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03.04.04 / Auf dem falschen Fuß

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. April 2004


Auf dem falschen Fuß
von Eva Pultke-Sradnick

Abends, es war an einem Dienstag, saß Heide Adiskus recht abgekämpft in ihrem Sessel, auf dem auch noch der dicke Plüschhund Platz hatte, vor einem Glas Rotwein. Sie hatte die Füße auf die Fußschaukel gelegt. Etwas glubsch beäugte sie die auf dem Tablett liegenden Radieschenstengel, das halbe Tomatenbrot und den Salzstreuer, der sie in seiner Höhe und Einsamkeit an den Leuchtturm von Brüsterort erinnerte. Sie stippte mit dem Zeigefinger die Brotkrümel von der Tischdecke.

Welch ein verdrehter Tag, dachte sie, was habe ich heute nur falsch oder anders gemacht? Aber natürlich, das ging ja auch schon morgens los. Während sie sich noch so genüßlich im Bett aalte und abwog, was ihr heute wohl mehr Spaß machen würde, Fensterputzen oder Kelleraufräumen, fiel es ihr brandheiß ein, daß doch in 60 Minuten ihre Gymnastikstunde begann, morgens um 9 Uhr.

Igitt! Raus aus dem Bett, rein in den Trainingsdreß. Fast wäre ihr das Kaffeewasser angebrannt, weil sie zwischendurch die Morgentoilette erledigte. Warum mußte sie aber auch die frühen Stunden bei den Jüngeren nehmen? Alt bin ich selbst, war immer ihre Devise. Später wäre es ihr auch fast lieber gewesen. Sie fühlte sich aber ganz wohl in der Gruppe.

Der Anfang war heute ein bißchen mühsam für sie, aber nach einer Stunde fühlte sie sich, als ob sie zum Rendezvous wollte, munter und spritzig. Wieder zu Hause angekommen, meinte sie nun, das Frühstück nachholen zu können. Es war das Beste, was jeder Tag ihr brachte. Aber nun klingelte erst mal das Telefon, manchmal konnte es schon eine Plage sein. Es war nur ihre Freundin Emma, die ihr mitteilte, daß in Hermann Lüdeckes Laden Fischwoche war, sie hätte sich gerade ein Stück Pomochel gekauft. Heide machte sich nicht viel aus Fisch, ja, ja, danke. Aber Emma hatte noch so vieles zu berichten, daß es nachher schon Zeit für ein frühes Mittag war. Auch gut. Im Kühlschrank tummelte sich noch etwas Gemüse wie Tomate, Gurke, Paprika, Kartoffel und Karotte. Sie putzte alles mit Liebe und schmorte es kleingeschnitten mit Olivenöl und saurem Schmand in der Flinsenpfanne. Nachdem die Kräuter dazugekommen waren, roch es in der Küche so gut, daß dieses Gericht fast erfunden werden müßte, wenn es hiermit nicht schon geschehen war.

Heide lebte allein, und so plädierte sie für ein kleines Nickerchen. Der Schlaf wollte heute aber nicht kommen. Lustlos beschloß sie, das Bügelbrett hervorzuholen. Bügeln war auch eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen, das gleich nach Fensterputzen und Kelleraufräumen kam. Aber wo stand heute ihr Bügeleisen? Mein Gottchen, das hatte sie doch vorgestern der Nachbarin Julchen Brettschneider geborgt. Aber siehe da, es gab überhaupt keine Wärme ab - es war kaputt! Boßig ging sie rüber, um sich zu beklagen. Aber Frau Brettschneider hatte gar kein schlechtes Gewissen. "Hoal man moal de Loft an, Marjellke, häst ok alle Secherunge bönne? Weetst, dat jeiht manchmoal ziemlich schnell." Das hatte Heide natürlich nicht ausprobiert. Ihr ostpreußisches Gemüt reagierte immer ziemlich schnell, fix aufbrausend und auch schnell wieder beruhigt. "Hadd joa send kunnd", meinte sie versöhnlich.

Das brauchte erst mal ein Toppchen Kaffee. Sie bangte wohl um ihre Nachtruhe, aber was gab es heute schon noch umsonst und ohne Risiko? Doch jetzt kam ein anderes Signal, die Klingel: lang - kurz - kurz - lang. Heide stöhnte, da war doch nicht etwa Ostpreußen auf dem Anmarsch? Trudi kam doch immer erst am Mittwoch. Die liebe, alte Trudi, aber was hieß hier alt, die war doch noch drei Jahre jünger.

"Komm' ich zu früh?" fragte die kleine, grazile Dame mit unschuldigem Lächeln, sie erschnupperte den Kaffeeduft. "Ich rieche schon, du hast auf mich gewartet."

"Ja, aber erst in 24 Stunden", gab Heide zur Antwort, "du hast dich mal wieder im Tag geirrt." Trudi wollte sich kaputtlachen und zauberte ein Blumensträußchen hervor, das aus dem Bilderbuch hätte stammen können. Fast konnte man den Verdacht haben, daß sie selbst bereits ihren Fehler bemerkt hatte.

Die beiden hatten sich immer viel zu erzählen, und es war nicht auszumachen, wer von ihnen mehr schabberte. Damit war der Tag rum. Von dem angebotenen Abendbrot, welches bloß aus Stullen und Raufgelegtem bestand, wollte Trudi auch nichts wissen. "Dat hebb eck allet sölwst to Hus, eck war man lewer goahne, eh' et diester ward."

Nun hatte Heide noch Blumen zu gießen, alles so ein bißchen bepulen, denn morgen kam die Müllabfuhr. Der Nachbarin hängte sie noch schnell die Tageszeitung an die Tür, in der auch ein Apfel zugesteckt war. Sie würde heute darauf gewartet haben. Heide hatte schon zweimal die Nachrichten versäumt, aber war ja auch egal, wurde ja morgen alles noch mal gebracht und stand dann auch in der Zeitung. Das Wort "überfüttert" wollte ihr danach nicht mehr aus dem Kopf.

Endlich saß sie müde, aber nicht unglücklich in ihrem Sessel und überlegte, warum sie den Tag für so verkehrt gehalten hatte? Manchmal, so dachte sie bald beim Einschlafen, sollte es viel mehr solcher Pannen geben. Da steckte der Tag doch noch mal voller Überraschungen, da wurde doch wieder mal so richtig durchgelüftet.

Vera Macht: Frühlingsbote (Öl)


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