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29.11.03 / Amerikanische Einmischung in fremde Kulturkreise führt zu unerwartet starkem Widerstand 

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. November 2003


Tödlich verlaufender "Demokratiewahn"
Amerikanische Einmischung in fremde Kulturkreise führt zu unerwartet starkem Widerstand 
von Carl Gustaf Ströhm

In der dem Fernsehvolk vorgeführten Debatte um Terrorismus (Anlaß waren die Ereignisse in Istanbul) trat wieder einmal die Ratlosigkeit unserer politischen Klasse zutage. Auf vielen TV-Kanälen dis-kutieren Befugte und weniger Befugte, sogenannte "Terrorismus-Experten" (die allerdings immer erst alles wissen, nachdem die Bombe explodiert ist) und die unvermeidlichen Islam-Kenner darüber, welch ein Zusammenhang zwischen Islam und Terrorismus gegenwärtig besteht. Daß es einen solchen Zusammenhang gibt, wird spätestens seit dem Bombenmassaker auf der indonesischen Insel Bali selbst von den größten Optimisten nicht mehr geleugnet.

Also stehen wir vor der Gretchenfrage: Wie hältst Du es mit dem Is-lam und mit den Moslems, vor allem politisch korrekt ausgedrückt "unseren muslimischen Mitbürgern". Auf amerikanischer Seite, das heißt in der Bush-Administration, herrscht offenkundig die Meinung vor, man müsse den Moslems, vor allem Arabern und Iranern, nur militärische Härte demonstrieren, tüchtig draufhauen, um zum Ziel zu kommen.

Geradezu gespenstisch wirkte neulich das Auftreten eines US-Generals im Kampfanzug vor laufenden Kameras, der erklärte, der amerikanische Sieg im Irak sei zum Greifen nahe. Die sich häufenden Terrorübergriffe auf US-Soldaten seien nur Symptome der Verzweiflung, die in den Reihen der Terroristen herrsche. Man müsse also nur schön weitermachen, dann werde sich das irakische Knäuel schon von selber lösen. Seit der wackere General diese Durchhalteparole unters Volk brachte, die frappierend an gewisse Wehrmachtsberichte gegen Ende des Jahres 1944 erinnert, starb mindestens ein weiteres Dutzend US-Soldaten auf den Straßen des Irak. Zwei "GI's" wurden unter den Augen einheimischer Zeugen die Kehlen durchgeschnitten - anschließend wurden sie ausgeraubt.

Wovor die wenigen nonkonformistischen Beobachter gewarnt haben, ist mit voller Wucht eingetreten: Im Irak, der unter Saddam Hussein eine durchaus blutige Diktatur war, in der es aber keinen unkontrollierbaren Fundamentalismus gab, haben sich jetzt Saddamisten, Fundamentalisten, Al-Qaida-Kader, Nationalisten und wohl auch enttäuschte frühere Amerika-Freunde zu einer gefährlichen Allianz zusammengeschlossen. Was viele im Westen (vor allem in Amerika) nicht begreifen wollen, ist: die Amerikaner gelten nicht als Befreier, sondern als Okkupanten. Die Ideale des Westens erscheinen einer breiten Schicht in den arabischen Ländern nicht erstrebenswert, ja sogar eher verabscheuenswürdig.

Natürlich spielt dabei auch die Geschichte vom Fuchs, dem die Trauben zu sauer sind, eine Rolle. Gerade die gebildeteren, intelligenten Araber und Moslems wissen, daß sie gegenüber dem Westen im Hintertreffen sind. Wenn man also selber keinen Wohlstand oder Luxus genießen kann, dann sollen es die westlichen "Gäste" und "Eindringlinge" auch nicht. Man kann natürlich so wie ein amerikanischer Direktor des Aspen-Instituts neulich im deutschen Fernsehen voller Empörung konstatieren, es gebe in der arabisch-islamischen Welt Kräfte, welche die Demokratie und die westlichen Werte ablehnten.

