Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
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Preußische Allgemeine Zeitung / 17. Januar 2004
Da besucht man ein befreundetes jüdisches Ehepaar. Beide
hochqualifizierte Musiker. Sie kommen aus Rußland. Leben seit wenigen Jahren in
Deutschland. Haben sich bestens hier eingerichtet. Sie spielt in einem bekannten
Orchester. Er unterrichtet in einer Jugendmusikschule. Und gerade haben sie
Besuch bekommen von einem Kollegen, mit dem sie einst zusammen studiert haben. Man sitzt zusammen im Restaurant. Und es tritt ein
deutscher Bekannter der beiden hinzu. Der hat an irgendeiner Schule unterrichtet
und ist gerade pensioniert worden. Seine Gesinnung immer noch deutlich
erkennbar. Einer jener Alt-68er, denen seit nunmehr mehr als 30 Jahren kein
Hauch des Zweifels an ihrer Überzeugung gekommen ist. Ein Gutmensch, wie er aus
jeder Karikatur entsprungen sein könnte. Er fragt den russischen Besucher, woher er denn komme. Die
Antwort: aus Königsberg. "Ach", so sagt der Gutmensch, "sie kommen aus
Kaliningrad?" "Nein," antwortet der Russe: "Ich komme aus Königsberg."
Und schon entspinnt sich ein Wortwechsel, der nur durch die Höflichkeit der
anwesenden Russen nicht zum Streit entartet. Der bundesdeutsche Gutmensch, der
pensionierte Oberstudienrat, beharrt nachdrücklich darauf: Der Mann kommt aus
Kaliningrad. Und der will nichts davon wissen. "Ich komme aus Königsberg." Diese Namensbezeichnung, so argumentiert der Gutmensch,
leistet jedoch hierzulande Revanchisten Vorschub. Leute, die möglicherweise auf
die Idee kämen, sich dieses Gebiet wieder zurückzuholen. Ein reaktionäres
Pack, das man wohl zu Recht von dort vertrieben habe. Und immerhin seien doch
jetzt dort alle Spuren der Vergangenheit ausgetilgt. Mit neuem Namen eine neue
Existenz geschaffen. Der Besucher aus dem ehemaligen Ostpreußen bleibt
höflich. Er lehne es ab, seine Stadt so zu nennen: Kaliningrad. Immerhin sei
dieser Herr Kalinin, zu dessen Ehren diese Stadt nach dem Krieg umbenannt worden
sei, einer der engsten Helfer, Mitläufer und Trabanten des Massenmörders
Stalin gewesen. "Keine andere Stadt im heutigen Rußland würde mehr diesen
Namen führen, die wäre schon lange umbenannt." Und dann die Frage an den
Deutschen: "Würden Sie gerne in einer Stadt leben, die heute noch den Na- men
Hermann-Göring-Stadt oder Himmler-Stadt tragen würde?" Nein, ich habe die Diskussion nicht protokolliert. Ich
habe den Streit nur aufmerksam verfolgt. Da der deutsche Gutmensch mit seinem
völligen Mangel an historischen Empfinden. Mit seinem dröhnend ausgebreiteten
guten Gewissen, seiner Selbstsicherheit, die ihn zu anderen Zeiten deutscher
Geschichte für andere Tätigkeiten und andere Auffassungen geradezu
prädestiniert hätte. In schlimmeren Zeiten, für schlimmere Positionen. Dort
der russische Musiker. Sensibler, empfindlicher und vor allem mit einem
ausgeprägteren historischen Bewußtsein ausgestattet. Der selbst die Leiden des
Krieges in Erinnerung hat. Der eine Diktatur erlebt hat, dessen Sinne geschärft
sind. Der nicht zu Schwarzweißdenken neigt, sondern zu differenzieren vermag. Für mich war diese Debatte eine Lehrstunde. Nicht nur in
deutsch-russischen Beziehungen. Nein, eine Lehrstunde auch in erbärmlicher
Flachheit der Diskussion, wie sie hierzulande meist geführt wird. Von Leuten,
die sich auch noch als Intellektuelle mißverstehen. Munter von der polnischen
Hauptstadt als "Warschau" reden, statt von "Warszawa", wie das auf
polnisch heißt. Aber von der Stadt Breslau mit ihrer jahrhundertelangen
deutschen Tradition und Kultur partout nur von "Wroclaw" reden. Wobei sie
diesen Namen noch nicht einmal korrekt aussprechen können. In diesem Land hat
die Dummheit gründlich triumphiert. Sie herrscht in Redaktionsstuben und auf
Bildschirmen, in Schulen und Universitäten. Da fragt man nicht nach Kenntnissen
und Wissen, sondern nach Gesinnungen. Hier werden Debatten geführt, seicht wie ein
Straßentümpel nach dem ersten Frühlingsregen. Ein sympathischer russischer
Musiker fährt zurück in sein verrottetes Königsberg. Mit den deutschen
Gutmenschen müssen wir leben. Umgekehrt wär es eigentlich schöner. (Der Autor ist Chefredakteur der Zeitung Extra Tip in
Kassel.)
Caro/Blume |