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17.01.04 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 17. Januar 2004

Pantoffel-Helden / Auch Struck im Schnäppchenfieber
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Der erste Wahlkampf des Jahres tobt in Hamburg. SPD-Bürgermeisterkandidat Thomas Mirow lächelt bereits locker von brandneuen Plakaten, während für den christ-demokratischen Amtsinhaber Ole von Beust bislang nur die abgestandenen Schwarzweißbilder aus 2001 vom CDU-Speicher geholt wurden. Auf den Bildern sieht Mirow richtig nett aus, locker - "dynamisch", sagt man wohl.

Im Straßenkampf mit den Wählern hingegen präsentiert sich ein anderer Mirow: er näselt selbst für die Hanseaten zu gespreizt, wirkt noch schwarzweißer als Beust auf den alten Fotos und weiß eigentlich gar nicht, was er sagen soll, wenn ihm Kamerateams und parteieigene Jubeljusos verdutzte Bürger zuscheuchen. Mirows immergleiches, immerschiefes Lächeln wirkt dabei, als habe ihm sein Wahlkampfleiter für den ungewohnten Gesichtsausdruck eine Spange eingesetzt, die ein wenig verrutscht ist. Die der SPD überwiegend freundlich gesonnenen Medien stutzen: "Wollen die mit Absicht verlieren?" fragt der Spiegel. Vor dem ersten Auftritt des Kandidaten räumten die Demoskopen den Sozialdemokraten immerhin noch gute Siegeschancen ein. Doch mit jedem Mirow-Auftritt in der Öffentlichkeit versinkt die rote Sonne tiefer im Hafenschlick. Zuletzt stand der Sozenpegel bei elenden 31 Prozent.

Die SPD-Strategen sollten schnell handeln, um das Ruder noch herumzureißen. Mirow könnte doch eine Weile Urlaub machen, etwa bis zum Wahltermin. Hamburg besitzt für solche Erfordernisse die unbewohnte Nordseeinsel Scharhörn. Dort gibt es außer Möwen, Robben und Strandhafer nichts als Dünen, hinter denen man den Kandidaten bis zum Urnengang verstecken könnte. Nach einer Weile würden die Hamburger den retuschierten Plakat-Mirow glatt für den echten halten - und vielleicht sogar wählen. Günstig wäre überdies ein handfester Skandal bei der CDU. Nichts mit Sex, für "so'n Kram" interessieren sich die Elbhanseaten nicht, wie der vergangene Sommer gezeigt hat. Etwas mit Geld wäre schick, so wie die Sache beim Commerzbank-Vorstand, der bei der Streichung der Betriebsrenten seine eigenen Ansprüche glatt übersehen hat. Mit Urgewalt stieg der Berliner Politprominenz angesichts einer solchen Frechheit das soziale Gewissen in den Kopf: "Instinktlos", donnert SPD-Generalsekretär Scholz, eine "Charakterlosigkeit" wittert der dauererregte SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler, auch FDP und Union nennen das Schauspiel "fatal" und "häßlich". Selten waren sich Politiker und Volk so einig in ihrem Abscheu gegen diese unverfrorene Bevorteilung einzelner. Altersbezüge, wie sie etwa Finanzminister Eichel später bekommen wird, kann schließlich jeder Normalbürger erwerben. Vor- ausgesetzt, er ist zusammen mit Martin Luther ins Berufsleben eingestiegen und hat seitdem lückenlos Beiträge entrichtet. Wer das versäumt haben sollte, ist selber schuld und muß sich seiner "privaten Verantwortung" gefälligst stellen.