Genau das ist der Fall - aber was folgt daraus? Sollen wir teils mit Bomben und Granaten, teils durch "sanfteren" Druck die Araber dazu zwingen, die parlamentarische Demokratie zu verinnerlichen? Was dabei herauskommt, erleben wir dieser Tage in der Republik Georgien - die übrigens in ihrer großen Mehrheit nicht dem Islam angehört. Da haben die wackeren Georgier ihren Staatspräsidenten nicht etwa abgewählt und verfassungsmäßig verabschiedet, sondern durch einen Putsch beiseitegeräumt. Es ist hier nicht der Platz, um auf die Figur Schewardnadses einzugehen, der vor allem in Deutschland als Geburtshelfer der Wiedervereinigung maßlos überschätzt wird. Aber immerhin war er der gesetzmäßige, vom Westen und aller Welt anerkannte Staatschef - und wurde durch die Gewalt der Straße zum Rücktritt gezwungen. Dieser Putsch der Massen wird aber von der westlichen Öffentlichkeit, nicht zuletzt auch von dem immer schon wegen seiner Naivität aufgefallenen EU-Außenpolitiker, dem Spanier Javier Solana, als Sieg der Demokratie gefeiert.

In Wirklichkeit sind die Ereignisse auf den Straßen der georgischen Hauptstadt Tbilisi (Tiflis) nicht der Anfang von Demokratie, Friede, Freude, Eierkuchen - wie uns viele Politiker weismachen wollen. Georgien ist vielmehr ein Menetekel: hier wurden zwei Mal seit der "Wende" die aufgestülpten Regeln der Demokratie über Bord geworfen. Das Volk griff zur Selbstjustiz - und Schewardnadse kann von Glück reden, daß er, bis jetzt jedenfalls, lebendig aus der Sache herausgekommen ist. Bezeichnend ist, daß seine interimistische Nachfolgerin, die Parlamentspräsidentin Burtschanadse, auf die Frage, ob Schewardnadses persönliche Sicherheit garantiert werden könne, antwortete: "Bis jetzt ja". Anders gesagt - in Georgien, das nicht erst seit Stalins Tagen ein Land der Säuberungen, Abrechnungen und politischen Attentate war, gibt es keine Sicherheit. Wer nun den smarten Oppositionspolitiker Michail Saakaschwili hantieren sieht, dem wird angesichts von geballtem Ehrgeiz und Aktionismus auch nicht ganz wohl. Dieser junge Mann scheint weitgehend ein Exponent amerikanischer Erdölinteressen zu sein. Er wurde in den USA geschult, hat, wie gesagt wird, beste Beziehungen zur US-Erd- ölindustrie. Mancherorts wird behauptet, der große Straßenrummel von Tbilisi sei gar von den Amerikanern angezettelt worden, weil diese das Vertrauen in die "Zuverlässigkeit" Schewardnadses verloren hatten. Sei's drum: der Fall Georgien ist ein Schulbeispiel, wie westliche Demokratie in einem Lande perzipiert wird, in dem ganz andere Traditionen und Wertvorstellungen herrschen als die westlich-puritanischen der amerikanischen "democracy". Es bedarf keiner besonderen prophetischen Gaben, um festzustellen, daß die Verjagung des Präsidenten nicht das Ende, sondern eher erst der Anfang einer Tragödie in Fortsetzungen sein dürfte.

Übrigens: vor elf Jahren jagten die Georgier auf ganz ähnliche Weise Gamsahurdija, ihren ersten nichtkommunistischen Präsidenten mit Schimpf und Schande und gewalttätigem Straßenaufruhr davon (später wurde dieser unter bis heute nicht geklärten Umständen ermordet). Damals begrüßten die gleichen Demonstranten, die ihn heute zum Teufel wünschen, den ehemaligen KGB-General und KP-Parteichef mit der größten Begeisterung. Hosianna und "Kreuzigt ihn" liegen auch in Georgien nahe beieinander. Auf der Strecke blieb die parlamentarische Demokratie. Sie ist nur Versatzstück und Kulisse, hinter der ganz andere Kräfte in Georgien an den Strippen ziehen.

