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10.01.04 / Olymp am Neckar / 100 Jahre Schiller-Nationalmuseum

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Januar 2004

Olymp am Neckar / 100 Jahre Schiller-Nationalmuseum
von Prof. Dr. Rüdiger Ruhnau

Im Norden Griechenlands liegt der 3.000 Meter hohe Berg Olymp. Den alten Griechen galt der Berg als Sitz der Götter, auf ihm wohnte Zeus, der oberste aller Götter und überschaute

die ganze Erde. Auch das beschauliche Städtchen Marbach am Neckar hat seinen Olymp. Auf einer Anhöhe, hoch über dem Neckar, steht das Schiller-Nationalmuseum, das 1903 der Öffentlichkeit übergeben wurde. Marbach ist der Geburtsort des großen deutschen Nationaldichters Fried-rich von Schiller (1759-1805), der noch vor seinem frühen Tod vom Kaiser geadelt wurde.

Eine Sammlung von Dokumenten und Zeugnissen zu Leben und Werk Schillers gibt es schon lange in Marbach. 1857 hatte der rührige Marbacher Schillerverein das Geburtshaus des Dichters erworben und zur 100. Wiederkehr des Geburtstages in eine Gedenkstätte umgewandelt. Im 19. Jahrhundert feierte die Welt Schillers Geburtstage mit Fahnen, Festzügen und Banketten. 1876 ließ Kaiser Wilhelm I. aus erbeuteten französischen Kanonenrohren ein ehernes Standbild des Dichters gießen, das bis heute die Marbacher Schillerhöhe schmückt. Als man einige Jahre später in der Stuttgarter Technischen Hochschule eine Ausstellung schwäbischer Dichter präsentierte, war der Marbacher Schillerverein derart begeistert, daß er alles daran setzte, eine ähnliche Ausstellung auch in Schillers Geburtsstadt zu zeigen. Für das geplante Museum gründete man einen Trägerverein, dessen Patenschaft der württembergische Kö- nig übernahm, in ganz Deutschland traten Personen, Gesellschaften, sogar viele Städte dem neuen Verein bei.

Von allen Seiten kamen plötzlich Stiftungen, trafen Manuskripte, Briefe, Bilder, Devotionalien für das entstehende Museum ein. Die finanziellen Zuwendungen erreichten eine beachtliche Höhe, so daß auf einem vorzüglichen Platz, in beherrschender Lage über dem Neckartal, mit dem Bau eines repräsentativen Museums begonnen werden konnte. Der Entwurf des Stuttgarter Architekten Eisenlohr ist den Schlössern des Herzogs Carl Eugen, Solitude und Monrepos, nachempfunden: ein kuppelgekrönter Mittelbau zwischen zwei niedrigen Seitenschiffen. Die strenge Pilastergliederung verleiht dem zweigeschossigen Prachtbau den Eindruck freundlicher Noblesse.

