht die Gleichung nicht auf, es kommt immer ein Minus heraus. Diesmal haben sie das Minus den Rentnern aufgebürdet. Bei einer Rente von 1.000 Euro bedeutet das im nächsten Jahr ein Minus von knapp 20 Euro. Das werden die verkraften, denken sich Schröder, Fischer, Müntefering und Co., deren Politiker-Rente sich nach wenigen Jahren schon auf das Zigfache beläuft und die nicht einen Cent davon abgeben wollen.

Das ist eben der Punkt: der Egoismus eines Teils jener Generation, die Mitte der Sechziger in das biologisch elternfähige Alter kam und auf dem Trittbrett des Systems kinderlos durch die Institutionen rauschte. Ihre Kinder fehlen heute in der Erwerbsbevölkerung, mit ihnen die Beitragszahler für das System. Und zwar nicht nur bei der Rente, sondern auch im Gesundheitswesen, bei der Pflege, bei der Arbeitslosenversicherung, kurz: bei allen um- lagefinanzierten Sozialsystemen. Langsam wird im Morgennebel der Flurschaden sichtbar, der in der durchzechten Nacht der Revolutionäre in Hirn und Herz der jungen Menschen angerichtet wurde. Am schlimmsten wüteten die Parolen gegen die sogenannte traditionelle Familie. Hier wurde im Rausch die Zukunft verspielt. Und ebenso schlimm war, daß die Politik in den letzten drei, vier Jahrzehnten nicht reagierte, sondern der Seuche der antifamiliären Haltung, dem Ich-Denken und der damit verbundenen Verhütungsmentalität freien Lauf ließ.

Es ist politisch nicht korrekt, darauf hinzuweisen, und kein Politiker traut sich, es zu sagen: Sie tauchen bei den Variablen nicht auf, die abgetriebenen und verhüteten Kinder, aber sie stecken im Minus, und das wird größer werden. Die elternfähigen Generationen sind statistisch immer schmaler geworden. Wer heute Gerechtigkeit herstellen will, der muß die Familie fördern. Es ist immer noch so, daß Eltern mehr zahlen als Kinderlose. Das Existenzminimum der Kinder ist nicht steuerfrei, Eltern zahlen also Steuern auf ein Einkommen, über das sie wegen ihrer Unterhaltspflicht nicht verfügen. In der Wissenschaft verzeichnet man das hinter vorgehaltener Hand als "Kinderstrafsteuer". Aber die Hand wird bald weggezogen werden. Ein bekanntes Wirtschaftsforschungsinstitut berechnet derzeit die Höhe dieser verfassungwidrig erzwungenen Steuer, und es dürfte dabei um einen Betrag von mehr als 100 Milliarden Euro für den Zeitraum von 1990 bis 2002 gehen.

Hier ist die Ursache für die Verarmung der Familien. Man kann es jungen Leuten nicht verdenken, daß sie mit der Familiengründung zögern, niemand wird gern freiwillig arm. Hier ist aber auch ein, vielleicht der Grund für den Zeitlupen-Zusammenbruch des Systems, denn dieses Geld fehlt im Konsum-Produktionskreislauf. Das System muß sich ändern. Eltern müssen bei den Umlagesystemen je nach Kinderzahl freier gestellt werden. Nur ein kräftiger Familienfaktor wird das System auf Dauer retten und das Minus in der Formel ausgleichen. Wer das bis dahin zahlen soll? Diejenigen, die bisher so kommod auf dem Trittbrett auf Kosten der Eltern mitgefahren sind. Sie sollten auf den Dritturlaub oder das Viertauto verzichten lernen. Das ist es, wovor manche Marschierer von Berlin Angst haben. Sie werden es lernen müssen. Jürgen Liminski

Nicht Alt gegen Jung, sondern Familie gegen die Kinderlosen