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10.04.04 / Kollegen helfen sich nun mal

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. April 2004


Kollegen helfen sich nun mal
von Kurt Baltinowitz

In der Osterhasen-Zeitung wurden alle Berufsosterhasen aufgefordert, innerhalb von vier Tagen Delegationen zur Jahreshauptversammlung nach Neu-Osterhasenstein zu beordern. Die Frist müßte unbedingt eingehalten werden, weil in vier Tagen die Treibjagd beginnen würde.

Sternförmig, aus allen Teilen der Republik, strömten die Osterhasen dem angegebenen Ziel entgegen, nicht ahnend, daß die Jäger den Treibjagdtermin um drei Tage vorverlegt hatten. So gerieten sie unweigerlich in den tödlichen Schrot-hagel. Viele hauchten kurzerhand ihr Hasenleben aus. Nur Vereinzelte entkamen dem grausamen Gemetzel, rannten planlos durch die Gegend oder, wenn sie Glück hatten, in das nächstgelegene Waldstück, von dem aus sie ihre zur Strecke gebrachten Verwandten und Freunde noch einmal zu Gesicht bekamen.

So auch Leporika und Lepustan, die beiden Überlebenden der Delegation aus dem Raum Kassel. Völlig außer Atem kauerten sie gut getarnt am Waldesrand und beobachteten, wie die Jäger die toten Osterhasen aufreihten. 48 an der Zahl. Dann ließen sie die Schnapsflaschen kreisen und brachten lauthals ihre Freude zum Ausdruck, endlich mal so einen erfolgreichen Abschuß verzeichnen zu können.

Den beiden überlebenden Osterhasen, sie hatten erst vor einer Woche die Osterhasenschule mit Auszeichnung absolviert, rannen unaufhörlich die Tränen.

"Ich halte das nicht aus ... Mein Osterhasenleben hat keinen Sinn mehr. Mir ist jetzt alles egal ... Ich laufe einfach auf die Jäger zu und lasse mich auch abknallen", jammerte Leporika, die hübsche, junge Osterhäsin und wollte schon losstürmen, doch Lepustan ergriff spontan ihre Löffel, drückte sie wieder zu Boden und schimpfte los: "Du bist wohl von Sinnen? Genügt das noch nicht da vorne? Fang dich erst mal wieder, und dann überlegen wir, wie es weitergeht!"

"Du bist aber schlau", murrte die Häsin. "Wir wissen doch nicht einmal, wo wir sind ... und wo wir hinwollen. Unser Leithase, der alle Unterlagen, Marschbefehl, Karte und Zielort, bei sich trug, liegt dort im Schnee. Willst du etwa hinlaufen und ...?"

Lepustan wurde nachdenklich, bewegte seine Löffel hin und her, warf noch einen kurzen Blick auf die im Schnee aufgereihten Osterhasen und empfahl dann mit trauriger Stimme: "Jedenfalls müssen wir schnellstens von hier weg, bevor uns die Jäger mit ihren Hunden entdecken."

"Aber wohin?" jammerte Leporika und wischte sich die Tränen.

"Zunächst in nördlicher Richtung", meinte der Hasenmann. "Wenn wir Glück haben, stoßen wir vielleicht schon bald auf eine andere Delegation, denn alle werden wohl nicht den brutalen Jägern vor die Flinte gelaufen sein ... Komm, wir können denen da drüben auch nicht mehr helfen. Das ist eben unser Schicksal seit Menschengedenken. Hasenbraten soll etwas ganz Besonderes sein, aber daß man auch Osterhasen, die doch eine wichtige kulturelle Aufgabe zu erfüllen haben, so einfach abschießt, ist mir unbegreiflich."

"Danach fragen doch die Jäger nicht", bemerkte die Hasenfrau. "Die sehen da keinen Unterschied: Hasenbraten ist Hasenbraten." - "Recht hast du", sagte Lepustan, "doch darüber zu diskutieren hat jetzt keinen Sinn. Unser beider Schicksal müssen wir ab nun in unsere Pfoten nehmen. Irgendwie kommen wir schon durch!"

Zwei Tage hoppelten die beiden Überlebenden kreuz und quer durch die Landschaft, sie nutzten jede Deckung aus, wie auf der Osterhasenschule gelernt. Einmal wären sie beinahe in eine Treibjagd hineingeraten, konnten in letzter Sekunde ihre Bälge retten. "Jetzt müssen wir aufs Ganze gehen", schlug Lepustan vor. "Wir steuern auf Gedeih und Verderb das nächstbeste Dorf an und versuchen, mit unseren entfernten Verwandten, den Kaninchen, Kontakt aufzunehmen."