Mit einer umfassenden Dokumentation zu Leben und Werk Friedrich Schillers versucht die Dauerausstellung im Nationalmuseum, den Besuchern die Bedeutung des Dichters nahezubringen. Der junge Schiller wurde nach mehrjährigem Studium an der Herzoglichen Militärakademie in Stuttgart (Hohe Carlsschule) zum Regimentsarzt verpflichtet. Er entfloh dem ihm nicht gemäßen Zwang, Schiller wollte als "freier Schriftsteller" sein Leben bestreiten. Eine fast lebenslange Schwächung des Körpers durch die "Tyrannis der Krankheit" konnte ihn von diesem Ziel nicht abbringen. Neben dem unsterblichen dramatischen und lyrischen Werk stehen die "Brotarbeiten" des Historikers, die philosophisch-ästhetischen Schriften sowie seine Autor- und Verlegerschaft verschiedener Zeitschriften ("Die Horen", "Musenalmanach", Thalia"). Schillers Balladen entstanden im Wettstreit mit Goethe; und bis heute gehören "Kabale und Liebe", "Don Carlos", "Wallenstein", "Maria Stuart", "Wilhelm Tell" und "Die Räuber" zum festen Repertoire der deutschsprachigen Bühnen. Nach der Mannheimer Uraufführung der "Räuber" im Jahr 1782 wurde die Buchausgabe des Schauspiels zu einem beispiellosen Erfolg. Interessanterweise lieferte der Maler-Radierer Daniel Chodowiecki die ersten einfühlsamen Darstellungen zu Schillers Erstlingsdrama, die auch im Nationalmuseum gezeigt werden.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde der gesamte Bestand in ein Salzbergwerk eingelagert; doch die Marbacher hatten Glück, das Gebäude erlitt keine Schäden und der Museumsbestand blieb unversehrt. Mit der Übergabe des wertvollen Archivs des Cotta-Verlags begann eine neue Zeit auf dem Olymp. Johann Friedrich Cotta war durch seine persönlichen Beziehungen besonders zu Goethe und Schiller der bedeutendste Verleger der klassischen deutschen Literatur. Ein riesiges Konvolut von Manuskripten, Geschäftsakten, Briefen von Dichtern und Gelehrten wie Schiller, Goethe, Kleist, Uhland, Mörike, Alexander von Humboldt löste eine Art Initialzündung aus: Die Sammlung für schwäbische Dichter gedieh zu einem Archiv für deutsche Literatur. 1955 gründete man das Deutsche Literaturarchiv, gleichzeitig entstand aus dem schwäbischen Schillerverein die Deutsche Schiller-Gesellschaft.

Marbach wurde, neben Weimar, zu einem Mittelpunkt der deutschen literarischen Welt, zur großen Sammelstätte für neuere deutsche Literatur von 1750 bis zur Gegenwart. Literaturfreunde und Germanisten aus aller Welt machen regen Gebrauch von der außerordentlichen Vielfalt der Bestände. Erweiterungsbauten mußten erstellt werden, um die Bücher, Handschriften, Bilder, Plakate und Erinnerungsstücke aus Dichterhäusern unterzubringen. Der Olymp mußte unterhöhlt werden, um Platz für Magazine zu schaffen. Am 10. November 2003 (Schillers Geburtstag) erfolgte der erste Spatenstich für ein Museum der Moderne, dort sollen dann Archivbestände aus dem 20. und 21. Jahrhundert sowie Wechselausstellungen zu sehen sein. Bauherrin des 11,8 Millionen teuren

Projektes ist die Deutsche Schillergesellschaft, die Finanzierung übernehmen je zur Hälfte der Bund und das Land Baden-Württemberg.

Großzügige Lese- und Studienräume gestatten den vielen auswärtigen Wissenschaftlern ein subtiles Studium der originalen Dokumente. So hatte beispielsweise der vor 75 Jahren verstorbene ostpreußische Dramatiker und Erzähler Hermann Sudermann (1857-1928) seinen literarischen Nachlaß testamentarisch der Cottaschen Verlagsbuchhandlung überlassen. Dieser umfangreiche Nachlaß befindet sich jetzt in Marbach, er enthält Werkmanuskripte, Kladden und Notizen, Geschäftspapiere, Drucksachen, Fotos und Tagebücher. Die Tagebücher blieben nach Sudermanns Bestimmung bis 1958, dreißig Jahre nach seinem Tode, versiegelt. Beim Auspacken fand sich in einem der Pakete eine geladene Pistole. Auch der schriftstellerische Nachlaß von Hans Grimm (1875-1959), dem Autor des 1926 erschienenen Romans "Volk ohne Raum", befindet sich im Deutschen Literaturarchiv; vorhanden sind sämtliche Buch- und

Aufsatzmanuskripte, daneben Grimms umfangreiche Korrespondenz. Ein Besuch im Schiller-Nationalmuseum ist auch für Laien sehr zu empfehlen. Mit einer Fülle von Bildern, die man nach didaktischen Gesichtspunkten aufgelockert hat, bieten die Ausstellungen ein bleibendes Erlebnis.

Das Schiller-Nationalmuseum in Marbach: Beherbergt Schätze deutscher Dichtkunst
Fotos (2): Archiv Ruhnau

Friedrich Schiller: Büste von J. H. Dannecker (1794)



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