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05.06.04 / Zusammenstoß der Kulturen / Europa muß sich im modernen Kampf der Religionen und Werte auf seine Fundamente besinnen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 05. Juni 2004


Zusammenstoß der Kulturen
Europa muß sich im modernen Kampf der Religionen und Werte auf seine Fundamente besinnen
von Klaus Hornung

Als vor zehn Jahren Samuel Huntingtons großes Buch "The Clash of Civilizations" erschien, stieß es auf den Protest der liberalen Beschwichtiger im Westen. Es erzeuge Vorurteile über die anderen Kulturen und befördere damit die Konflikte, die es doch zu vermeiden gelte. Heute sieht man: die Prognosen des Harvard-Historikers beginnen sich Schritt für Schritt in der Realität des globalen Panoramas zu bestätigen. Huntington liefert den roten Faden einer Analyse, die zur Tiefendimension der weltpolitischen Konflikte im beginnenden 21. Jahrhundert vorzudringen vermag. Das Verhältnis zwischen dem islamischen Orient und dem christlichen "Abendland" wurde während nahezu eineinhalb Jahrtausenden von einem stetigen Wechsel von Vorstoß und Rückzug der einen und der anderen Seite geprägt, von Phasen friedlichen Austausches und wiederkehrender wechselseitiger Bedrohungen.

Die erste große Offensive der jungen islamischen Welt nach dem Tod ihres Gründers Mohammed 632 führte die arabisch-berberischen Reiterheere über Nordafrika bis in das Zentrum des damaligen Europa, wo sie erst bei Tours und Poitiers 732 abgewehrt werden konnten. Es folgte der westliche Gegenstoß der Kreuzzüge und der Rückeroberung (Reconquista) Spaniens. Gleichzeitig breitete sich der Islam aber auch von seiner arabischen Kernregion bis Zentralasien und Indien aus. Es folgte der Kampf ums Mittelmeer, Rhodos, Griechenland, Malta, bis zur Eroberung von Konstantinopel durch die islamischen Osmanen (1453). Die Kämpfe dauerten bis zur Zeit Kaiser Karls V. fort, wie der Sieg der europäischen Flotte bei Lepanto zeigte. Die Osmanen machten sich dann an die Eroberung der Balkanhalbinsel und drangen zweimal bis vor die Tore Wiens und an die Alpen vor (1529, 1683), nicht ohne daß sich die Könige des aufsteigenden Frankreich mit ihnen gegen die Mitte verbündeten. Die türkische Welle wurde seit dem Ende des 17. Jahrhunderts durch die Siege Prinz Eugens rückläufig, verebbte jedoch erst vollends zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Hinterlassenschaft der türkischen Beherrschung wirkt noch bis in unsere Tage in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo fort. Die europäische Gegenoffensive wurde am Ende des 18. Jahrhunderts von den Briten eröffnet. Schritt für Schritt gelang es ihnen, sich im Nahen Osten festzusetzen. Im Bündnis mit den Arabern gegen die türkische Herrschaft im Ersten Weltkrieg konnten sie - unter dem Bruch vieler Versprechen an die Araber - zu Herren der Region zwischen dem Mittelmeer und dem Arabisch-Persischen Golf werden. Die politische Neuordnung dieser Region 1918/20 gemäß den britischen Interessen am Öl und an der Sicherung des Weges nach Indien begründete die meisten Konflikte, mit denen wir es heute noch zu tun haben: den israelisch-arabischen Konflikt, die Errichtung der politischen Kunstgebilde Irak und Jordanien mit ihren Linealgrenzen bis hin zur politischen Ordnung der arabischen Halbinsel mit Saudi-Arabien. Der Zweite Weltkrieg führte dann zur Ablösung der britischen Vorherrschaft "east of Suez" durch die amerikanische. Das alles hat im arabischen Tiefenbewußtsein zum Trauma der Fremdherrschaft und Demütigung durch die westlichen "Kreuzfahrer" beigetragen. Zumal Israel hier als westlicher Vorposten und "Pistole auf das arabische Herz" empfunden wird.

