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24.04.04 / Der totale Krieg / Nahostkonflikt trennt den Westen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. April 2004


Der totale Krieg
Nahostkonflikt trennt den Westen
von J. Liminski

Die Reaktionen in Europa und in Amerika auf die Tötung des Hamas-Führers Rantisi sind bezeichnend: die EU hebt auf den illegalen Charakter des tödlichen Anschlags ab, Washington verweist auf die Folgen. Dahinter steht ein Bewußtseinsunterschied. Die USA und Israel sehen sich im Krieg, und der hat eigene Gesetze. Wichtig ist es in der Tat, im Krieg die Folgen einzelner Handlungen zu bedenken, sie könnten die Gegebenheiten auf dem ohnehin wechselhaften Gefechtsfeld ändern. Daß die Tötung eines führenden Feindes illegal sein könnte, spielt keine Rolle. Im Krieg heißt es Sieg oder Niederlage, im terroristischen Krieg schärfer: sie oder wir. Dieser Krieg ist total.

Die Europäer sehen das anders. Sie haben den totalitären Charakter dieses Krieges noch nicht erkannt. Madrid liegt sechs Wochen zurück, dazwischen liegen die Tötung des Hamas-Gründers Yassin und der Aufstand der radikalen Schiiten im Irak. Aber auch wenn die Europäer die Kriegslogik der Israelis und Amerikaner nicht nachvollziehen können oder wollen, ganz auf der falschen Seite der Geschichte stehen sie nicht. Selbst im Krieg muß man an die Zukunft jenseits des Krieges denken. Und die kann nur friedlich sein, wenn das Primat des Rechtes gilt. Aber zum Frieden und zur Friedensbereitschaft muß man erst mal kommen. Der israelische Schriftsteller Amos Oz hat das Dilemma zwischen Recht und Überleben einmal mit den Stücken Shakespeares und Tschechows verglichen. In einem Stück Shakespeares, schrieb er, "ist die Bühne am Ende mit Leichen übersät, darüber schwebt die Gerechtigkeit. Bei Tschechow sind dagegen am Schluß alle frustriert und unzufrieden, aber immerhin noch am Leben". Die Europäer machen es sich zu leicht, wenn sie vor allem Israel verurteilen. Auf der anderen Seite hat in Israels politischem Establishment die Kriegslogik die Rechtslogik weitgehend ersetzt. Es kommt nicht von ungefähr, daß sämtliche Regierungschefs früher Generäle waren.

Der von Bush gebilligte Versuch Scharons, eine Trennung herbeizuführen, ist de facto auch der Versuch, die Kriegslogik zu durchbrechen und zu einem Status quo zu gelangen, in dem das Recht Geltung erlangen kann. Das wiederum sehen die Europäer nicht, weil sie die Trennung für Unrecht halten. Auch hier wieder: Europa orientiert sich an den Maßstäben des Völkerrechts von 1948 und 1967, Jerusalem und Washington gehen von heutigen Zuständen aus.

Gerade der um die Zeit des Passah-Festes eben noch vom israelischen Geheimdienst verhinderte Selbstmordanschlag mit einer Aids-Bombe markiert eine neue Dimension des Terrorkriegs. Denn die Aids-Bombe hat eine doppelte Bedeutung. Zum einen schraubt sie den Terror in die Kategorie der bakteriologischen und chemischen Angriffe. Zum zweiten enthält die Aids-Bombe eine teuflisch-symbolische Botschaft. Sie lautet: wir werden euch so lange mit Terror schwächen, bis ihr dahinsiecht. Die Israelis verstehen solche Botschaften. Seit Gründung ihres Staates und schon davor haben sie es mit radikalen Islamisten zu tun, und ihre Antwort ist nicht selten auch radikal. Dem Frieden näher gekommen ist man immer nur dann, wenn nach einem Krieg oder Feldzug die Perspektivlosigkeit der Gewalt nicht länger verschleiert werden konnte. So folgte nach dem Yom-Kippur-Krieg der Ausgleich mit Ägypten und nach dem Libanon-Feldzug der erste Versuch einer Friedensregelung mit den Palästinensern. Seither hat die jahrelange Intifada mehr Opfer gefordert als jeder einzelne Krieg zuvor.

Man darf annehmen, daß Bush und Scharon über die Möglichkeiten gesprochen haben, die Eskalation einzudämmen, notfalls mit Klein-Raketen aus dem Arsenal nuklearer Gefechtsfeldwaffen. Es wäre ein hohes Wagnis, denn die psychologische Wirkung solcher Schläge ist nicht berechenbar. Sicher ist: der Westen muß rasch eine gemeinsame Gegenstrategie entwickeln. Sich im Gehölz rechtlicher Fragen der Vergangenheit zu verstricken führt offenbar nicht weiter. Jedenfalls so lange nicht, als fanatische Ideologen das Sagen haben. "Demokratie heißt Selbstbeschränkung, Ideologie Selbstüberhöhung", lehrte Karl Bracher in einem Aufsatz über Totalitarismus. Wie weit kann die Selbstbeschränkung gehen, ohne tödlich zu sein?


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