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06.03.04 / Die Schlonsaken: Suche nach Identität / Wurzeln der Autonomiebewegung in Oberschlesien

© Preußische Allgemeine Zeitung / 06. März 2004

Die Schlonsaken: Suche nach Identität
Wurzeln der Autonomiebewegung in Oberschlesien
von Renata Schumann

Seit der Wende macht sich in Oberschlesien die Autonomiebewegung der Schlonsaken bemerkbar. Nachdem die totalitären Verbote gefallen waren, bezogen immer mehr Menschen Stellung gegen die Verwahrlosung und Verwüstung ihrer Heimat.

Jene Alteingesessenen, die sich noch immer ihrem Land verbunden fühlten und nicht ausreisen wollten, beklagten den Egoismus des zentralistisch ausgerichteten polnischen Staates, der die gigantische und weltweit einmalige ökologische Katastrophe im Kohlerevier zu verantworten hat. Oberschlesien sah sich am Rande der Unbewohnbarkeit.

Die Oberschlesier selbst besannen sich auf Autonomieversprechen des polnischen Staates in den 1920er Jahren, aus der Zeit, als der Kernteil der oberschlesischen Industrieregion aufgrund des Versailler Vertrags unter polnische Hoheit gestellt wurde. Eine oberschlesische Identität wurde postuliert. Doch die war schwer definierbar.

Jetzt wirkten sich die durch die kommunistische Gewaltherrschaft verordneten Geschichtsfälschungen aus. Die Oberschlesier, die sich Schlonsaken nennen, wissen nicht recht, wer sie eigentlich sind. Selbst die sich großer Beliebtheit erfreuenden Wortführer reden oft an der Wahrheit vorbei. Nicht aus Absicht, sondern weil sich alle erst langsam aus dem Dickicht der Propagandalügen herausarbeiten müssen.

Dennoch oder eben deshalb wandten sich die Schlonsaken an die Warschauer Regierung, um die Zulassung einer oberschlesischen Nationalität zu bewirken. Man behauptete, eine "nationale Minderheit" innerhalb Polens zu sein.

Das Gesuch wurde abgelehnt. Danach scheiterten die Schlonsaken auch mit ihrer Klage vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg. Dazwischen lag eine allgemeine Volksabstimmung in der Republik Polen, die für eine eigene "nationale" Identität der Schlonsaken große Zustimmung brachte.

Wie auch immer: Eine Nation sind die Schlonsaken auf keinen Fall. Sie sind eine tragische ethnische Mischgruppe, deren Identitätsbewußtsein ein widriges Zeitgeschehen zerstört hat, eine Gruppe, beschädigt in ihrer Selbstwahrnehmung. - Wer aber sind die Schlonsaken genau?

Die einheimischen Oberschlesier, die nach 1945 aus verschiedenen Gründen in der Heimat geblieben sind - etwa dreißig Prozent der vorherigen Bevölkerung, die als Deutsche vertrieben und ausgesiedelt wurde -, bekennen sich heute teils als deutsche Minderheit, teils als Angehörige einer eigenen oberschlesischen Volksgruppe. Das Zusammengehörigkeitsgefühl dieser in Wahrheit zusammengehörenden Gruppe ist schwach und voller Widersprüche.

Diese Lage ist durch die engstirnigen nationalen Ideologien des 19. und den Terror beider Totalitarismen des 20. Jahrhunderts verursacht worden. Besonders während der Sowjetära wurde fast ein halbes Jahrhundert Geschichte nur gefälscht dargestellt, vor allem aber die 700jährige Anwesenheit und Aufbauarbeit der Deutschen im Lande verleugnet.

Inzwischen sickern auch in Oberschlesien allmählich die historischen Tatsachen durch. Man fängt an, sich mit der Besiedlung durch Deutsche zu befassen und darüber nachzudenken, daß die Schlesier zwar slawische Wurzeln haben, aber keine Polen sind. Schrittweise wird bekannt, daß die polnischen Aufstände während der Plebiszitzeit nach dem Ersten Weltkrieg von Polen aus initiiert und organisiert worden waren.

Für die Existenz und Anerkennung einer ethnischen Gruppe als Nationalität wären vor allem eine eigene Sprache sowie literarische Zeugnisse von Bedeutung. Letztere sind aber bei den Schlonsaken nur in Ansätzen vorhanden.

Die Chance, eine eigene Sprache zu erwerben, haben die Oberschlesier im 18. und insbesondere im 19. Jahrhundert verpaßt, als auch kleine Volksgruppen sich auf eine solche besannen und bestrebt waren, diese zu kodifizieren und literaturfähig zu gestalten.

Den Oberschlesiern wurde statt dessen vom preußischen Staat die polnische Sprache verordnet. Diese Entwicklung begann mit der zweiten bedeutenden Besiedlungswelle des Landes durch Friedrich den Großen, der der Bevölkerung im Geiste der Aufklärung Bildung beibringen wollte. Also wurden auch dort Schulen gegründet, wo eine vorwiegend ihren slawischen Dialekt sprechende Bevölkerung ihr karges, aber geruhsames Dasein fristete. Deutsche Siedler kamen hinzu.

