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31.01.04 / Wie Deutsche in Rußland Theater machten / Vor dem deutsch-sowjetischen Krieg gab es in der Sowjetunion eine bemerkenswerte deutschsprachige Theaterlandschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / 31. Januar 2004

Wie Deutsche in Rußland Theater machten
Vor dem deutsch-sowjetischen Krieg gab es in der Sowjetunion eine bemerkenswerte deutschsprachige Theaterlandschaft

Das deutsche Theater in Rußland kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Als die Deutschen noch in ihrer autonomen Wolgarepublik lebten, konnten sie ihre Sprache und die Gepflogenheiten pflegen. 1930 wurde auf einen Beschluß der Regierung der Autonomen Sowjetischen Sozialistischen Republik (ASSR) die Gründung eines Theaters beschlossen, das aber erst ein Jahr später als "Deutsches Staatstheater" in der Hauptstadt der ASSR, Engels, seine Arbeit aufnahm. Später erhielt es den Beinamen "Akademisches Theater". Neben Stücken von wolgadeutschen Dramatikern wie Andreas Saks standen Klassiker wie Shakespeare, Schiller und Gogol auf dem Spielplan. Zwischen 1936 und 1940 erhielten die Schauspieler begleitenden Schauspielunterricht an führenden Theaterhochschulen der Sowjetunion.

Neben diesem sind als weitere deutsche Theater in Rußland vor dem deutsch-sowjetischen Kriege das Marxstädter Kolchos-Sowchos-Theater, das Kolchos-Sowchos-Theater Balzer, das Arbeiter- und Bauern-Theater in Odessa sowie das Deutsche Gebietstheater Dnepropetrowsk zu nennen.

Da die Kolchosen von Deutschen geleitet wurden, erlebte die deutsche Kultur in der Periode vor dem Krieg einen Aufschwung. 1935 wurde das Marxstädter Kolchos-Sowchos-Theater gegründet, dessen Leiter der Leningrader Regisseur Wladimir Krutschinin war. Er organisierte eine umfangreiche Theaterausbildung für die Mitarbeiter.

Auf Beschluß des Volkskommissariats für Bildung der autonomen Wolgarepublik wurde das Kolchos-Sowchos-Theater Balzer als Wander-Kolchos-Sowchos-Theater gegründet. Seine Mitarbeiter waren vorher in Laienspielgruppen und sogenannten dramatischen Zirkeln aufgetreten. Dennoch errang das Theater bedeutende Publikums-

erfolge. Die Theaterstücke wurden von Regisseuren und führenden Schauspielern des Deutschen Staatstheaters Engels einstudiert.

1933 wurde auf Beschluß des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Ukraine in Odessa ein Studio des Arbeiter- und Bauern-Theaters eröffnet. Seine Schauspieler waren ausschließlich Laien, die lediglich eine kurze, völlig unzureichende Ausbildung erhielten. Dieses Laientheater bildete den Grundstock für das spätere Allukrainische Deutsche Theater. Die künstlerische Leitung übernahm die deutsche Absolventin einer Moskauer Theaterhoch-

schule, Ilse Berend-Goa, der es gelang, aus jungen Schauspielanfängern durch systematische und kontinuierliche Arbeit ein Ensemble zu bilden, das auch anspruchsvolle und völlig unterschiedliche Werke der klassischen Dramatik bewältigen konnte.

Bereits 1931 war am Musik- und Theatertechnikum Dnepropetrowsk ein deutscher Sektor eingerichtet worden. In einem vierjährigem Studium erhielten die Absolventen eine Ausbildung zum Leiter für Dramen, Musikzirkel oder Chöre. 1935 wurde dann das Deutsche Gebietstheater Dnepropetrowsk gegründet, das von qualifizierten deutschen Theater-Emigranten geprägt wurde. Zum Repertoire gehörten Kleist und Büchner. Das Theater wurde jedoch nach nur zwei Spielzeiten wieder aufgelöst. Die verbliebenen Schauspieler sahen sich dem Beginn stalinistischer Repressalien ausgesetzt.

Mit dem Stalinterror schien sich auch das Ende einer deutschen Theaterkultur in Rußland anzukündigen. Es dauerte dann auch fast 40 Jahre, bis die Rußlanddeutschen wieder ihre Traditionen pflegen konnten.

Am 26. Dezember 1980 wurde in Temirtau in Kasachstan ein Deutsches Schauspieltheater eröffnet. Auf dem Festakt traten Absolventen der Theaterhochschule am Moskauer Maly-Theater, einer der renommiertesten Theaterschulen Rußlands, auf. Mit den Schauspielen erlebten deutsche Tradition und Bräuche, die zu Sowjetzeiten beständig unterdrückt wurden, einen neuen Aufschwung. Doch die einzige Hochburg der deutschen Kultur in der Sowjetunion, das Deutsche Theater in Temirtau, wurde 1989 nach Alma-Ata verlegt. 1994 mußte es seine Arbeit faktisch einstellen. Die Emigrationswelle nach Deutschland hatte auch das Publikum und die Schauspieler des Theaters erfaßt.

Weil er das Land, das ihm zur Heimat geworden war, nicht mit den anderen verlassen wollte, entschloß sich Viktor Pretzer, sein Glück im Königsberger Gebiet zu versuchen und gründete 1995 mit den verbliebenen Schauspielern seiner Truppe in Königsberg das Deutsche Nationaltheater. M. Rosenthal-Kappi

(Weiterer Bericht über das Deutsche Theater in Königsberg auf Seite 14)

Steht in einer großen Tradition: Der Intendant des Deutschen Theaters in Königsberg Viktor Pretzer in einer Szene nach Erzählungen des russischen Klassikers Anton Tschechow

Foto: Deutsches Theater in Königsberg