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13.03.04 / Helden des Sozialismus / Parallelen zwischen Wirtschaft und Kunst in der UdSSR

© Preußische Allgemeine Zeitung / 13. März 2004

Helden des Sozialismus
Parallelen zwischen Wirtschaft und Kunst in der UdSSR

Das ist wichtig, die Produktion menschlicher Seelen. Und deshalb erhebe ich mein Glas auf euch Schriftsteller, auf die Ingenieure der Seele." Diese Worte Stalins zu den von ihm geförderten Autoren unter dem Schriftsteller Nr. 1, Maxim Gorki, sagt viel über das Geistesleben der Stalinzeit aus. "Ingenieure der Seele" heißt dann auch das nicht nur in den Niederlanden hochgepriesene Buch des holländischen Hydrotechnologen Frank Westerman.

Stalins gigantische Wasserbauwerke interessierten den von 1997 bis 2000 als Korrespondent des NRC Handelsblad in Moskau eingesetzten Journalisten schon aufgrund seines vorherigen Studiums, doch erst das Zusammenspiel dieser Menschenleben verschlingenden "Wasserträume" des sowjetischen Machthabers mit der schriftstellerischen Unterstützung durch große, sowjetische Autoren macht die Bereitschaft in der Bevölkerung, bei diesem Wahnsinn mitzumachen, erklärlich.

Auf den Spuren von Maxim Gorki, Boris Pilnjak, Andrej Platonow, Konstantin Paustowski und vielen mehr untersucht der Autor die von ihnen in Romanen geschaffenen Helden des Sozialismus, die jeden Untertanen zum Nacheifern anspornen sollten. Opfer für den Sozialismus zu erbringen sollte das höchste Streben der Bewohner der UdSSR sein, dafür brauchte Stalin seine "Ingenieure der Seele". Sie mußten den Grundstein in den Menschen legen, damit diese klaglos als Arbeiter den wahren Inge- nieuren bei ihren hochtrabenden Plänen zur Verfügung standen.

Spielerisch macht Westerman die irrsinnigen Widersprüche im System Stalin deutlich. "Der Mensch wird erst Mensch, wenn er ein Arbeiter ist", wird Maxim Gorki bezüglich eines Besuches beim Bau des Belomar-Kanals zitiert. Gleichzeitig wird aber auch die Begeisterung eines jungen Schriftstellers wiedergegeben, der das erste Mal an so einer Veranstaltung teilnehmen darf, über die alle anwesenden Autoren im nachhinein Lobeshymnen verfassen mußten. "Wir aßen und tranken, was wir und so viel wir wollten. Geräucherte Wurst, Käse, Kaviar, Obst, Schokolade, Wein, Cognac. Und ohne für etwas bezahlen zu müssen."

Frank Westerman recherchierte vor Ort, sprach mit den Nachkommen der Autoren, besuchte Schauplätze und hat dank dieser eigenen Erfahrungen eine besondere Form für sein Buch gewählt. Biographie, Geschichte und Reportage wechseln sich ab, greifen ineinander über und beleben seine Ausführungen so auf ungewöhnliche Weise. "Ingenieure der Seele" ist ein beachtenswertes Buch über bisher in dieser Form nicht untersuchte Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Geistesleben der Stalinzeit. R. Bellano

Frank Westerman: "Ingenieure der Seele", Ch. Links Verlag, Berlin 2003, geb., 288 Seiten, 19,90 Euro


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