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24.01.04 / Schnittchen oder doch exotisch?

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. Januar 2004

Schnittchen oder doch exotisch?
Über die Küche von heute und ihre Auswüchse macht sich Christel Bethke Gedanken 

Willst nicht morgen zum Essen kommen? Ich koch' uns auch was Schönes." Evas telefonische Einladung klingt so, daß die Freundin nicht absagen kann, vor allem, als sie dann noch hört, es soll "Tunesisches" geben. Tunesisch? Dahin ging die letzte gemeinsame Reise der Freunde, und Adam starb bald danach. Erinnerungen, die gemeinsam getragen werden müssen. Wann fing das an, daß Kochen eine Bewertung erhielt, die der Freundin oft verdächtig erscheint? Es kommt ihr vor, als ob mehr Koch- als andere Bücher auf dem Markt erscheinen. Kein Fernsehkanal, auf dem nicht gekocht wird. Mit Prominentenplauderei und ohne. Keine Illustrierte ohne Rezeptseiten, die der Leser ausschneiden soll - und sammeln. Hat das auch mit Globalisierung zu tun? 

Im weitesten Sinne wohl schon. In jeder Straße riecht es bei uns wie im Orient. Nach Gewürzen, die manch deutscher Nase immer noch befremdlich sind. Man muß eben öfter verreisen. "Mi ist egoal, wovon ek mi satt eet", hatte Charlotte, die Großmutter, zur Tochter gemeint, als die wissen wollte, wie ihr das "Püree" geschmeckt hätte, das sie ihr ans erste und letzte Krankenbett gebracht hatte. Vielleicht der letzte Ausspruch, der nicht negativ zu bewerten ist. Ihr hatte tatsächlich immer alles geschmeckt, sie war nie "kankotsch" gewesen. Alle Lebensmittel waren damals noch naturbelassen und nicht wie heute oft naturidentisch. 

Wenn sie den Schinken vom Haken nahm, eine Scheibe herunterschnitt, auf das Holzbrett legte und dazu Brot oder Pellkartoffeln reichte, ergab das zusammen einen Geschmack, an den man sich noch im Alter erinnerte. Als Schmandschinken serviert, war er immer noch als Schinken erkennbar, und die Soße konnte selbst einen Schmandschmecker in Begeisterung versetzen. Der Abend ist schön. Das Wetter so, daß die Freundinnen auf der Terrasse essen können. Vorspeise: gebratene Artischocken, frische Feigen, Schinken. Danach Zitronensuppe, gefolgt von einem Salat, bestehend aus Orangenscheiben mit roten Zwiebelringen. Sehr apart. Und dann der Clou: der Tontopf, der drei Stunden im Ofen war und nun seinen Auftritt hat. Gefüllt mit Mandeln, Trockenpflaumen, Fleischstücken, Wein und anderen Ingredienzen. "Scheint etwas zu lange geschmort zu haben", meint Eva, die den Deckel lüftet und in der zähen Masse stochert. Oje, ojemine, die Paste, die aus den Zutaten entstanden ist, bringt jede Brücke in Gefahr. Lavieren. Hilfe. Gequältsein. Und dann noch der Geschmack des Kreuzkümmels! Gehört der nicht in die Türkei und hat den Bewohnern den Spitz- namen eingebracht? Wie auch immer, das gibt eine schlechte Nacht, weiß die Freundin; der Geschmack des Kümmels würde sie nach 48 Stunden noch nicht verlassen haben. 

Auf den zähen Nachtisch verzichtet sie weise. Ein Gebiß wie ein Kamel müßte man haben. Sie hört nur noch mit halbem Ohr, was Eva von ein bißchen hiervon, ein bißchen davon erzählt, vom Blanchieren, Soutieren, kommt erst zu sich, als sie hört: "... und wenn du nächstes Mal kommst, koche ich chinesisch." Verschwindet in der Küche, wo Berge von Geschirr auf den Abwasch warten und holt das schon aufgeschlagene chinesische Kochbuch: Ente mit acht Köstlichkeiten! Wie war doch die Schnittchenzeit einfach und gut. Die Gast- geberin besorgte erstklassige Auflage, belegte damit großzügig Brotscheiben, zerteilte sie und schichtete sie auf einer Platte gefällig an. Emma konnte das am besten. Toll, wenn sie mit der Platte am Abend ins Wohnzimmer kam, nachdem alle Themen durch waren: Politik, Kinder, der nächste gemeinsame Radausflug besprochen und vereinbart. Jeder erzählte seine Geschichte, und man hörte zu. Sicherlich war alles kleinbürgerlicher aus heutiger Sicht - wo man zu Schnittchen Canapé sagt. Dennoch will der Freundin scheinen, als ob mehr Substanz im Leben selbst lag, als sie abends mit dem Kreuzkümmel kämpft. Was die Chinesen wohl für Gewürze haben? Ach Eva, können wir nicht wieder Schnittchen machen? Und du malst die Ente mit den acht Köstlichkeiten auf die Leinwand, die seit Adams Tod verwaist auf der Staffelei steht? Ist der Pinsel schwerer zu handhaben als der Kochlöffel? 

Eva kann nämlich malen! Als die Zeit mit dem Hawaiitoast begann, die Käsewürfel - oben drauf 'ne Weintraube -, auf Spießchen gesteckt, serviert wurden, begann unser absteigender Aufstieg im kulinarischen Bereich. Bezeichnenderweise hieß damals ein Schlager "Mein Gott, was sind wir vornehm, so ausgesprochen vornehm ...". Schade, daß wir verlernt haben, unsere eigentlichen Bedürfnisse zu stillen. "Vorschläge sind auch Schläge", hatte eine mütterliche Freundin vor vielen Jahren angemerkt. Auch unter Freunden?