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24.01.04 / Polens Geschichtsbild im Wandel / Lycker Zeitung thematisiert Sowjetverbrechen an Deutschen (und Polen) und übt zumindest ansatzweise Selbstkritik

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. Januar 2004

Polens Geschichtsbild im Wandel
Lycker Zeitung thematisiert Sowjetverbrechen an Deutschen (und Polen) und übt zumindest ansatzweise Selbstkritik 

Unübersehbar macht Polen seit dem Ende des kalten Krieges und dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums einen Prozeß der Emanzipierung vom "Großen Bruder" im Osten durch. Nachdem es unter sowjetischer Oberhoheit jahrzehntelang dem "Befreier" aus dem Osten hatte huldigen und danken müssen, während die Deutschen als Feindbild und Prügelknabe herzuhalten hatten, ändert sich jetzt die Sichtweise. Russen werden nun zunehmend als Täter gesehen und - zumindest ansatzweise - Deutsche auch als Opfer. Ein bemerkenswertes Beispiel hierfür ist der Artikel "Lyck entronn dem Krieg, nicht aber den Sowjets", der in der Folge 5 der in Lyck erscheinenden Tageszeitung "Puls Elku", was soviel heißt wie "Puls von Lyck", am 5. dieses Monats erschienen ist. Die nachfolgende Übersetzung stammt von Gerd Bandilla, Kreisvertreter der Kreisgemeinschaft Lyck. Es ist noch nicht lange her, da wurden wir mit der Geschichte gefüttert, Lyck wäre durch die Rote Armee befreit worden. Am Denkmal, dem sogenannten "Für die Festigung der Volksmacht", wurden Blumen niedergelegt und blumige Reden gehalten. Geehrt wurden die Soldaten, die in der Zeit der Befreiung dieses Territoriums gefallen waren. 

Tödliche Unfälle sind in dieser Zeit selbstverständlich vorgekommen, aber durch unvorsichtiges Betreten der von den Deutschen gelegten Minen oder, noch häufiger, durch leichtsinniges Umgehen mit Waffen unter Alkohol, was in der Roten Armee niemanden verwunderte. Aber was war das für eine Befreiung, die Stadt hätte unfrei und bewaffnet sein müssen! Keine dieser Voraussetzungen war gegeben. Die hier wohnende Bevölkerung fühlte sich nicht unfrei, besonders zu Beginn des Jahres 1945, als hier die ersten Russen erschienen. Lyck war praktisch entvölkert. Die Einwohner Masurens sind in dem Wissen über die sich nähernden Rotarmisten einfach geflohen. Wen sollte da die Rote Armee und von welcher Unfreiheit befreien? Lyck abseits der Kriegshandlungen Der durchschnittliche Einwohner Lycks, der keine Zeitung las und in seiner nahen Familie keinen Mann im Einberufungsalter hatte, konnte nicht bemerken, daß sich rundherum die wichtigste und tragischste Begebenheit des 20. Jahrhunderts, wie es der Zweite Weltkrieg war, ereignen wird. In Wahrheit näherte sich Ende des Jahres 1944 die Ostfront der Stadt Lyck, hielt aber in Höhe von Augustow an. Im Norden breiteten sich die Einheiten der 2. Weißrussischen Front und im Süden die der 3. Weißrussischen Front unter Marschall Rokossowski aus. Am 19. Oktober überschritt die Sowjetarmee die Grenze des Reiches. 

Drei Tage später attackierten Einheiten der 31. Armee Goldap und nahmen die Stadt Anfang November ein. Nach einem Gegenangriff verstärkter deutscher Kräfte ging die Stadt wieder verloren. Die Kriegshandlungen erstreckten sich nicht auf den Kreis Lyck. Vorher hatte das Dritte Reich entlang der Grenze einen breiten Verteidigungsstreifen mit dem Namen "Koch-Wall" gebaut, der verbunden war mit dem Seen-System und den Wald-Komplexen, und der durchsetzt war mit einer Reihe von Bunkern, Schützengräben, Minenfeldern, Abwehr-Punkten und Draht- verhauen. Auf dem Gebiet der Kreise Goldap, Treuburg, Lyck und Grajewo wurden vier Befestigungslinien gebaut. An vielen Abschnitten wurden Bunker gebaut, auf jeden Quadratkilometer etwa zehn bis 16. Die ganze Zeit war das Verteidigungssystem mit dem Lötzener Befestigungsbezirk verbunden. Die Flucht Die städtische Bevölkerung begann erst im Jahre 1944 die Schwere des Krieges auf ihren Schultern zu spüren, als die Niederlage des Reiches sich abzuzeichnen begann. Dann erfolgte auch das Erarbeiten des Evakuierungsplanes für Ostpreußen. Er enthielt die Überführung der ganzen Bevölkerung und die Sicherung des Gewerbes und der Kommunalwirtschaft. 

