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15.05.04 / Vergangenheit oder Gegenwart?

© Preußische Allgemeine Zeitung / 15. Mai 2004


Gedanken zur Zeit:
Vergangenheit oder Gegenwart?
von Andreas Schneider

Anna Rau (damals 17), die Tochter des Bundespräsidenten, im April 2001 in der Zeitschrift MAX: "Ja, der Zweite Weltkrieg nervt mich extrem. Immer wieder dasselbe. Man fängt an mit Hitler und dem rosa Kaninchen, dann kommt Anne Frank und "Die Welle", dann schaut man "Schindlers Liste" am Wandertag. Im Konfirmandenunterricht nimmt man den Holocaust durch und in Geschichte sowieso. Man könnte fast sagen, man spricht in allen Fächern darüber. Da stumpft man irgendwie ab. Es ist einfach zu viel."

Die deutsche Form der Vergangenheitsbewältigung hat versagt, Generationen von Schülern wurden darauf dressiert, in einer Art Pawlowschem Reflex die deutsche Vergangenheit kritiklos zu verdammen, bei den Fragen ihrer Lehrer das Gehirn abzuschalten und das herunterzubeten, was man von ihnen hören will. Wer mit Jugendlichen spricht, wird die oben zitierten Sätze als symptomatisch für die Haltung der Schüler bezeichnen können.

Die Gefahr für unsere Demokratie zeigt sich jedoch erst in der Unfähigkeit zur Transferleistung: die jungen Menschen würden zwar als Zeitreisende in einer exakt identischen Situation im Jahr 1933 die Gefahr erkennen und anders als ihre Großeltern handeln, aktuelle Gefahren, die sich vom Gelernten unterscheiden, werden heute jedoch nicht als solche erkannt und mit völliger Gleichgültigkeit verdrängt.

Dabei ist die Demokratie der Gegenwart so stark gefährdet wie selten zuvor. Allein, uns fehlt das geistige Rüstzeug, Totalitarismus und Völkermord zu erkennen, wenn sich die Täter tarnen und keine braunen Uniformen tragen. Für diese Gegenwartsblindheit, von der vor allem das sogenannte antifaschistische Lager geprägt ist, existieren zahlreiche Beispiele aus allen Bereichen der Politik.

Eine davon ist die linke Appeasementpolitik gegenüber dem islamischen Totalitarismus, der seine Wurzel in der ägyptischen Moslembruderschaft hat. Scheich Jassin war Moslembruder, genauso wie Bin Ladens Stellvertreter Ayman al-Zawahiri, und Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, steht ebenfalls im Verdacht, Mitglied der Moslembruderschaft zu sein. Die Islamische Heilsfront (FIS) bezeichnet sich als deren algerischen Zweig, die Taliban vereinigten saudischen Wahabitismus mit der Ideologie der Moslembrüder, und die palästinensische Hamas ist ihre nationalistisch-religiöse Erscheinungsform.

In seiner Zeitung An-Nadir definierte Hassan al-Banna, Gründer der Moslembruderschaft, den Islam als "Kult und politische Führung, Religion und Staat, Spiritualität und Praxis, Gebet und Kampf, Gehorsam und Herrschaft, Koran und Schwert; man kann keines der Elemente vom jeweils anderen trennen" und weist somit für seine Ideologie die Merkmale des Totalitären nach. Prof. Tilman Mayer, Politologe an der Universität Bonn, ist nicht der einzige Wissenschaftler, der im Islamismus nach Kommunismus und Faschismus den dritten Totalitarismus sieht.

Eine mit dieser Gefahr des Totalitären korrespondierende Blindheit ist diejenige, die den neuen Antisemitismus in Europa ausblendet. Im linksradikalen Spektrum ist längst erkannt worden, daß sich der altlinke Antizionismus mit dem Antikapitalismus der Globalisierungskritiker und dem latenten Antiamerikanismus der Friedensbewegung zu einer neuen Form des akzeptierten linken Antisemitismus vermischt. Die breite Öffentlichkeit erkennt diesen Antisemitismus nicht als solchen, weil er nicht von rechts kommt und keine Springerstiefel trägt.

