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22.11.03 / Die Pariser Außenpolitik der 90er Jahre

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. November 2003


Am Ende doch - Berlin?
Die Pariser Außenpolitik der 90er Jahre 
Eine Analyse von Hans Heckel

Natürlich habe man nichts gegen eine engere deutsch-französische Kooperation. Ja, man begrüße sie sogar - so verlautet es regelmäßig aus Washington, wenn sich Berlin und Paris mal wieder in den Armen liegen. Hinter den Kulissen sieht es freilich ganz anders aus.

In seinem Buch Die einzige Weltmacht beschwor der US-Sicherheitsexperte und enge Berater des Ex-Präsidenten Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, schon 1997 die Gefahr, daß Amerikas alleinige globale Dominanz von "regionalen Vormächten" angekratzt werden könnte, was unbedingt verhindert werden müsse. Er sah nur fünf Länder, die dazu das geopolitische Potential hätten: China, Rußland, Indien, Deutschland und Frankreich (von Japan oder Großbritannien sprach er nicht, da diese "keine eigenen geopolitischen Ziele" mehr verfolgten, so Brzezinski).

Deutschland und Frankreich erscheinen in dieser Analyse noch als getrennt handelnde Akteure. Sollten die beiden sich zu einem dauerhaft gemeinsamen Weg entschließen, kann dies aus der Logik eines Brzezinski nur als ernste Störung von Washingtons Ambitionen gewertet werden.

Die in Deutschland sehr aktive Fraktion der "Atlantiker", die den Beziehungen zu Washington stets Vorrang vor europäischen, speziell französischen Perspektiven gegeben hat, reagiert entsprechend wenig erfreut auf die im obigen Artikel erläuterten Offerten aus Paris. Die Tageszeitung Die Welt, die sich stets als engagierter Verfechter der Bindung Deutschlands an die USA engagiert hat, nennt die Idee einer deutsch-französischen Union schlicht "albern". "Lernt erst einmal die Sprache", rät sie Deutschen und Franzosen gleichermaßen mit Hinweis auf die Tatsache, daß immer weniger Franzosen deutsch und immer weniger Deutsche französisch sprechen. De Gaulles Versuche, Deutschland aus den Armen der USA zu winden, seien in den Augen der Atlantiker "unsittlich" gewesen. Und derzeit hätten die beiden europäischen Schwergewichte kaum viel mehr gemein als den Befund, daß sie unter sehr ähnlichen Problemen litten. Die Deutschen weist die Welt darauf hin, daß zwar 15 Millionen Deutsche alljährlich Frankreich besuchten, aber nur 1,6 Millionen Franzosen den umgekehrten Weg einschlügen. Fazit: Die Gallier interessieren sich in Wahrheit gar nicht für Deutschland.

An eine Liebeshochzeit mögen nicht einmal die begeisterten Anhänger der Idee eines "künftigen Doppelstaats wie damals Österreich-Ungarn" (Le Figaro) glauben. Auf Mauerfall und Vereinigung Deutschlands hatte Paris alles andere als partnerschaftlich reagiert, eher schon panisch. Noch Ende 1989 war Präsident Mitterrand nach Ost-Berlin geeilt, um SED-Chef Modrow den Rücken zu stärken - zwecklos. Dann zog es ihn gleich weiter zu Gorbatschow, in ähnlicher Mission - die Einheit verhindern: zu spät.

Die 90er Jahre hindurch haben verschiedene französische Regierungen so ziemlich jede Möglichkeit ausgelotet, um sich mit anderen gegen Deutschland zusammenzutun. So versuchte sich Frankreich an einer Wiederbelebung der alten "Entente" mit London, um bald festzustellen, daß auch die geschmähte deutsche Diplomatie nicht schlief und geschickt gegensteuerte. Schlimmer aber noch war aufgestoßen, daß die Briten bei allem Techtelmechtel mit dem südlichen Nachbarn keinen Hehl aus ihrer Bevorzugung Washingtons als ersten Partner machten.

Auch mühte sich die französische Außenpolitik, innerhalb der EU eine Art Mittelmeer-Club der lateinischen Länder unter Pariser Führung zu etablieren. Damit sollte einem wachsenden Gewicht Deutschlands in der EU nach der Osterweiterung begegnet werden. Der "Club" kam nie recht in Gang.

Gänzlich undurchschaubar blieb das französische Vorgehen für Polen. Einerseits hofierte Frankreich Warschau, um so einen Verbündeten im Rücken Deutschlands zu gewinnen. Andererseits fürchteten eben insbesondere die Franzosen die EU-Osterweiterung. Schnöde pragmatisch wegen einer Neuverteilung der Agrarsubventionen, vor allem aber grundsätzlich, weil Deutschland damit in den geographischen Mittelpunkt der EU rückt.

Spätestens während der Irak-Krise muß in Paris die Erkenntnis gereift sein, daß all das Taktieren um den deutschen Nachbarn herum über ein Jahrzehnt hinweg nur Enttäuschungen und Rohrkrepierer hervorgebracht hat. Aus Anlaß des 40. Jahrestages des Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrages im Januar dieses Jahres machte Paris seine epochale Wende endgültig öffentlich: von nun ab gemeinsam mit den Deutschen.

Zwei Ziele scheinen hinter der neuen Strategie auf, ein kurzfristiges und ein langfristiges: Kurzfristig soll den kleinen und mittelgroßen EU-Mitgliedern im aktuellen Streit um die Unions-Verfassung klar und ziemlich kalt signalisiert werden: Wenn ihr uns (Deutsche und Franzosen) zu sehr ärgert, dann machen wir eben zu zweit weiter. Wir könnten das - ihr nicht! Denn: Deutschland und Frankreich bilden mit ihren zusammen 140 Millionen Einwohnern auch für sich allein einen starken Block. Italien, Großbritannien, Spanien, Polen und die anderen Unionsstaaten wären ohne die EU hingegen nur eine über den Kontinent verstreute Ansammlung von Halbstarken.

Darüber hinaus will Frankreich auch langfristig weltpolitisch in der ersten Reihe sitzen. Paris ist bewußt, daß dazu das eigene Potential allein niemals ausreicht. Mit Deutschland gemeinsam hingegen gäbe man schon einen properen Mitspieler im internationalen Machtpoker ab, so die Kalkulation.

Zu dem neuen Realismus in Paris, daß es ohne Berlin nicht gehen wird - auch in fernerer Zukunft nicht -, gesellt sich in Deutschland ein zwar unter Schmerzen geborenes, aber unübersehbar wachsendes nationales Selbstwertgefühl. Von diesem sollte bereits vor einem Jahr das rabiate Ultimatum des US-Präsidenten ("Wer nicht für uns ist", will heißen: wer nicht tut, was wir von ihm verlangen, "der ist gegen uns") überraschend abprallen.

Für die nächsten Jahre ist indes zu erwarten, daß die neue deutsch-französische Option kaum mehr denn als Drohkulisse für allzu dreist auftretende EU-Zwerge und -Neumitglieder herhalten muß. Dahinter jedoch bieten sich für Deutschland, dem stets vom Trauma der Einkreisung verfolgten Reich der windigen europäischen Mitte, durchaus interessante Perspektiven. Dennoch, soll daraus mehr werden als eine weitere diplomatische Kopfgeburt, müßte es in der Tat (und zwar schleunigst und in allen Schulen beider Länder) heißen: Lernt erst einmal die Sprache des anderen!

Für die USA ist die deutsch-französische Allianz ein Ärgernis

Alle Versuche von Paris, die Deutschen zu umgehen, scheiterten