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06.12.03 / Ein Seminar im Ostheim setzte sich intensiv mit dem Wirken der großen Dichterin auseinander

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 06. Dezember 2003


Miegels Werk neu entdeckt
Ein Seminar im Ostheim setzte sich intensiv mit dem Wirken der großen Dichterin auseinander

Im Ostheim in Bad Pyrmont fand ein Agnes-Miegel-Seminar statt, welches die Landsmannschaft Ostpreußen e.V. und die Agnes-Miegel-Gesellschaft e.V. gemeinsam organisiert hatten. Über vierzig Teil- nehmer hatten sich eingefunden und bekundeten ihr ernsthaftes Interesse, sich ein ganzes Wochenende intensiv mit Agnes Miegels Leben und Werk auseinanderzusetzen. Tatsächlich beleuchteten die einzelnen Vorträge neue Aspekte und Sichtweisen, die über das allgemein Bekannte hinausreichten, neue Denkanstöße oder Einsichten vermittelten und in jedem Fall dazu anregten, die Werke der großen Dichterin wieder zur Hand zu nehmen und neu zu entdecken.

Märchenhaft war der Auftakt des Seminars, als die Märchenpädagogin Sabine Crone ihr Publikum in die ostpreußische Märchenwelt entführte. Wortgetreu erzählte sie zunächst ein Schwanenmärchen, das sie gemeinsam mit ihrem Mann Dr. Holger Crone einfühlsam musikalisch umrahmte. Agnes Miegels Gedicht "Der Tanz" stimmte auf den Höhepunkt des Abends ein: Agnes Miegels Märchendichtung "Die weißen Tauben" handelt von zehn Schwestern, die den Tanz über alles lieben und an einem Abend gleichzeitig an der Pest sterben. Einige Generationen später begegnet ihnen ein Blutsverwandter noch einmal, dem sie sich in Taubengestalt bemerkbar machen. Dies Kunstmärchen im Volkston nötigte den Zuhörern gleichermaßen Respekt ab vor der Gestaltungs- und Sprachkunst der Dichterin sowie der Sprechkunst der Vortragenden. Panflötenklänge, keltische Harfe, Gesang, Gitarre und Blockflöte unterstützten wiederum behutsam die Aussage und Atmosphäre des Erzählten. Reicher Beifall dankte dem Ehepaar Crone für ihre engagierte Leistung und die bewegende Einstimmung in das Seminarthema. Agnes Miegels dichterisches Wort lebt!

Am nächsten Tag ging es dann richtig "zur Sache". Da die vorgesehene erste Referentin, Dr. Simone Winko, erkrankt war und kurzfristig hatte absagen müssen, sprang Dr. Marianne Kopp, die 1. Vorsitzende der Agnes-Miegel-Gesellschaft, mit einem Ersatzvortrag ein und schilderte den Weg des Kindes Agnes zur Kunst. An verschiedenen autobiographischen Äußerungen zeigte sie die dichterischen Anfänge des jungen Mädchens, das schon früh mit großer Dichtung bekannt wird, den Zauber von Sprache und Metrik mit allen Sinnen erlebt und unsicher tastend erste eigene Verse verfaßt. Nachdem sie von Lehrerin und Familie zunächst nicht ernstgenommen wird und zeitweise selbst heftig an ihren Fähigkeiten zweifelt, wächst nach und nach ihr eigener hoher Anspruch an Lyrik, und sie findet zu ihrem ganz eigenen, unverwechselbaren Stil, wie er in ihrem aufsehenerregenden ersten Gedichtband 1901 bereits die Kritiker und Leser begeistert.

Anschließend befaßte sich Dr. Bodo Heimann mit den Motiven von Natur und Mythos in Agnes Miegels Lyrik. Unter dem Motto "Die Erde spricht" (wie ein Gedicht überschrieben ist) untersuchte er die mythischen und naturmagischen Elemente in zahlreichen Gedichten und Balladen und bezog auch die vielfältigen poetischen Formen mit ein. So ist der zärtliche Heimatgesang mit dem Titel "Mutter Ostpreußen" im klassischen Versmaß von Hexametern und Pentametern geschrieben, selbst die Zitate in der ostpreußischen Mundart fügen sich reibungslos ein und werden dadurch geadelt. Von verschiedenen Nuancen in der Personifizierung der Erde bis zu vorchristlichen Elementen in den frühesten Gedichten reichte das weitgefächerte Feuerwerk an Gedankenverknüpfungen und klugen Analysen des Kieler Universitätsgermanisten, der sein breites Hintergrundwissen souverän einbrachte.

