20.04.2024

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20.12.03 / 27.12.03 / Die Goldfüchse

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 20. u. 27. Dezember 2003


Die Goldfüchse
von Ingeborg F. Schaele-Stammelbach

Vom Herrenhaus wehte Lachen und Musik herüber. Es war die Zeit der Winterbälle. Was war denn außerdem viel los in der ruhigen Zeit nach dem Weihnachtsfest? Jagd und Tanz, sonst war es still und langweilig in "des deutschen Reiches Streusandbüchse" an der Oder. Die Gutsherrin, die man auch die "Majorin" nannte, hatte zur Soiree geladen. Eine günstige Gelegenheit für die jungen Baro-nessen ringsum, die dann Ausschau hielten nach einem Bewerber um ihre Hand. Für die jungen Offiziere aus den umliegenden Garnisonen war es oft ein Glücksfall, sich schuldenfrei zu machen.

Draußen vor dem Herrenhaus - im Dorf nannte man den eher bescheidenen Bau auch das Schloß -, stand der Kutscher Wilhelm am Rondell. Mehrere Fahrten am Abend zu den verschiedensten Herrensitzen hatte er schon hinter sich und die illustren Gäste abgeholt. Vor ihm standen seine zwei Braunen mit blankgeputztem Geschirr. Wilhelm nannte sich "herrschaftlicher Kutscher", und er war sehr stolz darauf. Er war ein großer schlanker junger Mann, der bei der Garde des Kaisers Rock getragen hatte. Er verstand etwas von Pferden, stammte er doch von einem Bauernhof im Oderbruch. Der "Gnädigen", der "Majorin", hatte dieser gut aussehende stramme Preuße gefallen, und so wurde er schon bald der "herrschaftliche Kutscher".

An diesem Abend hatte er die Order bekommen, die Pferde um elf Uhr bereitzuhalten für die Rückfahrt, aber die Zeit war längst vorüber. Immer wieder bewegte er die Kutsche um das Rondell herum. Vom nahen Kirchturm hatte die Glocke längst die späte Stunde geschlagen.

Die Musik spielte nun den Walzer der "Dollarprinzessin" - die Operette war damals "en vogue". Ein paar Gäste, ältere Herrschaften, waren zwar schon gefahren, aber die Jugend fand wohl kein Ende. In das Lachen klangen die Stimmen der schon etwas angeheiterten Leutnants. In der dunk-len Nacht hatte es leicht zu schneien angefangen. Auf dem Woilach der Pferde glitzerte es, und auf der fernen Oder krachte das Eis.

Endlich kamen die Balldamen, erhitzt und übermütig sprangen sie in die Kutsche, begleitet vom Sohn des Hauses, dem Majoratserben. Er öffnete galant den Schlag, knallte die Hacken zusammen, beugte sich über die Hand der Schönen, für die er entflammt war. "Enchanté", hauchte er, und sie errötete. Wilhelm hatte ein feines Gespür dafür, da hatten sich zarte Fäden gesponnen und das Mädel hatte auch Geld! Nun hörte man auch den sonoren Baß des begleitenden Onkels. Er trat an den Wagen, öffnete seine goldene Sprungdeckeluhr und sagte: "Es ist mal wieder spät geworden, nun fahr Er los!" - Die Pferde zogen an, und los ging es in die eisige Winternacht. Bevor der alte Baron, der als gerngesehener Gast das Gut oft besuchte, den Wagen bestieg, drückte er dem Kutscher Wilhelm ein Goldstück in die Hand, es glitzerte im Mondenschein. Wilhelm dankte und steckte es in seine Tasche.

Das war so Brauch, man zeigte sich allgemein generös, am reichlichsten gab es die Goldstücke bei den Jagdgesellschaften, an denen auch der Kaiser schon einige Male teilgenommen hatte. "Goldfüchse" nannte die Majorin die Goldstücke, und sie liebte diese ganz besonders.

Nach einer guten Stunde kam Wilhelm nun mit seinem Kutschwagen zurück. Das Herrenhaus lag schon fast im Dunkel, die Musik war längst verklungen, nur die Terrasse war noch von zwei Kandelabern leicht erleuchtet. Dort stand im Halbdunkel die Majorin und wartete auf ihren heimkehrenden Kutscher. Die Gnädige kam auf ihn zu, er stieg ab, und sie fragte ihn: "Wilhelm, wie viele ‚Goldfüchse' hat Er heute?"

Der Kutscher faßte in die Tasche seiner Pelerine und ließ die "Goldfüchse" Stück für Stück in ihre behandschuhte Rechte gleiten. Diese verschwanden - wie immer - blitzschnell in ihrem Pompadour. Sie ging ins Haus, und Wilhelm brachte ermüdet und durchgefroren seine Pferde in den Stall. Ein langer Tag ging zu Ende.

Ja, Wilhelm war ein gutmütiger Mensch, er hatte ja auch auf Weisung der Majorin die hübsche, rotblonde Marie, die blutjunge Köchin, heiraten müssen, damit das Kind, das sie erwartete, einen Vater bekam. Der junge, flotte Gutserbe stand auch bei der Garde, und sollte er deswegen sich seine Karriere verderben, wegen einer Affäre mit einem Bauernmädchen? Wilhelm rettete die Situation, still und verschwiegen, wie er war, und gab dem Kind seinen Namen. Er regelte eben alles, die Sache mit den "Goldfüchsen" und auch die Vaterschaft.