Da es an Lehrern fehlte, setzte der Alte Fritz - ein genialer Ressourcenverwerter - ausgediente Feldwebel für den Schuldienst ein. Unterrichtssprache war das Deutsche. Das ging dort einigermaßen gut, wo eine vorwiegend deutschsprachige Bevölkerung lebte, nicht aber in den überwiegend slawischen Dörfern. So wurde die Bildungspolitik in Oberschlesien zum Problem für Berlin. Im Jahre 1787 gab der deutsche Pfarrer Johann Samuel Richter ein Memorial heraus, in dem er forderte, den Schulunterricht in Oberschlesien in der Sprache der Einheimischen durchzuführen. Doch konnte er sich damit nicht durchsetzen.

Bereits 1802 entstand statt dessen in Oppeln ein Lehrerseminar, in dem Lehrer und Priester außer auf deutsch auch in polnisch unterrichtet wurden.

Im Jahre 1819 polemisierte der Schulrat Benda erneut gegen die Benutzung des oberschlesischen Dialekts, der keine literarische Sprache sei. Er schrieb: "(...) auch die eigentliche polnische Sprache spricht es (das hiesige Volk; Anm. d. V.) nicht, sondern ein böhmisch-mährisch-polnisch-deutsches Gemisch, das in keiner Schriftsprache vorhanden. Dieses wahre Unglück kann meiner Einsicht nach nur dadurch behoben werden, wenn diese Sprache durch deutschen Unterricht so schnell als möglich vertilgt wird."

Wenig später (1822) gab die preußische Regierung einen Erlaß für das Posener Gebiet heraus, das im Zuge der polnischen Teilungen von Preußen annektiert worden war. Das Polnische sollte dort nach dem Wunsch der Bevölkerung in den Schulen eingesetzt werden und mit der deutschen Sprache gleichberechtigt sein.

Im Raum Posen lebte ebenfalls eine Mischbevölkerung, jedoch handelte es sich dort neben den in der Minderheit befindlichen Deutschen um patriotisch gesinnte Polen, während die Oberschlesier ja eine national indifferente Gruppe waren. Dennoch setzten die Mächtigen in Berlin Oberschlesien und die Provinz Posen gleich. Mit preußischem Elan begann man die polnische Sprache auch in den Schulen Oberschlesiens einzuführen. Das benachteiligte naturgemäß die deutschen Kinder und weckte wiederum Proteste.

Ein besonderes Verdienst bei der Einführung des Polnischen erwarb sich Bischof Bernhard Bogedain, ein Schlesier aus Glogau, der bei seinen Verwandten in Posen aufgewachsen und dort mit dem Freiheitsbestreben der Polen in Berührung gekommen war.

Bogedain, der gemäß den damaligen Gepflogenheiten für die Seelsorge wie für das Schulwesen zuständig war, verpflichtete alle Priester und Lehrer, sich die polnische Sprache anzueignen. Dazu stellte er vor allem Lehrkräfte und Geistliche aus dem Gebiet Posen ein, zum Teil überzeugte polnische Patrioten.

Es ist überaus bezeichnend, daß polnischerseits bis heute dem für das Polentum in Oberschlesien so verdienstvollen deutschen Bischof keine Anerkennung gezollt wird. In Oppeln, wo Bernhard Bogedain wirkte, gibt es nicht einmal eine Straße seines Namens. Das Wissen um ihn gelangt so nicht aus dem Kreis der Eingeweihten hinaus, denn die Tätigkeit dieses Bischofs steht im Widerspruch zu den gängigen nationalpolnischen Legenden vom Ur-Polentum der Schlonsaken.

Als dann Bismarck nach 1871 mit dem Kulturkampf das Polnische aus dem Schulwesen energisch zu verdrängen begann, kam es natürlich zu erbittertem Widerstand, zumal der Eiserne Kanzler nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch den Protestantismus favorisierte und somit den in Oberschlesien einflußreichen katholischen Klerus herausforderte.

Fortan wurde die Sprache, bislang ausschließlich als Bildungsinstrument betrachtet, in die politischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Polen einbezogen. Für die Deutschen gab es nun in Oberschlesien nur noch Deutsche und folgerichtig ausschließlich die deutsche Sprache, für die Polen nur noch Polen, also bloß das Polnische.

Die polnischen Aufstände nach dem Ersten Weltkrieg bildeten auf dieser Grundlage eines der dramatischsten Kapitel der Regionalgeschichte. Ähnlich folgenschwer erwies sich nur kurze Zeit später die Einführung der Volkslisten durch die Nazis aufgrund sprachlicher Kriterien. Die finale Tragödie aber folgte nach 1945, als der größte Teil der Bevölkerung vertrieben und später ausgesiedelt, der restliche rigoros polonisiert wurde.

So kam es, daß die Schlonsaken erst nach dem epochalen Umbruch von 1989 nach sich selbst zu fragen begannen. Den heutigen Bewohnern Oberschlesiens, sowohl den Alteingesessenen als auch den zugewanderten Polen, bleibt nichts anderes übrig, als auf der Grundlage der geschichtlichen Fakten gemeinsam nach einer angemessenen modernen Identität zu suchen.

Die Schriftstellerin und Publizistin Dr. Renata Schumann wuchs in Oberschlesien auf und siedelte 1983 in die Bundesrepublik aus.

Zentralismus versus Regionalismus: Warschauer Regierungsbau und oberschlesische Industrielandschaft in Gleiwitz

Fotos: Archiv (oben) / Ullstein (unten)


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