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17.04.04 / Verweigerung ist sinnlos / Nachdenken über eine Vertriebenenpolitik

© Preußische Allgemeine Zeitung / 17. April 2004


Verweigerung ist sinnlos
Nachdenken über eine Vertriebenenpolitik von links
von Jörg Bernhard Bilke

Hinsichtlich der öffentlichen Wahrnehmung der Herkunftsgebiete der ost- und auslandsdeutschen Flüchtlinge, Vertriebenen und Aussiedler sind hierzulande seit einigen Jahren grundlegende Wandlungen festzustellen: Während die Opfer des Heimatverlusts altersbedingt immer rarer werden, macht sich in der übrigen Bevölkerung totale Unkenntnis über diese Regionen breit.

Gleichzeitig verschwinden mit wachsendem Abstand auch frühere ideologische Scheuklappen, so daß an den Schulen vereinzelte zarte Pflänzchen eines aufkeimenden Interesses für diese Teile des gesamtdeutschen Geschichts- und Kulturerbes entdeckt werden können.

Der nachfolgende Beitrag beleuchtet gezielt einen Wandlungsprozeß: nämlich das zögerliche Umdenken der politischen Linken etwa in bezug auf den verbrecherischen Charakter der Massenvertreibungen von Deutschen.

Die Thüringer Kommunisten, von denen es noch Restbestände gibt, hatten am 24. Januar nach Jena eingeladen, zu einer siebenstündigen Tagung über "Flucht, Vertreibung und Erinnern".

Es war schon die zweite Tagung dieser Art; die erste hatte am 1. April 2000 in Erfurt stattgefunden. Zu ihr gibt es eine Dokumentation "Vertriebene im linken Diskurs", die die schier unüberwindlichen Schwierigkeiten von SED-Historikern im Umgang mit dem Thema aufzeigt.

Allein der Umstand, daß das einladende "Thüringer Forum für Bildung und Wissenschaft", das von der PDS-nahen "Rosa-Luxemburg-Stiftung" gefördert wird, ein Jahrzehnt verstreichen ließ, ehe es sich mit einem Abschnitt deutscher Nachkriegsgeschichte befaßte, der ohne die Erwähnung der von der "Roten Armee" an der deutschen Zivilbevölkerung verübten Greueltaten nicht aufgearbeitet werden kann, macht deutlich, auf welch unsicherem Gelände man sich offensichtlich bewegt, wenn die ideologischen Vorgaben des untergegangenen SED-Staates fehlen.

Deutlich wird das bereits am Geleitwort des 1930 geborenen Forums-Vorsitzenden Michael Wagner, eines Slawisten und Jenenser Emeritus. Er betont einleitend, vom "Nachholbedarf in der Diskussion um Vertriebenenfragen unter linken politischen Kräften" zu wissen, und fordert: "Es sollte nicht allein den Vertriebenenverbänden überlassen werden, darüber zu diskutieren."

Wagner sieht "Defizite in der bisherigen Behandlung des Themas, die unsere Veranstaltung notwendig machten", und er plädiert dafür, "ausgewogene Positionen einer Vertriebenenpolitik von links" zu entwickeln.

Reichlich spät, möchte man hämisch einwenden, und erfährt dann, warum es dennoch, über ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende, geboten sei, sich mit dem Jahrhundertthema "Flucht und Vertreibung" auseinanderzusetzen.

Es ist nicht die Einsicht, daß - auch um den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen - dieses heikle Thema aufgearbeitet werden muß. Vielmehr zwingt der europäische Einigungsprozeß, der im Frühjahr 2004 nun auch die einstigen Vertreiberstaaten Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn erfaßt, die Thüringer Kommunisten nach eigenen Angaben zum Nachdenken.

Doch die wesentliche Motivation dürfte - zumindest zu der Zeit, da der Tagungsband herauskam - anderswo liegen: Man sucht, da man diesen geschichtlichen Ereignissen so völlig ignorant gegenübersteht, nach Argumentationshilfen gegen den Bund der Vertriebenen in Erfurt und Berlin und gegen das von Erika Steinbach geplante Zentrum gegen Vertreibungen.

Vier Jahre später scheint sich die politische Verkrampfung, dieses Thema unbedingt abarbeiten zu wollen, in verständnisvolle Zuwendung auflösen zu wollen, wenn Manfred Weißbecker, Emeritus für Geschichte an der Universität Jena, in seinen einleitenden Worten meint: "Dem Thema vermag niemand sich zu entziehen. Es sollte sich ihm auch niemand verweigern wollen. Es lebt in allen Teilen der Gesellschaft, und dies nicht allein in Deutschland.

Vor und während des Zweiten Weltkrieges sowie danach vollzogen sich tiefe Einschnitte in Biographien derer, die unmittelbar betroffen waren, aber auch bei jenen, die mit Flüchtlingen und Vertriebenen umzugehen erst lernen mußten."

Elke Mehnert von der Universität Chemnitz, die gründlichste Kennerin des Stoffs in den neuen Bundesländern, sprach über "Flucht und Vertreibung in der deutschen Literatur nach 1945", die vom Kalten Krieg geprägt gewesen sei, was, wenn überhaupt, nur bis zum Jahr 1974 zutrifft. Dann erschien Arno Surminskis Roman "Jokehnen oder Wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland?", mit der die zweite Phase dieser Literatur einsetzte. Jörg Bernhard Bilke aus Bad Rodach in Oberfranken gab unter dem Titel "Unerwünschte Erinnerungen" einen Überblick zu "Flucht und Vertreibung in der DDR-Literatur" und verwies darauf, daß das Thema in der SBZ/DDR keineswegs tabuisiert, wohl aber stark ideologisiert war.

Während es noch 1948/49 zwei Romane von Maria Langner ("Die letzte Bastion") und Annemarie Reinhard ("Treibgut") gegeben habe, in denen völlig ideologiefrei über das Erlebte berichtet worden sei, habe die Ideologisierung mit dem Görlitzer Abkommen von 1950 eingesetzt. Erst die zwischen 1984 und 1986 erschienenen Bücher Elisabeth Schulz-Semraus über Ostpreußen und Ursula Höntsch-Harendts sowie Armin Müllers über Schlesien konnten die Erstarrung aufbrechen, so Bilke.

Die meisten anderen Referate in Jena waren bestimmten Texten gewidmet, etwa von Autoren wie Franz Fühmann mit dessen völlig von Ideologie durchtränkter Erzählung "Böhmen am Meer" (1962), von Heiner Müller (mit seinem nach einer Erzählung von Anna Seghers verfaßten Theaterstück "Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande", 1961) oder von Alfred Wellms ("Pugowitza oder Die silberne Schlüsseluhr", 1976).

Der einstige Russischlehrer Bernhard Fisch aus Stadtroda sprach über die Schwierigkeiten, "in der DDR über Ostpreußen zu schreiben". Der heimatverbundene Ostpreuße, der vor 1989 heimlich vom litauischen Kaunas aus nach Königsberg geflogen und prompt von der russischen Miliz festgenommen worden war, konnte eine Fülle von DDR-Büchern mit ostpreußischen Themen aufzählen.

Dabei erregte ein Buch von 1945, das in einer kleinen Ausstellung einzusehen war, besondere Aufmerksamkeit. Es heißt "Heimatbilder", zeigt ostpreußische Landschaften, jedoch ohne jede Beschriftung, denn die geographische Einordnung der Bilder hatte der sowjetrussische Kulturoffizier nicht zugelassen. (DOD)

Flüchtlingselend 1945: Viele Vertriebene hatten all ihre Habe verloren


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