Im Falle der Stadt Lyck betraf das die Wasser-, Elektrizitäts- und Gasversorgung, den Schlachthof, die Molkerei und andere Betriebe. Wenn eine Verlagerung nicht möglich sein sollte, so bestimmte der Plan die Zerstörung der wichtigsten Maschinen und Geräte. Ab dem 11. August 1944 begannen die Deutschen mit der Evakuierung der Bewohner der Dörfer, die östlich der Eisenbahnlinie Treuburg-Lyck-Prostken liegen. Die Menschen, flüchtend vor dem sich nähernden sowjetischen Militär, nahmen nur die notwendigsten Sachen mit. Fast die Hälfte der Einwohner des Kreises Lyck verließ bereits im August ihre Häuser und begab sich in die Orte im westlichen Teil des Kreises, später in die Umgebung von Mohrungen und von dort hauptsächlich nach Sachsen und Thüringen. Die verbleibende Bevölkerung, hauptsächlich aus den Gebieten östlich der Linie Prostken- Lyck-Fließdorf, wurde im November evakuiert. Im Herbst waren bereits 70 Prozent der Fläche (darunter auch Teile des Landratsamtes, Banken und Gewerbebetriebe) verlassen. Der Rest flüchtete im Laufe der folgenden Monate. 

Am 22. Januar um 20.30 Uhr fuhr der letzte Zug vom Bahnhof Lyck ab. Eine im Jahre 1954 durchgeführte Untersuchung ergab, daß in acht Gemeinden freiwillig einige alte Leute zurückgeblieben waren. In eine solche wirklich leere Stadt rückte am 24. Januar die 50. Armee des Generals Boldin ein. Arbeitslager für Deutsche Nicht alle Flüchtlinge erreichten ihr Ziel. Die Mehrheit hatte als Ziel die Sicherheit hinter der Oder, möglichst weit von der nach Westen vorrückenden Roten Armee. In der Umgebung von Königsberg und Pillau wurden viele Flüchtlinge aus dem Kreis Lyck von sowjetischen Soldaten angehalten. Die Flucht gelang nicht. Die Zivilbevölkerung mußte zurückkehren. Sie wurde in Ar-beitslagern zusammengefaßt: einige hundert in Grabnick und Fließdorf und annähernd 1.500 in Lyck. Die Russen hatten Erfahrung im Organisieren und Führen von Lagern. Das ganze Land war übersät mit GULags. 

Und wenn auch die Historiker noch nicht zu den archivarischen Quellen, die die Tätigkeit der sowjetischen Kommandanturen (Militärverwaltungen) im Bereich Ostpreußen betreffen, vorgedrungen sind, so muß man bekräftigen, daß sich die in diesem Land eingerichteten Lager generell von denen in der UdSSR nicht unterscheiden. Diese Lager bestanden bis zum Herbst 1945, in Lyck selbst länger. Nach der Übergabe der Macht an die Polen wurden die Deutschen ebenso - wie auch später von der Polizei - zur Zwangsarbeit gezwungen, unter anderem zum Aufräumen des von den Sowjets Vernichteten. Die Militärkommandantur selektierte die Gefangenen, von denen ein Teil für den "Aufbau von Kriegszerstörungen" im Inneren der UdSSR gebraucht wurde. Die Zivilbevölkerung konzentrierte sich in den Städten, in besonderen Straßen oder Stadtteilen, und auf dem Lande, hauptsächlich auf größeren Gütern. Aus ihnen und anderen, die aus Gebieten außerhalb Preußens herbeigeführt wurden (beispielsweise beim Viehtrieb oder beim Einsammeln und Transportieren von erbeuteten Gütern), wurden Arbeitsbataillone geschaffen. Plünderer und Sowjets Die sowjetischen Kommandanturen residierten anfangs nur in Lyck. Die Umgebung blieb ohne Kontrolle. Der ganze Kreis Lyck wurde von Plünderern heimgesucht. In der Zeit des Krieges hatten viele Polen die ersten Kontakte mit dem deutschen Land in Ostpreußen. Die Polen, die hier zur Zwangsarbeit waren, kehrten nach dem Krieg oft in dieses Land zurück, als Neusiedler oder, was öfter vorkam, um deutsche Beute zu machen. 

Aus Podlachien kamen ganze Kolonnen, manchmal sogar eskortiert durch die Polizei, in die sogenannten wiedergewonnenen Gebiete, mit dem Ziel der Ausfuhr der von den Deutschen aufgegebenen Sachen. Die Diebstähle wurden als Entschädigung für das Unrecht, das den Polen während des Krieges widerfahren war, behandelt. Den größten Teil der deutschen Sachen beschlagnahmten die Sowjets. Es ergab sich, daß sie die Einrichtung ganzer Betriebe mitnahmen (was die Deutschen vorher nicht gemacht hatten). So nahmen sie in der Gemeinde Fließdorf Schienen und Eisenbahneinrichtungen der dort verlaufenden Eisenbahn auseinander. Waggons wurden umgekennzeichnet und in das Innere der UdSSR verbracht. Es betraf praktisch das ganze bewegliche Vermögen, das von der Seite der evakuierten Bevölkerung zurückgelassen worden war. Oft kam es zur Zerstörung der Sachen. 