Auch die Frage, ob wir heute einen Völkermord rechtzeitig erkennen würden, um ihn zu verhindern, ist nach Ruanda, Bosnien und Tsche-tschenien negativ beantwortet. Weder die Ermordung von fast einer Million Menschen innerhalb von 100 Tagen in Afrika noch der Tod von 250.000 Menschen drei Stunden von München entfernt oder die komplette Ausradierung von Städten samt ihrer Bevölkerung durch die "Friedensmacht" Rußland haben unsere Aufmerksamkeit erregt und die deutsche Friedensbewegung zu größeren Aktivitäten veranlaßt. In allen drei Fällen ging oder geht es um Massenmord aus rassistischen und/oder nationalistischen Beweggründen, und keinen Pazifisten oder Antifaschisten stört es.

Vielleicht erkennen wir aber wenigstens Verstöße gegen Menschenwürde und Lebensrecht direkt vor unserer Haustür? Hier herrscht ebenfalls Fehlanzeige: Offen diskutieren deutsche Wissenschaftler und Politiker trotz unserer Erfahrungen mit der Vernichtung "lebensunwerten Lebens" über Möglichkeiten der Selektion und Euthanasie. Präimplantations- und Pränataldiagnostik am Menschen haben nur ein einziges Ziel: die Auslese behinderter Menschen. Zu Recht bezeichnen die Behindertenverbände dies als "Früheuthanasie" und sehen darin einen Verstoß gegen Artikel 2, Abs. 2 GG ("Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit") und Artikel 3, Abs. 3 GG, Satz 2 ("Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden").

Ähnliches gilt für die aktuelle Diskussion um die Sterbehilfe. Landesbehindertenrat, Caritas und verschiedene Sozialverbände warnen vor der Freigabe der aktiven Sterbehilfe, da dies alte und kranke Menschen unter Rechtfertigungsdruck setzen könnte. Wenn der Zeitpunkt des Sterbens in unser Belieben gestellt wird, was spricht dann dafür, daß ein Mensch mit kostenintensiver Krankheit, Behinderung oder Pflegenotwendigkeit noch weiterleben soll? Belastet er nicht mit seiner Existenz seine Angehörigen, die Solidargemeinschaft, den Steuerzahler? Zeitungsberichte über jährlich etwa 1.000 Tote in den Niederlanden, die ihre Einwilligung zur Sterbehilfe nicht selbst gegeben haben, und über mehrere Todesfälle in der Schweiz, bei denen sich nach erteilter Sterbehilfe herausstellte, daß ihre Krankheitsdiagnose falsch war, lassen kein Vertrauen in angeblich hehre Ziele der Sterbehilfebefürworter aufkommen. Die Selbstvertretungen der Behinderten sehen darin ohnehin einen ersten Schritt zur Bewertung menschlichen Lebens nach seiner Leistungsfähigkeit. Die Parallelen zur nationalsoziali-stischen Ideologie scheinen niemanden zu stören, wenn es um eine Steigerung der Effektivität des Menschenmaterials am "Standort D" geht.

Diese Liste ließe sich um etliche Fälle von staatlicher Willkür, Verfassungsbruch oder Zurückdrängung des christlichen Fundaments der Republik ergänzen (auch die Nationalsozialisten ließen das Kreuz aus den Klassenzimmern entfernen). Das Muster bleibt gleich: Taten in der Vergangenheit werden als verbrecherisch qualifiziert, vergleichbare Taten in der Gegenwart werden kaum noch wahrgenommen.

Ich bin weit davon entfernt, den Holocaust an den europäischen Juden zu relativieren, er ist und bleibt eines der schwersten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Dies heißt aber nicht, daß es nicht auch zu anderen Zeiten und an anderen Orten schwerste Verbrechen gegeben hat. Das herrschende Singularitätsdogma, wie es CDU-Chefin Angela Merkel zuletzt wieder einmal festgezurrt hat, darf uns Deutsche nicht vom Nachdenken über die Gefahren der Gegenwart entbinden. Oder hat uns gar die exzessive singuläre Beschäftigung mit zwölf verbrecherischen Jahren bereits so weit abgestumpft und politisch gleichgültig gemacht, daß wir unfähig sind, Parallelen mit Teilbereichen der damaligen Verbrechen zu erkennen und heute zu verhindern?

Was nutzt es, wenn wir, die junge Generation, heute der festen Meinung sind, wir hätten dank unserer Aufklärung auch schon 1933 anders gehandelt als die Generation unserer Großeltern? Unsere Aufgabe heute ist es, nicht nur die Vergangenheit, sondern vor allem die Gegenwart zu bewältigen.


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