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24.01.04 / Kokosnuß-Morde für Pisaland

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. Januar 2004

Gedanken zur Zeit: 
Kokosnuß-Morde für Pisaland
von Ulrich Schacht 

Am Ende eines jeden Jahres kommt auf Buchhändler und Literaturkritiker verstärkt Post zu. Das hat nichts mit Weihnachten zu tun, aber mit dem bevorstehenden Frühjahr: Die Verlage verschicken ihre Saisonprogramme. So auch Ende 2003, und jetzt sitze ich vor dem mächtigen Stapel mit elegant oder schreiend, cool oder klassisch gestalteten Bücherversprechen all der großen und kleinen, bekannten oder unbekannteren Unternehmen, die die Ware Buch an Mann, Frau und Kind bringen müssen und sich mit Hilfe der Kataloge bemühen, bei Buchhändlern und Journalisten Aufmerksamkeit für ihre Produkte zu erregen. Ich gebe zu, daß mir das Blättern in den bunten Heften nicht nur einfach Spaß machte, es erregte auch mich bislang ziemlich heftig, weil es noch jedes Mal einer spannenden Entdeckungstour gleichkam. Aber diese Erregungskurve fällt seit einiger Zeit kontinuierlich ab. Natürlich, ein Hanser-Katalog, um ein markantes Beispiel zu nennen, ist immer noch ein einziges Wunderland voller intellektueller und poetischer Überraschungen. Und auch bei einem der edleren kleinen Buchunternehmen, dem in Zürich angesiedelten Ammann-Verlag, werden wir Halbjahr um Halbjahr fündig, wenn es um gedruckte Juwelen geht: Im Februar werden hier die gesammelten Gedichte des in Weimar lebenden Lyrikers Wulf Kirsten erscheinen, eines der bedeutendsten deutschen Gegenwartspoeten. Natürlich sind die Programme vieler Verlage inzwischen sichtlich geschrumpft: Folge der Krise der Branche. 

Andere aber wurden nur bunter, beliebiger, flacher. Solche Verlage - einst mit großen Namen, heute Unterabteilungen in weltweit operierenden Medienkonzernen - machen nun ihre Kataloge auf mit dem 45. Krimi eines internationalen Genre-Stars oder dem ersten eines Thriller-Königs aus Tonga, der auch schon verfilmt wird für alle, die noch nicht auf Tonga waren. Kokosnuß-Morde für Pisaland: "Das will ich seh'n!" In den Katalogen, die mir jetzt auf den Tisch flattern, werden die Sachbuchteile schon mal eröffnet mit Titeln, in denen TV-Moderatorinnen sich als leidenschaftlich stillende Mütter outen, oder dubios nebentätige Nachrichtensprecher als Medienmoralisten. Und bei Hoffmann & Campe durfte kürzlich eine deutsche Reporterin ihr langes Berufsleben in Afrika ausbreiten - ein, wie wir lesen konnten, dramatisches Leben zwischen sich massakrierenden Völ- kern, dem sogar das eigene Kind zum Opfer fiel. Das Buch wurde natürlich ein Bestseller. Es hatte nur einen Nachteil: Es war schlichtweg erlogen. Da lob ich mir doch die neue Katalog-Transparenz des einstigen großen deutschen Verlagshauses Piper, das im Mai stolze 100 Jahre alt wird. Als ich sie mir näher unters Auge rückte, dachte ich zunächst, ein paar Warenhausprospekte hätten sich unter die Bücherkataloge verirrt. Starrte ich doch via Umschlag auf Regale in einer Edelboutique für Luxus-Klamotten und teure Sportware: Lackschühchen, Handtäschchen, Pumatreter. Aber keine Bücher. Dafür die Losung: "Piper. Bücher, über die man spricht." 

Und dann entdeckte ich zwischen all dem Schickimicki-Firlefanz doch noch zwei, ja, Bücher: einen Krimi aus dem Norden und das Kultbuch eines häßlichen Amerikaners, der sich ungeheuer progressiv gibt. Nicht, daß diese beiden Bücher nicht zwischen diese Turnschuhe und Diskotäschchen gepaßt hätten. Doch es dauerte, bis ich bereit war, weiterzublättern, nur um festzustellen, daß der Piper-Verlag im 100. Jahr seines Bestehens ganzen zwei deutschen Belletristen ein Forum bietet und im Sachbuchbereich rein gar nichts, was geistige Dauer verspricht. Aber Piper, das war einmal der Verlag von Denkern wie Hannah Arendt, Popper und Jaspers. Oder Dichtern wie Montale, Quasimodo, Cela! Tempi passati ... n Auf einer gut besuchten Veranstaltung der Hamburger Autoren-Vereinigung und der Konrad-Adenauer-Stiftung stellte Ulrich Schacht seinen neuen Gedichtband "Die Treppe ins Meer" vor. Die vom Autor vorgetragenen Gedichte weckten Vorfreude auf den in der Edition Toni Pongratz erscheinenden Band (zu beziehen über den Preußischen Mediendienst).