28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
15.05.04 / Mythos: Unbedingter Wille zum Krieg? / Interne Dokumente belegen internationale Motive für den Zweiten Weltkrieg

© Preußische Allgemeine Zeitung / 15. Mai 2004


Mythos: Unbedingter Wille zum Krieg?
Interne Dokumente belegen internationale Motive für den Zweiten Weltkrieg

Gibt es für ein Ereignis mehrere mögliche Erklärungen, so ist die einfachste die gültige. Dieses Postulat Wilhelm von Ockhams war nach Stefan Scheil im 14. Jahrhundert für die Befreiung von unnötigen Spekulationen in Theologie und Philosophie notwendig. Wem es aber noch heute als Richtlinie zur Erklärung von Ursache und Wirkung in der Geschichtsschreibung diene, der überschlage gut 200 Jahre Bemühung um deren Wissenschaftlichkeit. Dieser elegant formulierten, harschen Kritik am Trend, Hitlers "unbedingten Willen zum Krieg" zur Erklärung des Weltkriegs vorauszusetzen, läßt der Autor ein wahres Feuerwerk an Beweisen folgen, mit denen er die Eskalation in den Jahren 1939 und 1940 genau ohne diesen Leitsatz erklärt. Dazu muß er keinerlei Verrenkungen zugunsten deutscher Politik machen. Erschütternd ist dabei die Erkenntnis, welche Verrenkungen aber Generationen von Historikern gemacht haben müssen, um die Generallinie der "Alleinschuld Deutschlands" in manigfachen Variationen darzubieten.

Wer die Logik der Entwicklung zum Weltkrieg verstehen will, besonders auch anhand interner Dokumente, die meist besser als offizielle die wirklichen Motive der Handelnden zeigen, dem ist das profunde Buch sehr zu empfehlen. Es profitiert von seinem sachlich unangefochtenen Vorgänger von 1999, "Die Logik der Mächte - Überlegungen zur Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges".

Die Ereignisse der beiden Jahre stellen sich grob vereinfacht folgendermaßen dar: Der Polenfeldzug war das Ergebnis 20jähriger Spannungen, denen Polens übersteigerter Nationalismus zugrunde lag, der Rechte und Interessen anderer Staaten ignorierte, seine eigene Macht weit überschätzte und von England und Frankreich gegen Deutschland bestärkt wurde. Dieser Regionalkonflikt, der keine Interessen der Westmächte tangierte, wurde von diesen zur Schwächung Deutschlands instrumentalisiert, ohne daß sie selbst willens oder in der Lage gewesen wären, Polen in der Kriegführung aktiv zu unterstützen. Alle Friedenssignale Hitlers und seine Bereitschaft, sich auf den Gewinn Danzigs und des Korridors zu beschränken, stießen aus vorwiegend innenpolitisch-machttaktischem Kalkül der westlichen Regierungen auf Ablehnung. So war aus deutscher Sicht der Frankreichfeldzug zur Überwindung der Pattsituation notwendig. Obschon Hitler beim Waffenstillstand zeigte, daß es ihm nicht um Territorialgewinn ging, indem er gemäß seinem früher erklärten Verzicht Elsaß-Lothringen bei Frankreich ließ, obschon er weitere deutliche Friedenssignale aussandte, wollte England weder Friedensangebote hören noch selbst Friedensbedingungen signalisieren.

Scheil legt erstaunlich klare Belege dafür vor, daß Hitler sogar nach den glänzenden Siegen nicht an ein Europa unter deutscher Führung dachte. Vorausgesetzt, Deutschlands Existenz und Handlungsfreiheit als relativ mächtiger Industriestaat wurden anerkannt, bestand also kein wirklicher Grund für einen Weltkrieg. Doch in England und in Amerika waren mittlerweile starke antideutsche Strömungen bestimmend, die der Amerikaner Theodore Kaufman schon 1941 in seinem Buch "Germany Must Perish" mit der Forderung nach physischer Vernichtung der Deutschen im Extrem ausdrückte. Mit Churchill als Premier gab es somit nur noch die Einbahnstraße zum Weltkrieg ohne Rücksicht auf Verluste. Wenn Scheil sagt: "Europa wurde das Objekt fremder Machtpolitik", so muß ihm der Rezensent heftig widersprechen: Europa wurde nicht Objekt, nein, es hat sich selbst dazu gemacht! Dies beweist das Buch in extenso. Daß ausgerechnet die vermeintlich so weitsichtigen Briten die für sie selbstmörderische Involvierung der USA und der Sowjetunion betrieben, läßt sich nur gemäß Barbara Tuchman mit der "Torheit der Regierenden" erklären. Manfred Backerra

Stefan Scheil: "Fünf plus zwei. Die europäischen Nationalstaaten, die Weltmächte und die vereinte Entfesselung des Zweiten Weltkrieges", Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2003, 533 Seiten, broschiert, 34,80 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren