24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
14.02.04 / Keine Pose oder Phrase / Die Kunsthalle Göppingen zeigt das grafische Werk von Max Liebermann

© Preußische Allgemeine Zeitung / 14. Februar 2004

Keine Pose oder Phrase
Die Kunsthalle Göppingen zeigt das grafische Werk von Max Liebermann

Die Kunsthalle Göppingen genießt seit 1989 mit ihrem spannenden Programm zeitgenössischer Kunst einen internationalen Ruf. Mit der Kunststiftung Dr. Hans-Joachim und Elisabeth Bönsch hat sie zwei Jahrhunderte Kunstgeschichte hinzugewonnen. Rund 2.500 Druck-grafiken, Handzeichnungen, Gemälde und Skulpturen spannen einen Bogen vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Die Sammlung umfaßt unter anderem Werke von Francisco Goya, Henri de Toulouse-Lautrec, Max Liebermann, Max Slevogt, Käthe Kollwitz, Ernst Barlach, Oskar Kokoschka und Friedemann Hahn. Bis zum Neubau der Kunsthalle, der 2007 fertiggestellt sein wird, hat die Sammlung auf Schloß Filseck, etwa 40 Kilometer von Stuttgart entfernt, einen attraktiven Ort. Wechselnde monografische und thematische Ausstellungen eröffnen immer neue Blickwinkel.

Die Ausstellung "Max Liebermann. Das Lebendige ist das A und O aller Kunst" gibt mit rund 120 Grafiken einen eindrucksvollen Überblick über das Werk des deutschen Spätimpressionisten. In der Kunststiftung Dr. Hans-Joachim und Elisabeth Bönsch ist das grafische Werk Liebermanns fast vollständig vertreten. Handzeichnungen und einige Gemälde ergänzen den umfang- reichen Liebermann-Bestand auf Schloss Filseck (bis 21. März).

Seit den 1870er Jahren galt Max Liebermanns Interesse den Darstellungen von einfachen, arbeitenden Menschen, die mit genügsamer Selbstverständlichkeit ihrer Tätigkeit nachgehen. Allerdings wird gerade dieser Blick auf das Unspektakuläre zu einem Affront gegen den Geschmack der bürgerlichen Gesellschaft, welcher der junge Künstler als Sohn einer reichen jüdischen

Fabrikantenfamilie selbst entstammte. Mit seinen Alltagsszenen, seinen Darstellungen von Handwerkern, Bauern und Arbeitern wird Liebermann in den Augen der konservativen Kritik zum "Apostel der Häßlichkeit". In diesen Jahren wurde das geliebte Holland für ihn zu einer künstlerischen Wahlheimat. "In der Intimität liegt seine Schönheit. Und wie das Land, so seine Leute: nichts Lautes, keine Pose oder Phrase", schreibt Liebermann 1901. Noch dazu bot Amsterdam im Gegensatz zur rasanten Hektik anderer Metropolen eine überschaubare und anheimelnde städtische Atmosphäre. Liebermann war fasziniert vom Treiben im Amsterdamer Judenviertel. In zahllosen Blättern bannt er die Dynamik der Massen, die er in den späteren Studien fast expressiv auffaßt.

Bilden diese Studien einen Schwerpunkt der Ausstellung, so fasziniert in gleicher Weise die umfangreiche Gruppe der Strandszenen. An den Stränden von Katwijk, Scheveningen und Zandvoort, an Fluß- und Seeufern in Kösen und in Todtmoos im Schwarzwald wurde Liebermann immer wieder zum Beobachter des unbefangenen Badevergnügens. Nicht mehr dem tätigen Menschen gilt seine Aufmerksamkeit, sondern dem vom Alltag losgelösten, bürgerlichen Müßiggänger. Restaurant-Terrassen und Wirtshausgärten in Hamburg und Berlin, Seebäder und Promenaden sind die Orte der High-Society. Dabei bietet das mondäne sportliche Treiben, vor allem der Tennis- und Pferdesport mit seiner momentanen Bewegungsdramatik, die reizvollsten Motive. Zudem schuf Liebermann in seinen späteren Jahren eine umfangreiche Porträtgalerie, eine Art Who's who für die Jahre 1890 bis 1930. Kaum jemand mit Rang und Namen aus Kultur, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft fehlte.

Seit der Jahrhundertwende macht Liebermann verstärkt die eigene Erscheinung zum Gegenstand seiner künstlerischen Auseinandersetzung. Die Selbstbildnisse Liebermanns, die in der Kunststiftung Bönsch zahlreich vertreten sind, eröffnen einen nahen Blick auf die Person des Künstlers, der sich selbst charakterisiert. "Ich bin in meinen Lebensgewohnheiten der vollkommenste Bourgeois: ich esse, trinke, schlafe, gehe spazieren und arbeite mit der Regelmäßigkeit einer Turmuhr ... Mein Leben war und ist Mühe und Arbeit ..." Zusammen mit den Selbstporträts entfalten die Bilder aus dem Lebensumfeld des Künstlers, Darstellungen seiner Familie und seiner Villa am Großen Wannsee, ein lebendiges Bild des großen Spätimpressionisten und seiner Zeit.

In einem eigenen Kabinett, das die umfangreiche Werkschau Max Liebermanns ergänzt, schlagen sechs Bilddialoge einen Bogen zur Gegenwartskunst. Ausgewählte Arbeiten von zeitgenössischen Künstlern befragen die Liebermannschen Werke aus heutiger Sicht. Kgö

Max Liebermann: Selbstporträt (Foto: Kunsthalle Göppingen)