Aber wie die private Vorsorge anstellen? Wir müssen schließlich alle sparen und schleichen nur mehr in grauen, vom Schnäppchenfieber geschüttelten Horden durch die Wühltischabteilungen. Die Händler machen panisch mit: immer mehr Leistung für immer weniger Geld versprechen sie. Davon will auch Peter Struck seinen Teil abhaben und hat entschieden: "Mögliches Einsatzgebiet für die Bundeswehr ist ..." - nein, nicht bloß Deutschland oder Europa oder Afghanistan, sondern: " ... die ganze Welt!", zum halben Preis, versteht sich. Daher wird die Truppe erst mal ordentlich runtergesetzt: weniger Waffen, weniger Gerät, weniger Standorte, weniger Soldaten. Und wenn die pakistanische Kinderfabrik mit dem Herstellen der günstigen Armee-Gummistiefel nicht hinterherkommt? Dann bringen die Soldaten ihr Schuhwerk eben von zu Hause mit - als echte "Pantoffel-Helden", neben denen unser Verteidungsminister auch nicht mehr so dämlich aussähe wie derzeit zwischen den erwachsenen Soldaten.

Das klingt alles etwas mickrig, zugegeben, aber war denn früher wirklich alles besser? Der Blick in die Geschichte zieht allen Romantikern einen Scheitel. "Die ganze Welt!" - davon mochten unsere Vorväter nicht einmal träumen. Sie faselten vor über hundert Jahren nur schüchtern von Deutschlands "Platz an der Sonne". Herausgekommen sind ein paar magere Kolonialfetzen, in denen die Urgroßväter allerdings Übermenschliches zuwege brachten.

Einen dieser Vorfälle besühnen wir dieser Tage. 1904 tötete die deutsche Schutztruppe in Südwestafrika den Berichten zufolge 65.000 bis 100.000 Herero von den insgesamt 35.000 Herero, die es damals gab. 1905 zählte man nur noch 24.000 Angehörige dieses Stammes, plus einige tausend, die sich zu Nachbarstämmen geflüchtet hatten. Bitte prahlen Sie jetzt nicht mit Ihren in Vor-PISA-Zeiten erworbenen Mathekenntnissen und behaupten dreist, die Rechnung gehe nicht auf. Hier geht es um Schuld und Moral, also Klappe zu und Börse auf. Auch Hinweise, daß die Herero ihr "angestammtes Land" erst wenige Generationen vor den Deutschen entdeckt oder daß sie Anfang 1904 Windhuk belagert und deutsche Siedler samt Frauen und Kinder aufgeschlitzt hatten, sollen nur ablenken vom ethischen Kern aller Fragen: Geld. Vier Milliarden Dollar will Herero-Häuptling Kuaima Riruako von Berlin. Und er weiß auch schon, wie er sie bekommt: mit einer Sammelklage in den USA.

Amerikanische Richter lassen sich bei der Höhe deutscher Wiedergutmachungszahlungen bekanntlich nicht lumpen, so weit die gute Nachricht. Es könnte sich aber erweisen, daß Riruako in diesem Falle einen Punkt übersehen hat, der Irritationen jenseits des Atlantiks auslösen dürfte: Just in der Zeit, als die Deutschen die Saat späterer Sühne in Afrika legten, hatten die Amerikaner gerade erst ihre erzieherischen Bemühungen um die sogenannten Rothäute zum erfolgreichen Abschluß gebracht. Sicher, das läßt sich nicht vergleichen, weil ...

Zumindest haben die Amerikaner in einer öden Steppenlandschaft eine blühende Macht erschaffen, während die Deutschen vorhatten, aus Namibia so etwas zu machen wie ein vertrocknetes Niedersachsen. Ergo hatten die Herero recht in ihrem Kampf und die Indianer eben nicht. Wenn die Indianer das aber nun nicht einsehen und - ein günstiges Herero-Urteil im Rücken - gemessen an der Zahl ihrer eigenen Kollateralopfer das Hundert- oder Tausendfache der Riruako-Wunschsumme von Washington fordern? Berlin sollte sich aus Rücksicht auf unsere amerikanischen Freunde um eine außergerichtliche Einigung mit den Herero bemühen. Sagen wir - das Doppelte? Dann gäbe es wenigstens kein Urteil als Hebel für zik- kige Komantschen oder Sioux, mit dem diese undankbaren Kojoten die USA erpressen könnten.