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17.04.04 / Weder Leben noch Geschichte? / Im Kant-Jahr strafen viele Biographen Heinrich Heine mit Publikationen Lügen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 17. April 2004


Weder Leben noch Geschichte?
Im Kant-Jahr strafen viele Biographen Heinrich Heine mit Publikationen Lügen

Die Lebensgeschichte des Immanuel Kant ist schwer zu beschreiben", behauptet Heinrich Heine 1834 in seiner "Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland". "Denn er hatte weder ein Leben noch Geschichte", so Heine ironisch. "Er lebte ein mechanisch geordnetes, fast abstraktes Hagestolzenleben, in einem stillen abgelegenen Gäßchen zu Königsberg, einer alten Stadt an der nordöstlichen Grenze Deutschlands." Was nur haben all die klugen Köpfe sich da gedacht, als sie just im Kant-Jahr 2004 immer wieder neue Lebensbeschreibungen des Weltweisen geschrieben und herausgebracht haben? So langweilig kann sein Leben denn nun doch nicht gewesen sein, betrachtet man die Fülle der neuen Publikationen zu diesem Thema.

Schon Arthur Schopenhauer, der Philosoph aus Danzig, hatte erkannt: "Kant ist vielleicht der originellste Kopf, den jemals die Natur hervorgebracht hat. Mit ihm und in seiner Weise zu denken, ist etwas, das mit gar nichts Anderm irgend verglichen werden kann; denn er besaß einen Grad von klarer, ganz eigenthümlicher Besonnenheit, wie solche niemals irgend einem andern Sterblichen zu Theil geworden ist."

Kant selbst soll gar nicht begeistert gewesen sein, wollte man eine Beschreibung seines Lebens herausgeben. Der Professor für Geschichte Carl Renatus Hausen aus Halle erhielt auf sein Schreiben 1769 vermutlich keine Antwort. Dabei hatte er höflich in Königsberg angefragt: "Ich bin entschloßen: Biographien berühmter Philosophen und Geschichtsschreiber des 18. Jahrhunderts in und außer Deutschland zu schreiben ... Die Absicht ist den Geist der Philosophie und Geschichte in unsern Zeiten zu zeigen. Ew: Wohlgebohrn haben dem Publicum so schöne und zugleich so gründliche Schriften geschenckt, daß der erste Theil dieses Buches durch Dero Leben ein eignes Verdienst erhalten wird ..."

Als dann 1790 Abbé Dénina in seinem Werk über die Literatur unter Friedrich II. einen kurzen Lebensabriß von Kant - ohne dessen Wissen und Zustimmung - veröffentlichte, war der Philosoph sehr erbost und unzufrieden und verlangte Korrekturen. Im Todesjahr Kants kamen dann auf Anregung des Königsberger Verlegers Nicolovius gleich drei Biographien heraus, geschrieben von ehemaligen Schülern des Philosophen. Ludwig Ernst Borowski (1740-1831) hatte bereits 1792 mit der Niederschrift begonnen. Er hatte als junger Student die ersten Vorlesungen des Philosophen gehört. Kant selbst soll den ursprünglichen Text Borowskis überarbeitet und gebilligt haben, unter der Voraussetzung mit der Veröffentlichung bis nach seinem Tode zu warten. Für Nicolovius erweiterte Borowski den Text allerdings um einiges.

Der zweite Biograph, der Kant noch persönlich kannte, war der Königsberger Reinhold Bernhard Jachmann (1767-1843). Er war neun Jahre lang Schüler Kants und stand ihm sehr nahe. Kant selbst hatte angeregt, eine Biographie zu schreiben, entstanden ist ein lebensvolles Bild des Menschen. Dritter im Bunde war Ehregott Andreas Christoph Wasianski (1755-1831), ebenfalls Schüler des Gelehrten in Königsberg. Im Alter kümmerte sich Wasianski um den Lehrer, besorgte seine häuslichen Geschäfte und wurde von ihm als Verwalter seines Vermögens eingesetzt. Er war es, der den Tod Kants offiziell bekanntgab. Offensichtlich aus dem Entschluß heraus, seinen Freund und Lehrer vor "unberufenen Anekdotenkrämern" zu schützen, beschrieb Wasianski den "täglichen Umgang" mit diesem unvergleichlichen Menschen.

Nicht jedem wird es heute leichtfallen, diese Biographien zu lesen, und so kam Gerfried Horst von der Deutschen Grammophon Literatur darauf, eine Auswahl der Texte auf CD einspielen zu lassen. Bereits vor einigen Jahren hatte er mit zwei CDs zum Thema Kant Erfolg und gute Erfahrungen mit dem Sprecher Frank Arnold gemacht. So ging man mit dem gleichen Team wieder daran, das Thema Kant für den heutigen Menschen aufzubereiten. Entstanden sind sechs CDs über das Leben und Wirken des Königsbergers: Immanuel Kant - Sein Leben

in Darstellungen seiner Schüler Reinhold Bernhard Jachmann, Ehregott Andreas Christoph Wasianski, Köngsberg 1804. Beschluss der Critik der practischen Vernunft von Immanuel Kant, Riga 1788 (7 Stunden, 20 Minuten). Die sympathische Stimme Arnolds gibt dem Zuhörer das Gefühl des direkten Erlebens - als wäre man selbst dabeige-wesen, wenn Kant seine Vorlesungen hielt. Kant als Mensch, der sich nicht nur für tote Buchstaben, sondern auch für seine Mitmenschen, für den Menschen an sich interessierte, der Frohsinn empfand und nicht nur den Kopf in Bücher steckte, wird in dieser Lesung sehr authentisch vermittelt. Kant auch für Anfänger also ...

Dem Menschen Immanuel Kant begegnet man ebenfalls bei der Lektüre einer weiteren neuen Biographie, die Steffen Dietzsch jetzt bei Reclam in Leipzig veröffentlicht hat (368 Seiten, sw Abb., gebunden mit Schutzumschlag, 24,90 Euro). Der Professor an der Berliner Humboldt-Universität stellt das Lebensbild des Philosophen in den großen Zusammenhang mit der Kulturgeschichte Königsbergs und entwirft so ein lebendiges Bild der alten Krönungsstadt der preußischen Könige, gibt aber auch Einsichten in das bürgerliche Leben zu Zeiten Immanuel Kants. Auch Dietzsch wendet sich gegen die Auffassung, Kant hätte "weder Leben noch Geschichte" gehabt, und straft so Heinrich Heine eindrucksvoll Lügen.

Wer schließlich Leben und Werk des großen Philosophen auf eine besondere Weise erfahren möchte, der hat dazu auch noch bis zum 31. Oktober im Museum Stadt Königsberg Gelegenheit. Die Ausstellung in Duisburg zum 200. Todestag des Königsbergers ist dienstags, mittwochs, donnerstags und sonnabends von 10 bis 17 Uhr, freitags von 10 bis 14 Uhr und sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Silke Osman


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