Das Thema des nächsten Vortrags war die Bedeutung der Webkunst im dichterischen Werk Agnes Miegels. Dr. Marianne Kopp bezog sich auf eine Reihe von Texten, in denen Agnes Miegel die Webkunst zum Thema macht und zumeist als Sinnbild darstellt. Diese umfassen unter anderem eine feuilletonistische kleine Kulturgeschichte des Webens, Erinnerungsbilder aus der Kindheit der Dichterin, das Gedicht "Wunderbares Weben" (worin Gott das Schicksal der Menschen webt) und gipfeln in der großen Versdichtung "Arachne", die Agnes Miegel nach der antiken Stoffvorlage in sehr eigener Weise gestaltet. Dr. Kopp versuchte den Inhalt dieser schwierigen, bisher noch nie eingehend untersuchten Dichtung aufzuschlüsseln und verständlicher zu machen, ging auf kulturgeschichtliche Hintergründe und mythologische Andeutungen ein und zeigte, wie Agnes Miegel die berühmte Weberin zu ihrem eigenen Dichtertum in Beziehung setzt.

Dr. Sirgune Piorreck, die Tochter von Agnes Miegels Biographin Dr. Anni Piorreck, las Auszüge aus den (unveröffentlichten) Briefen vor, die die Dichterin während der Monate in Apelern und in den ersten Nenndorfer Jahren an ihre Mutter gerichtet hatte. Besonders hob sie dabei die schönen Formulierungen und bemerkenswerte Details hervor und illustrierte, wie lebendig und oft humorvoll Agnes Miegel sich äußerte, selbst wenn sie sich gar nicht wohl fühlte. Am 24. Februar 1949 aber meldete sie mit tiefer Erleichterung, daß sie nun endlich amtlich "entbräunt" sei; ihre Einstufung in Klasse 5 bedeutete "unschuldig = unbelastet". Seit ihrer offiziellen Entnazifizierung war sie in der Öffentlichkeit wieder gefragt und erfuhr nach einer Zeit, in der sie "innerlich gereibeisent" war und ihre "Muse den Schnupfen" hatte, dichterischen Auftrieb und konnte wieder schreiben, selbst wenn ihr äußeres Leben mitunter hektisch war.

Ein ganz neues Thema hatte die junge polnische Germanistin Dr. Wioletta Knütel mit Sorgfalt und Liebe recherchiert: "Agnes Miegel aus polnischer Sicht". Die große ostpreußische Dichterin ist in Polen leider kaum bekannt, und nichts von ihren Werken wurde ins Polnische übersetzt. Laut den Richtlinien des Ministeriums gehören ihre frühen Balladen zwar zur Pflichtlektüre für Germanistik-Studenten, aber nur ganz wenige polnische Literaturwissenschaftler haben sich mit ihrem späteren Werk befaßt. In den 70er Jahren löschte der Wissenschaftler Orlowski in Polen jegliches Interesse an Agnes Miegel, indem er sie in seinem literaturgeschichtlichen Standardwerk als Nazidichterin aburteilte. Erst in den 90er Jahren nahm Prof. Namowicz Agnes Miegel genau unter die Lupe und betrachtete sie als Dichterin des Grenzlandes, von deren Werk nur weniges für den Nationalsozialismus verwendbar war. Seinem klärenden Vorstoß müßte eine verstärkte Miegel-Forschung folgen, aber noch heute wird Agnes Miegels Werk in Polen sehr unterschätzt und kaum wahrgenommen.

Der letzte Vortrag befaßte sich mit einem Aufsatz von Apollinaria Suewa, der Kaliningrader/Königsberger Lyrikerin und Übersetzerin poeti-scher Texte. Brigitte Schulze, die etliche Gedichte der sensiblen russischen Lyrikerin ins Deutsche übertragen hatte, hat sich nun einfühlsam ihres Aufsatzes über das Miegel-Gedicht "Abschied von Königsberg" angenommen. Die eingehende sprachliche Analyse kreist immer wieder um Gedanken zu einer adäquaten Übersetzung des Gedichtes, die Frau Suewa mit größter Sorgfalt und Behutsamkeit vornahm. So entdeckte sie, daß die Melodie einer Sarabande von J. S. Bach zu den Anfangszeilen des Miegel-Gedichtes paßt - und glich ihre Übersetzung ins Russische dem deutschen Rhythmus genau an, der die Stimmung und Atmosphäre des kreisenden Todestanzes unterstützt. - Noch vielen Miegel-Gedichten wäre eine solche Übersetzung zu wünschen, die den sprachlichen und inhaltlichen Nuancen-Reichtum so tief als möglich auszuloten bemüht ist!

Alle Referenten hatten sich mit bewunderungswürdigem Fleiß und Engagement vorbereitet und trugen das Erarbeitete ansprechend und überzeugend vor. Überdies leitete und moderierte Dr. Sebastian Husen das Seminar und alle Diskussionen so dynamisch und ausgewogen, daß der Blick auf das große Thema "Agnes Miegel" stets gewahrt blieb. Die Vielfalt der Themen und Referenten weckt Zuversicht, daß auch in heutiger Zeit Agnes Miegels Werk Leser, Künstler und Forscher nachdrücklich zu einer eingehenden Beschäftigung einlädt und Früchte zeitigt, die in die Zukunft tragen. Mk

Mit viel Liebe und Sorgfalt beschäftigt sich die junge Referentin mit Agnes Miegel: W. Knütel. Foto: mk