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13.03.04 / Ein Sonderzug mit König

© Preußische Allgemeine Zeitung / 13. März 2004

Ein Sonderzug mit König
von Robert Jung

Ein in der Theaterwelt Bayerns einmaliger Vorfall sollte noch über lange Zeit die Gemüter mehr oder minder beflissener Theaterbesucher in helle Aufregung versetzen: Ein dem sagenhaften Apfelschuß des Wilhelm Tell und Geßlers Hut nachreisender König mit seinem Hofstaat wird gewiß für immer außergewöhnlich bleiben.

König Ludwig II. von Bayern, wohl der theaterfreudigste Monarch aller Zeiten, kannte nicht nur jedes Wort des Textes von Schillers "Wilhelm Tell", er korrigierte während der Proben selbst die geringste Kleinigkeit daran. Vier Jahre vor seinem tragischen Ableben plante das Hoftheater in München eine Neueinstudierung des Schillerschen Dramas um den Schweizer Nationalhelden aus dem Kanton Uri, der den tyrannischen Landvogt Geßler mit der Armbrust erschoß ...

Es war ein seltsamer Sonderzug, vom Bodensee her, in dem sich der König, Teile seines Hofstaates und der berühmte Wiener Burgschauspieler Josef Kainz im jugendlichen Alter befanden. Ihm war wohl als Mime die seltsamste, aber auch schwierigste Aufgabe seines Lebens gestellt, er sollte für den bayerischen König die Originalschauplätze des "Tellschen Geschehens" erkunden und dann König Ludwig II. diese präzise aufzeichnen.

Den Anstoß zur eigentlichen "Tell"-Sage, die Schiller für sein berühmtes Drama benutzte, gab wahrscheinlich ein Ritter mit Namen Konrad von Tillendorf. Er war von der habsburgischen Herrschaft über das Gebiet der späteren Urkantone Schwyz und Uri zum Reichsvogt eingesetzt. Im Jahr 1291 weilte er persönlich im Zuge einer Dienstreise in Altdorf. Dabei kam es zu einer althergebrachten Amtsausübung: der Aufpflanzung eines Hutes auf einer hohen Stange. Er erließ, wie immer, ein Gebot, daß, wer da vorüberginge, sich vor dem Hut verneigen sollte - als ob die Herrschaft dort selbst stünde.

Doch diese Überlieferung war nicht allein der Einfall eines Ritters, vielmehr war das "Hutgrüßen" ein gebräuchliches Symbol für die sichtbare Anerkennung hoheitlichen Rechts. Nur war es nach Schiller eben der verhaßte Landvogt Geßler, dem jeder der in den Schweizer Kantonen lebende Untertan Reverenz schuldig war. Selbst diese Geschichte hat einen Schönheitsfehler, ob davon allerdings Schiller wußte, mag dahingestellt sein. Eine solche "Hut"-Reverenz gab es schon lange Zeit davor. Im 10. Jahrhundert mutete der dänische König Harald Blauzahn dem übermütigen Gefolgsmann Toko ein gleiches Anliegen zu, nachzulesen in der "Saxo grammatica" späterer Tage.

König Ludwig II. bezog damals auf seiner Erkundungsreise am Vierwaldstätter See mit dem Hofstaat und Kainz sein Quartier. Voller Unrast, alles über die Tellschen Wirkungsstätten zu erfahren, mußte der jugendliche Kainz über Höhen und Täler seine Nachforschungen betreiben, dabei gönnte ihm der Monarch keine ruhige Stunde. Nachdem endlich der König Ludwig Küßnacht und die berühmte "Tell"-Platte in Augenschein genommen und sich eine Reihe von Notizen gemacht, kehrte der Gesellschaftszug mit dem völlig deprimierten Schauspieler Kainz nach München zurück. Daß diese Reise der König unter dem angeblichen Pseudonym eines "Marquis de Savigny" angetreten haben soll, ist nicht geklärt ... Für die unzähligen Touristen aus aller Welt bleiben natürlich Küßnacht und die "Tell"-Platte eine Attraktion. Die Schweizer aber erhoben den Hutverweigerer und Apfelschuß-Tell zu ihrem Nationalhelden. In den Augen gewissenhafter Geschichtsschreiber bleibt dieser "Tell" jedoch ein etwas unsicherer Kantonist ...

Zauberhafte Landschaft: Küßnacht am Vierwaldstätter See lockt auch heute noch viele Touristen und Freunde des Wilhelm Tell in die Schweiz. Foto: Archiv


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