Die Russen kamen im Januar nach Lyck, der Winter 1946 [es muß wohl 1945 heißen, G. B.] war äußerst frostig, und sie verbrannten alles, was es gab, Möbel, Bücher. So verbrannten viele Häuser in der Stadt. Die im Frühling ankommenden Polen trafen oft vernichtete Gebäude an; das war keine Folge von Kriegshandlungen. Nach einigen Monaten des Regierens der sowjetischen Kommandanturen begann die Zeit der Doppelherrschaft durch die polnische Verwaltung, tätig auf Grund von Entscheidungen der PKWN, und die weiter vorhandenen Rotarmisten. Überall, wo sich Russen aufhielten, kam es zu Plünderungen, Überfällen und Vergewaltigungen, beklagten sich die ersten Siedler, unter ihnen solche, die aus den Ostgebieten und aus dem Bialystoker Land zuwanderten, aber auch Deutsche, die in ihre Häuser zurückgekehrt waren. Die damaligen polnischen Beamten schreiben sehr vorsichtig in ihren Berichten, daß sich die Stimmung der Gesellschaft bezüglich der Rotarmisten immer weiter verschlechtert. Vergewaltigungen und Plünderungen waren so häufig, daß die Siedler bei sich nähernden sowjetischen Soldaten ihr Anwesen verließen und in den Wald flüchteten. Bis heute erzählen Einwohner Lycker Dörfer von familiären Tragödien, wo vor den Augen der Mutter die junge Tochter vergewaltigt wurde. Die banditenhaften Überfälle der Soldaten, wenn sie auch nur den Charakter eines Zwischenfalles hatten, hemmten zeitweilig den Prozeß der Besiedelung. Die polnische Verwaltung beklagte das Fehlen von Verordnungen, welche die Beziehungen der polnischen Behörden zu den sowjetischen Kommandanturen regeln könnten. Man muß zugeben, daß diese "Freunde" ihr Primat kannten. Der sowjetische Kommandant gab dem Landrat Empfehlungen, mit denen sich dieser letztlich immer einverstanden erklärte. Offiziell übten die sowjetischen Kommandanturen ihre Macht in den Kreisen Lyck, Goldap und Treuburg nur bis zum Frühjahr 1945 [offiziell übergaben die Sowjets am 6. April 1945 Lyck den Polen, G. B.] aus. In der Praxis mußten die polnischen Behörden die Oberherrschaft der Roten Armee aber bis zum Herbst 1945 (am längsten im Kreis Goldap - bis zum Ende November) hinnehmen. 

Die Evakuierung und die Plünderung zerstörten die Stadt Durch die deutsche Evakuierung und durch das Regieren des sowjetischen Militärs erfuhren diese Gebiete gewaltige Zerstörungen. Unter den Städten litten am meisten Goldap (70 Prozent) und Treuburg (60 Prozent) und am wenigsten Lyck (30 Prozent). In Lyck unterlagen der Vernichtung die Produktionsbetriebe, die Handwerks- und Kommunalbetriebe; die Einrichtungen und Geräte waren nicht mehr zu gebrauchen. Vernichtet waren beispielsweise die Süßwarenfabrik, fünf Landmaschinen- reparaturbetriebe, ein Betrieb für Industrie- und Wirtschaftserzeugnisse, zwei Wäschereien (Färbereien), ein Betrieb für Zementerzeugnisse, sechs Ziegeleien, drei Schneidemühlen, eine Fabrik für Zigarrenverpackungen und -röstung, sechs Brennereien, zwei Kiesbetriebe sowie zwei Molkereien. In der Stadt war die Kanalisation und die Elektrizitätsversorgung außer Betrieb. 

Vernichtet waren der Bahnhof (die Sowjets brannten eine Etage des Bahnhofsgebäudes ab), der größte Teil der Bahnhöfe an der Strecke Lyck-Goldap und die Eisenbahnbrücke über den Bober, was den Verkehr auf der Strecke Lyck-Bialystok unmöglich machte. Auf Teilen einzelner Trassen waren die Eisenbahnschienen demontiert und ins Innere der UdSSR verfrachtet. So ein Lyck erhielten die Polen zum Ende des Jahres 1945.  

 "Lyck entronn dem Krieg, nicht aber den Sowjets: Ausschnitt aus der Seite 18 der Folge 5 vom 5. Januar 2004 der Lycker Tageszeitung "Puls Elku". Unter dem dort zu sehenden Foto von der Hauptstraße Lycks mit Kirche und Verkaufsbaracken steht (in deutscher Übersetzung): "Auf Lyck fielen während des Zweiten Weltkrieges keinerlei Sprengkörper, aber die Stadt wurde durch gewöhnliche Diebe zerstört."