Was nun die islamische Welt betrifft, so kommt einem anläßlich des Geschwafels von der notwendigen "Demokratisierung" der islamischen Gesellschaft ein bitterer Witz in den Sinn. Fragt da ein Westler den anderen: "Läßt sich ein Beduinenstamm demokratisieren?" Antwort: "Ja, schon. Aber dann gibt es den Beduinenstamm nicht mehr." Anders gesagt - die Ordnung (sofern man das Wort heute noch anwenden darf) die im Nahen Osten und der islamischen Welt herrscht, mag uns Westlern fremd, unliberal, ja sogar abstoßend und unerträglich erscheinen. Es fragt sich aber, ob diese - zugegebenermaßen brüchige, ungerechte und despotische Ordnung den Arabern in ihrer Mehrheit wirklich so unerträglich ist.

Nun gibt es wohlmeinende Westler, die da sagen, man müsse - angesichts der Kränkungen und Demütigungen, die der kolonialistische Westen den Moslems zugefügt habe, erst einmal beginnen "auf gleicher Augenhöhe" mit der islamischen Welt zu verhandeln und man müsse sie "einbeziehen" in etwaige Lösungen. Dieser Ansatz ist zweifellos richtig - dann aber folgt ein möglicherweise verhängnisvoller Fehlschluß: Man müsse, so hört man weiter, die "gemäßigten", kompromißbereiten Moslems von den Radikalen, den Extremisten und Fundamentalisten trennen. Die Lösung soll also darin liegen, eine Spaltung ins islamische Lager hineinzutragen - um den (radikalen) Islam durch den (gemäßigten) Islam zu schlagen. Am Ende aber soll die islamische Welt die Regeln und Werte des Westens "verinnerlichen". Auch auf diesem Wege sieht man die Lösung in einer Verwestlichung der östlichen, orientalischen Welt. Dieser Schuß aber kann zum Rohrkrepierer werden.

Sollte man nicht viel eher akzeptieren, daß die islamische Welt in ihrem geographischen Bereich das Recht hat, nach eigener Facon selig zu werden? Stellt der Versuch, westliche Demokratie, westliche Wertvorstellungen und Lebensweisen in den "Orient" zu exportieren, nicht eine Auflösung aller Werte und Ordnungen dar? Ist es wirklich Aufgabe des Westens, kreuzzugartig andere Kulturkreise zu "beglücken"? Ein (negatives) Beispiel ist der israelisch-palästinensische Konflikt. Sollten die USA tatsächlich so "mutig" sein, den Palästinensern - ob mit oder ohne Arafat (denn es kann nicht unsere westliche Aufgabe sein, unsere arabischen Partner oder Gegenspieler zu bestimmen) - einen eigenen souveränen Staat zu konzedieren, könnte der ganze Selbstmord-Terror schlagartig aufhören. Das würde sich sogar beruhigend auf die Irak-Lage auswirken. Seltsam ist, daß die einfachsten Ideen oft verworfen oder ignoriert werden.

Um Mißverständnisse zu vermeiden: Es geht nicht um eine Verniedlichung des Islam nach dem

altbekannten liberalistischen Dis-kussions-Motto: "Menschen sind wir alle". Man muß allen Versuchen, in deutschen oder westeuropäischen Großstädten die Mehrheitsverhältnisse zugunsten des Islam zu kippen und dort eine islamische Parallelgesellschaft zu installieren, energisch entgegentreten. Toleranz kann da keine Einbahnstraße sein. Im übrigen aber sollte man die Moslems nach ihren Traditionen und Wertvorstellungen leben lassen. Das wäre der Ordnung, dem Frieden und der Sicherheit zuträglicher als fehlgeleiteter "Demokratiewahn".

Verstärkte Kontrollen im Irak: Auf der Jagd nach Attentätern dringen US-Soldaten schwer bewaffnet in die privaten Sphären der Einheimischen. Selbst prowestlich orientierte Iraker fühlen sich dadurch eingeengt und von den Amerikanern bedroht. Foto: dpa

Im Irak sieht man die USA als Okkupanten, nicht als Befreier

Westliche Demokratie und "Orient" passen so nicht zusammen