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06.12.03 / Eindringlicher Roman eines ehemaligen politischen Häftlings

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 06. Dezember 2003


Endstation Zuchthaus
Eindringlicher Roman eines ehemaligen politischen Häftlings

Zuchthaus Brandenburg - schon weit in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hatten im Gemäuer aus roten Klinkersteinen unzählige Schwerverbrecher ihren Platz. Was sich im Brandenburger Knast zu DDR-Zeiten abgespielt hat, blieb den Bürgern verborgen. Von Mördern und sonstigen Schwerverbrechern wurde gemunkelt, von unzumutbaren Haftbedingungen, von jahrzehntelangen Strafen, von Knochenarbeit, Demütigung und Zerstörung. Daß in Brandenburg politische Häftlinge verwahrt wurden, vermittelten die Gerüchte allerdings nur selten, zumal Honecker deren Existenz 1979 für die DDR gegenüber dem englischen Buchautor Maxwell gänzlich bestritt. Für die politischen Häftlinge, die es entgegen dieser Lüge natürlich bis zum Ende der DDR gab, standen zuerst die Anstalten von Bautzen und Cottbus, wo die gefaßten Republikflüchtlinge oder die "Täter" mit Verbindungsaufnahme in den Westen einsaßen.

Brandenburg dagegen war, will man dies in kühler Sachlichkeit feststellen, der Pool purer Kriminalität, das eigentliche Kernstück des DDR-Strafvollzugs. Hier ballten sich Jahrhunderte an Haftstrafen; und hier roch es nach moralischem Verfall wie kaum an einer anderen Stelle in der DDR. Zusätzlich zu den tatsächlich kriminellen Tätern verwahrte die Brandenburger Strafanstalt auch politische Häftlinge mit entsprechend höherem Strafmaß. Einer von ihnen war der Autor des vorliegenden Buches, Alexander Richter, der in den achtziger Jahren in Brandenburg eine sechsjährige Haftstrafe gemäß Paragraph 106 des DDR-Strafgesetzes - "Staatsfeindliche Hetze" - zu verbüßen hatte. "Hetze" ist ein scharfes Wort, mit dem man damals politische Untergrundtätigkeit asso- ziierte. Nicht so bei Richter: Ihm nahm man ein Buch übel, in dem er die DDR so aufgezeichnet hatte, wie sie in Wirklichkeit war und wie sie heute nur noch wenige wahrhaben wollen. Richter hatte mehr als vier Jahre daran gearbeitet und an jedem zweiten Tag einen Brief mit den Manuskriptfortsetzungen in den Westen geschickt, wo es gesammelt wurden. Daß die Stasi gegen ihn einen "Operativen Vorgang" eingeleitet hatte, konnte er allenfalls ahnen.

Mit seinem Brandenburg-Buch ist Richter nun ein einmaliger Wurf gelungen, der sich mit Büchern von Loest oder Kempowski durchaus messen kann. Auf der scheinbar einspurigen Ebene des Ich-Erzählers Gottfried Feder entwickelt Richter einen spannenden Handlungsstrang, über den sich, man merkt es kaum, immer wieder Parallelhandlungen, Rückblenden und Gedankenvariationen ver-ästeln. Dazu kommen die Charaktere der vielen Mitgefangenen, die in unaufdringlicher Intensität beschrieben werden, die ständige Gewalt, die Augenblicke von Panik und Verzweiflung sowie die einfachen Beschreibungen des Knastalltags. Richter versteht es, Gefühle zu schildern, die einfach und für den Leser eigentlich doch so fern sind. Er präsentiert authentische Dialoge und bringt dabei die Umgangssprache der Mitgefangenen so herüber, wie sie im Gefängnis war und ist. Und er läßt immer wieder die furchtbaren Delikte einfließen: Es ist der Alltag der Kriminalität, der in der DDR sorgsam verborgen gehalten wurde. Mörder, Räuber, Diebe - das waren die Leute, die die Ideologie der "Klassiker" und die politische Taktik der regierenden Kommunisten nicht vorsah. Aber es gab sie in großer Zahl. Sie waren ein Produkt des real existierenden Sozialismus; kein absterbendes Überbleibsel.

Brandenburg als soziale Endstation. Die Gefangenen wissen es. Die einen resignieren, die anderen gaukeln sich das Ende ihrer kriminellen Laufbahn vor und kehren doch - ausnahmslos - irgendwann wieder hierher zurück. Allesamt armselige Kreaturen. Ungeachtet der Auseinandersetzungen, Schlägereien, derer sich der Handlungsheld zu erwehren hat, ungeachtet seiner psychischen Tiefs, seiner Ängste setzt er sich gedanklich mit der Situation der Mitgefangenen auseinander.

Auf der anderen Seite sind da die wenigen politischen Gefangenen. Geprägt durch Egoismus, zeigen die meisten nur wenig Solidaritätsgefühl. Der Transport in den Westen, das ist ihr Thema. Es läßt die Gerüchteküche brodeln und all die skurrilen Auswüchse zu einem Farbtopf der unglaublichsten Phantastereien werden. Dazu die Spekulationen über den späteren Wohlstand im Westen: Autos, Reisen, ein schönes Leben.

Dieses Buch liest sich erschreckend schnell durch. Unerheblich, daß auf 572 Seiten nur vier Wochen Haft beschrieben werden. Aber es sind gerade die Details, die den Gesamteindruck ausmachen und den sozialen Sumpf der Knastwelt so deutlich werden lassen.

Nicht zuletzt bedenke man den Vergleich mit den heutigen Haftbedingungen der Politbürokraten. Entlassung wegen krankheitsbedingter Haftunfähigkeit verbunden mit einer selbstverständlich gesetzlich geregelten Haftentschädigung; Gnadengesuche gar. Ein Schaudern muß Kundige wie Betroffene erfassen! In Brandenburg gab es kein Pardon. Da wurde geschunden, und wer das Pech hatte, krank oder alt zu sein, der mußte halt krepieren. Diskussionen über den Hafturlaub der ehemaligen politischen Prominenz der DDR driften vor diesem Hintergrund ins Absurde. W. Mayer

Alexander Richter: "Zuchthaus Brandenburg", First minute Taschenbuchverlag, Emsdetten 2003, 572 Seiten, 17,90 Euro