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01.05.04 / Machtspiele / General Gallois über die USA, den Irak und die EU

© Preußische Allgemeine Zeitung / 01. Mai 2004


Machtspiele
General Gallois über die USA, den Irak und die EU

Trotz seines hohen Alters ist General Pierre-Marie Gallois, der als Vater der französischen Nuklearstrategie gilt, noch der Haupttheoretiker der französischen Euroskeptiker und Anhänger eines "unabhängigen Europas". Wir trafen ihn in Paris, um uns mit ihm über die aktuelle Lage zu unterhalten.

Nach Ansicht des Generals verfolgen die USA mit der unlängst erfolgten Nato-Osterweiterung zwei Ziele. Zum einen gehe es Washington dar-um, sich in Osteuropa militärisch festzusetzen, um jede etwaige Absicht der EU, sich den USA gegen-über als unabhängig zu profilieren, bereits im Vorwege zu untergraben. Zum anderen wollten die USA dem Wunsche der Reformländer nach einem zugleich mächtigen und fernen Verbündeten nachkommen. Nachdem die US-amerikanische Militärmacht bis zur deutschen Wiedervereinigung nur bis zur Elbe gereicht habe, sei es für das Pentagon von großem militärstrategischen Vorteil, daß die US-Streitkräfte sich nun auch östlich der Oder-Neiße-Linie ausbreiten könnten. Die Nato-Osterweiterung erlaube es den USA, Druck auf Rußland und den asiatischen Raum auszuüben. Ein besonderes Augenmerk legten die USA darauf, verhindern zu können, daß Rußland China mit Erdöl versorge.

Das Problem der Oder-Neiße-Linie und die Furcht vor einer Annäherung zwischen Berlin und Moskau könnten nach Ansicht Gallois' die Einrichtung von rein US-amerikanischen Militärbasen in Polen erklären, während die Basen in Rumänien es Washington erleichtern, die Erdölversorgung Westeuropas zu kontrollieren und sich nahe dem Kaspischen Meer einrichten zu können.

Das Erdöl sei auch der Grund für das Werben Washingtons um eine EU-Aufnahme der Türkei. Demgegenüber verfolge Bundeskanzler Schröder mit seinem Eintreten für eine türkische EU-Mitgliedschaft vor allem innenpolitische Ziele, das heißt, er versuche dadurch, die Stimmen der muslimischen Wähler für sich zu gewinnen. Hinsichtlich der Position Frankreichs in dieser Frage meint Gallois, daß die ehrgeizige Politik Chiracs in Richtung des Ma-ghreb darauf zurückzuführen sei, daß Frankreichs Staatschef in Nordafrika ein Gegengewicht zur offiziellen Politik Berlins in Richtung des Schwarzen Meers bilden wolle. Falls die EU Ende 2004 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Ankara beschließe, werde, so vermutet der Strategieexperte, Chirac der Brüsseler Kommission die Verantwortung hierfür zuschieben. Die öffentliche Meinung sei in Frankreich nämlich gegen einen türkischen EU-Beitritt.

Die Befürworter eines EU-Beitritts der Türkei beziehen sich auch auf Adenauer und de Gaulle, die 1963 den Wunsch geäußert hatten, die Türkei möge "europäisch" werden. Daß sich in der Zwischenzeit die Umstände drastisch verändert haben, wird von ihnen allerdings nicht berücksichtigt.

Im Zusammenhang mit der Lage im Irak kam der General a. D. wieder auf das Erdöl als Motiv zu sprechen. Er sprach von einer Verwicklung der iranischen und russischen Diplomatien in den Aufstand der Schiiten. Falls die Demokraten die US-Präsidentschaftswahl im November dieses Jahres gewännen, wäre in Bagdad mit einer zwar sanfteren, jedoch ebenso eindringlichen US-Diplomatie zu rechnen. Pierre Campguilhem


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