Es dämmerte bereits, als die beiden Osterhasen einen Bauernhof ausspähten und nach Freßbarem Ausschau hielten. Und es dauerte nicht lange, bis ihre feinen Nasen sie zu den Kaninchenställen führten. Zunächst war der Chef der Kaninchen skeptisch, wurde jedoch zugänglich, als er die tragische Geschichte vernommen hatte, und wies beiden eine Box zu.

"Natürlich haben wir in unserer Zeitung gelesen, daß ihr eine Jahreshauptversammlung habt. Uns Kaninchen interessiert das weniger, aber daß man euch Osterhasen so böse mitgespielt hat, tut mir aufrichtig leid. Ruht euch erst einmal richtig aus und verzehrt so viele Möhren, wie ihr wollt. Ich besitze noch eine Straßenkarte vom norddeutschen Raum. Eine Hinterlassenschaft meines Großvaters. Neu-Osterhasenstein ist nicht mehr weit von hier. Ich zeichne euch die Route ein."

Ausgeruht und gestärkt machten sich die beiden Osterhasen tags darauf auf den Weg und kamen zwei Tage später am Zielort an. Die Versammlung war bereits im vollen Gange. Glücklich fiel man sich in die Pfoten, aber dennoch herrschte gedrückte Stimmung. Tiefe Trauer überschattete die so wichtige Tagung. Wie sollte nun bloß Ostern ablaufen? "Es ist schmerzlich, feststellen zu müssen, daß etwa 60 Prozent unserer Berufskolleginnen und -kollegen dem Schrotfeuer unverantwortlicher Jäger zum Opfer fielen. Die meisten Kinder werden leider vor leeren Nestern stehen müssen. Ich weiß nicht, wie wir das Problem lösen ..."

"Das Problem ist bereits gelöst", meldete sich Lepiana, eine Oberosterhäsin aus dem Westerwald. "Ich habe vorhin ein Fax an meine holländische Freundin losgeschickt. Und hier ist die Antwort: Stellen euch 900 Kollegen zur Verfügung! Na, was sagt ihr jetzt?"

Staunen. Freudentränen. Aufbrausender Beifall. "Wie hast du das nur so schnell geschafft?" wollte die Vorsitzende wissen. "Holländische Osterhasen sind doch bekanntlich ziemlich bequem und langsam."

"Stimmt, aber hier handelt es sich um Kolleginnen. War wohl ein Faxfehler! Holland ist bezüglich Ausbildung zur Osterhäsin liberaler als wir. Bei uns gibt es viel

zu wenige Osterhäsinnen. Hier herrscht doch noch immer eine verkrustete Osterhasenhierarchie."

Murren, Gelächter und Buhrufe, bis der Vorsitzende eingriff und sich bei Lepiana erkundigte, wieso die Holländer spontan diese große Anzahl Häsinnen abstellen könnten.

"Ein glücklicher Umstand", antwortete die Häsin, "denn es handelt sich um Kolleginnen, die gerade ihre Schule bestanden haben, aber erst im nächsten Jahr eine Planstelle bekommen."

"Aha, so ist das also", staunte der Vorsitzende. "Jedenfalls fiel mir so-eben ein Stein vom Hasenherzen, und wir können garantieren, daß auch in diesem Jahr, trotz der unbarmherzigen Tragödie, wieder alle Kinder vor gefüllten Osternestern stehen werden."

Die Versammlung war beendet. Leporika lächelte verschmitzt und sagte zu Lepustan: "Siehst du, die Holländer haben erkannt, daß Häsinnen schneller und beweglicher sind als ..."

"Sollen sie von mir aus sein", brummte der Hasenmann. "Du kannst dich ja den Holländerinnen anschließen. Ich werde mich dem Ostereierfärben widmen."

"Geht wohl gegen deine Berufsehre, mit überwiegend Hasendamen zusammenzuarbeiten?" - "Keineswegs, aber ich werde mich ins Hasenkrankenhaus begeben müssen. Mein linker Hasenlauf schmerzt. Sind wahrscheinlich doch ein paar Schrotkugeln drin ..."

Thea Weber: Erstes Grün am Wasser (Aquarell)


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