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01.05.04 / "Und der Pinsel fliegt hin und her" / Aquarelle

© Preußische Allgemeine Zeitung / 01. Mai 2004


"Und der Pinsel fliegt hin und her"
Aquarelle von Lovis Corinth in Emden ausgestellt

Wie gerne würde ich sein Rezept verraten", schreibt Charlotte Berend-Corinth in ihren Erinnerungen an den Maler und Ehemann Lovis Corinth, "aber wie Corinth da jetzt vorgeht, das wäre für jeden anderen geradezu unmöglich. Er nimmt den Pinsel dick voll Wasser, taucht tief ins Kobaltblau und fegt über das weiße Papier. Dann mischt er schwimmend voller Wasser die braunroten Farben, und der Pinsel fliegt hin und her. Ein tiefes Schwarz wird eingesetzt. Es sieht so aus, als könne aus dem Getriefe niemals etwas Klares herauskommen", schreibt sie, die selbst Malerin ist und etwas vom "Handwerk" versteht. "Corinth malt viele Stunden an einem Aquarell, oft länger als am Ölgemälde, er arbeitet mit äußerster Anstrengung, dieser eigentümlichen Technik Herr zu werden."

Und am Ende entstehen ganz besonders eindrucksvolle Aquarelle, die auch von der Freude des Künstlers am Experimentieren, von der Bereitschaft, ein Risiko einzugehen, künden. Aber: "Ohne das Medium je als bloß dienendes Experimentierfeld zu nutzen, führt er das Aquarell unter den Bedingungen impressionistischer Sehweise und expressionistischer Form immer wieder an die Grenzen der gegenständlichen Auflösung. Technisches Brillieren oder effektvolles Inszenieren ist ihm dabei gänzlich fremd - die handwerkliche Meisterschaft bleibt stets dem individuellen Ausdruck und somit der schöpferischen Authentizität untergeordnet", erläutert Nils Ohlsen im Katalog zu einer Ausstellung mit Aquarellen und späten Gemälden von Lovis Corinth, die noch bis zum 20. Juni in der Kunsthalle in Emden, Hinter dem Rahmen 13, zu sehen ist (dienstags 10-20 Uhr, mittwochs bis freitags 10-17 Uhr, am Wochenende und an Feiertagen 11-17 Uhr; Katalog: Hrsg. Achim Sommer, 112 Seiten, 70 Farb- und 10 s/w Abbildungen, im Museum 17 Euro, im Buchhandel 24,80 Euro).

"Corinth", so Ohlsen, "hat das Aquarellieren geliebt und sich in dieser vermeintlich einfachen Technik eine ganz eigene Welt faszinierender Koloristik und tiefer Ausdruckskraft erschlossen. Es müssen die dem Aquarell eigenen Möglichkeiten gewesen sein, die Corinth reizen, immer wieder in dieser Technik zu arbeiten: Die schöpferische Ungeduld, das Gesehene und Erspürte sogleich vor sich entstehen zu sehen, das lustvolle Abenteuer mit den auseinanderstrebenden und ineinander- fließenden Farben, das Leuchten der aufblühenden Pigmente oder der immaterielle Kontrast zwischen dem dramatischen Dunkel der Farbe und dem Weiß des Papiers entsprechen offenbar in kongenialer Weise Corinths ebenso selbstzweiflerischem wie drängendem Gemüt", vermutet Ohlsen und zitiert Corinth selbst: "Ach Gott, wenn nur das Aquarellieren nicht so schwer wäre, so naß - und überhaupt. - Na, aber, ich denk, ich werd's schon kriegen. Was meinst?"

Daß er's "gekriegt" hat, und zwar auf meisterhafte Weise, davon kann man sich in Emden überzeugen. Eine wahre Flut von Farben stürmt auf den Betrachter der Bilder ein, der einem Meilenstein der Aquarellmalerei im frühen 20. Jahrhundert gegenübersteht. Wo andere Künstler behutsam mit Pinsel und Farbe umgingen, hat Corinth für sich den kraftvollen Schwung des Pinsels entdeckt, und so entstehen Aquarelle voller Dramatik, voller Kraft. "Ich für meinen Teil", bekannte Corinth schon 1908, "bin dennoch mehr dafür, dem Temperament nachzugeben und auch im Aquarell zu versuchen, sogleich die Tonwerte in ihrer richtigen Form und in ihrer richtigen Stärke hinzusetzen. Sollte es selbstverständlich am Anfang mißglücken, so lernt man doch durch die Arbeit und durch jeden neuen Versuch ... Eine derartig zu Ende geführte Arbeit wird einen weit größeren Kunstwert, eben vermöge ihrer einfachen Mittel, aufweisen als eine auf jene erste Art ausgeklügelte und allmählich zurechtgeflickte Rezeptmalerei." Leuchtende Aquarelle sind so entstanden. Manche wirken, als hätte der Künstler soeben den Pinsel aus der Hand gelegt. Dieser erste Überblick über die Aquarellmalerei Lovis Corinths bietet neben einigen bekannten Hauptwerken eine Vielzahl von zum Teil noch nie öffentlich gezeigten Arbeiten. Sehenswert!

Silke Osman

 

Lovis Corinth: Walchenseelandschaft (Aquarell, 1925; im Besitz der Staatlichen Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett) Foto: Museum


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