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24.04.04 / Auf gute Nachbarschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. April 2004


Auf gute Nachbarschaft
von Willi Wegner

Herr und Frau Steinhoff hatten es sich in ihren Sesseln bequem gemacht, um sich ein Fernsehspiel anzusehen. "Hörst du's?" sagte Frau Steinhoff plötzlich und hob den Kopf. "Immer wenn man mal fernsehen will, fängt das Gör da drüben an zu schreien!" Sie stellte den Ton des Fernsehgerätes lauter. Herr Steinhoff stand auf und sagte: "Ich werde mit den Leuten reden! Jetzt gleich! Ich geh einfach mal rüber." - "Dann sag' ihnen aber ordentlich Bescheid, Hans!" - "Worauf du dich verlassen kannst!"

Entschlossen drückte Herr Steinhoff auf den Klingelknopf. Augenblicklich war das Kind still. Eine junge, hübsche Frau öffnete die Tür. "Guten Abend", sagte Herr Steinhoff. "Mein Name ist Steinhoff, ich bin Ihr Nachbar. Entschuldigen Sie die Störung." - "Sie stören keineswegs. Ich bin Frau Ebeling. Wir sind vor drei Wochen hier eingezogen. Aber treten Sie doch näher."

Im Wohnzimmer saß Herr Ebeling an einem großen, runden Wohnzimmertisch und schnitzte mit einem Taschenmesser an einem winzigen Stuhl herum, der so groß war wie eine Streichholzschachtel. "Das ist mein Mann", sagte die Frau. "Schatz, das ist Herr Steinhoff, unser Nachbar. Aber setzen Sie sich doch."

Herr Steinhoff setzte sich und betrachtete die Unordnung auf dem Wohnzimmertisch: zwei Weingläser, ein Leimtopf, eine Schere, Buntpapier, Stoffreste, eine Pinzette und Pappstreifen. "Ja, wir basteln abends immer noch ein bißchen", sagte Herr Ebeling. "Liebling, schenke unserem Nachbarn doch auch ein Gläs-chen ein. Sehen Sie, hier habe ich gerade einen Stuhl in Arbeit. Mit Sitzpolster. Meine Frau häkelt im Moment aus hauchdünnen Wollfäden Topflappen."

Frau Ebeling stellte vor Herrn Steinhoff ein Weinglas auf den Tisch, schenkte ein und setzte sich zu den Männern. "Zum Wohl!", sagte Herr Ebeling und hob sein Glas. "Auf eine gute Nachbarschaft!" - "Natürlich", sagte Herr Steinhoff. "Sehr zum Wohle!" Dann fragte er: "Was basteln Sie denn da eigentlich?" - "Eine Puppenstube", sagte Herr Ebeling. "Für Susanne, unsere Tochter. Sie soll diese Puppenstube zu ihrem Geburtstag bekommen. Meine Frau kann die Stube ja mal hereinholen. Sie sind dann der erste, der sie zu sehen bekommt."

Die ganze Puppenstube, aus Sperrholzplatten zusammengesetzt, bestand aus einem Zimmer und einer Küche. Es gab sogar kleine Fenster aus richtigem Glas. Mit Gardinen davor. "Die Gardinen", sagte Herr Ebeling, "hat meine Frau genäht." Herr Steinhoff starrte fasziniert auf die vor ihm stehende Puppenstube. "So etwas habe ich noch nicht gesehen!", sagte er. "Hierher", sagte Herr Ebeling und zeigte mit seinem Taschenmesser in die eine Ecke der Stube, "kommt die Schlafcouch. Und in die Ecke dort drüben ein Tischchen für den Fernsehapparat." Herr Ebeling blickte zu seiner Frau hinüber, die dem Blick ihres Mannes auswich. In diesem Moment fing das Kind wieder an zu schreien. "Ach", sagte Frau Ebeling, "das ist unsere Susanne. Sie hat mit den Zähnen zu tun, die Ärmste! Dürfen wir Ihnen noch ein Gläschen einschenken, Herr Steinhoff?" - "Nein, danke, sehr liebenswürdig." Herr Steinhoff erhob sich. "Ich habe Sie ohnehin schon lange genug aufgehalten." - "Jedenfalls nett, daß Sie einmal hereingeschaut haben", sagte Frau Ebeling. "Kommen Sie doch einmal mit Ihrer Frau wieder, wir würden sie auch gern kennenlernen."

Wieder in der eigenen Wohnung, empfing Frau Steinhoff ihren Mann mit den Worten: "Nun, was haben die Ebelings gesagt?" - "Was sollen sie gesagt haben? Es sind sehr nette Leute. Zur Zeit bauen sie eine Puppenstube." - "Und warum schreit das Baby immer?" - Herr Steinhoff stellte den Fernseher leiser. "Es bekommt gerade Zähnchen", sagte er. "Ich glaube, du hast dich gar nicht beschwert, wie?" - "Nein", sagte Herr Steinhoff. "Ich konnte es nicht."

In der Wohnung nebenan hatten Herr Ebeling und seine Frau ihre Arbeit an der Puppenstube wieder aufgenommen. "Er war über eine halbe Stunde hier", sagte Frau Ebeling. "Wir hatten Gelegenheit genug, uns darüber zu beschweren, daß sie ihren Fernsehapparat immer so laut einstellen." - "Ja", sagte Herr Ebeling, "aber ich habe es nicht gekonnt." - "Ich auch nicht, Schatz. Mir ging es genauso." - "Hoffentlich stört es ihn oder seine Frau nicht, daß Susanne hin und wieder mal ein bißchen weint." - "Das glaube ich nicht", meinte Frau Ebeling. "Dann hätte er es uns sicher gesagt."

 Wohnen Wand an Wand: Nicht immer gibt es ein gutes Miteinander, auch wenn eine blumige Fassade eitel Sonnenschein verkündet Foto: BfH


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