Der Zweite Weltkrieg wurde im Nahen Osten zum Anstoß einer Gegenbewegung, zunächst im Zeichen der Befreiungsbewegungen eines (nichtmarxistischen) sozialistischen Nationalismus, der zur Errichtung säkularer Diktaturen in Ägypten (Gamal Abdel Nasser), Syrien (Hafiz al-Assad) und schließlich im Irak (Saddam Hussein) führte. Sie versuchten in mehreren Kriegen, den Staat Israel schon in seiner Entstehung zu verhindern (1948) und "ins Meer zu werfen". Die Versuche scheiterten endgültig mit dem israelischen Sieg im Sechstagekrieg im Juni 1967, einem für die Araber traumatischen Ereignis, das zum Auslöser einer tiefgreifenden Rück-besinnung auf das religiös-kulturelle Erbe führte, zu einer Hinwendung zum "Rückhalt im Eigenen" als Quelle der Erneuerung und neuen Selbstbewußtseins. Die Anfänge dieser islamischen "Wiedergeburt" waren zwar schon in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen erkennbar gewesen, etwa bei der Gründung der Moslembruderschaft in Ägypten 1928. Ihre religiöse und politische Stoßkraft hat die Islam-Renaissance aber vor allem in den Jahrzehnten seit 1967 gewonnen, in der religiöse Erneuerung und politischer Widerstand gegen den Westen zwei Früchte desselben Stammes darstellen. Erneuert wird damit auch wieder das islamisch-koranische Bild einer Zweiteilung der Welt in das "dar al-Islam" ("Haus des Islam"), in dem dieser bereits unangefochten herrscht, und dem "dar alharb", dem Haus des Krieges und der Feinde, die früher oder später der allein wahren Religion unterworfen werden müssen. Gewiß: Die Weltgemeinschaft des Islam, die ummá, ist ein differenziertes Gebilde, das sich etwa in den arabischen Kerngebieten anders darstellt als in der persischen Schia oder in den islamischen Missionsgebieten Südostasiens. Doch die selbstbewußte Forderung des Koran, "Der Islam herrscht und wird nicht beherrscht", ist in unseren Tagen zum Ausdruck eines neuen politisch-kulturellen Selbstbewußtseins und Offensivwillens geworden.

Einige Etappen dieses Neuaufbruchs seien genannt. 1979 siegte im Iran die schiitische Revolution des Ayatollah Chomeini gegen das von den USA unterstützte Schah-Regime. Sie behauptete sich anschließend in einem achtjährigen blutigen Krieg (1980 bis 1988) unter Millionenopfern gegen den säkularen Irak Saddam Husseins, trotz dessen nachhaltiger Unterstützung durch den Westen. Im Oktober 1981 wurde der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat, der Nachfolger Nassers, bei einer Militärparade in Kairo von einer islamistischen Terrorgruppe ermordet, deren Chef, der ägyptische Augenarzt Zawahiri, heute der zweite Mann des Bin-Laden-Netzwerkes ist. Die Ermordung Sadats war die Rache für seinen Abschluß des Sonderfriedens Ägyptens mit Israel in Camp David (1979) gewesen. Den wohl bisher bedeutsamsten Sieg errang der islamistische Widerstand in Afghanistan gegen die sowjetrussische Besetzung mit dem Rückzug der Sowjettruppen (1986) als Vorspiel des Zusammenbruchs der Sowjetunion wenige Jahre später. In diesen Jahren gewannen überall in der islamischen Welt fundamentalistische Rebellengruppen Zulauf, von Algerien bis zu den Phi-lippinen, wo sich lokale Konflikte mit einem gesamtislamischen Offensivwillen verbinden. Daneben gibt es aber auch an zahlreichen Brennpunkten einen stillen Prozeß islamischer Expansion, in den ehemals

sowjetrussischen Republiken Zentralasiens ebenso wie in Schwarzafrika südlich der Sahara, vom Sudan bis Nigeria und Mali. Das Prinzen-Regime Saudi-Arabiens arbeitet seit Jahren mit seinen Öl-Milliarden am Aufbau eines islamischen Einfluß-Netzes von Pakistan bis Bosnien-Herzegowina, selbst in Westeuropa und in den Vereinigten Staaten, das den Bau von Moscheen und Schulen, die Entsendung islamischer "Entwick-lungshelfer" und Missionare und den Aufbau oder die Unterstützung von Fernsehanstalten umfaßt. Die islamisch-westliche Konfrontation wird inzwischen immer häufiger von islamischer Seite auch in der Medienwelt geführt.

Ist der islamistische Terrorismus gewissermaßen der spektakuläre, über die Medien wirkende Teil der islamischen Offensive, so ist auch der stetige islamische Einwanderungsdruck auf Europa Teil einer selbstbewußten Gesamtstrategie. So zieht es die Türken vor allem nach Deutschland, die Nordafrikaner nach Italien, Spanien und Frankreich und die Bewohner der islamischen Länder des früheren Commonwealth, etwa Pakistan, nach Großbritannien. Hier sind überall inzwischen islamische Gemeinschaften von jeweils mehreren Millionen Menschen entstanden, die unter maximaler Nutzung der Möglichkeiten des freiheitlichen Rechtsstaates ein umfassendes Vereinsleben aufbauen und als innenpolitische Veto-Gruppen Einfluß bei den nationalen und europäischen Wahlen ausüben. Wachsende islamische Ghettos in den Ballungsgebieten haben längst die Grenze der Einwanderung in Richtung auf Landnahme überschritten.

Und nicht zuletzt spielt die in der muslimischen Welt in vollem Gang befindliche Bevölkerungsexplosion eine stetig wachsende Rolle in Weltpolitik und Weltwirtschaft. Betrug der Anteil der Muslime an der Weltbevölkerung 1980 noch rund 18 Prozent, so ist er bis heute auf bereits 25 Prozent gestiegen und wird sich um 2025 schon auf ein Drittel belaufen. Zahlen aus den Brennpunkten der Geburtenexplosion lassen sich leicht hinzufügen. Die Bevölkerung der Türkei wuchs zum Beispiel von knapp 40 Millionen im Jahr 1945 auf heute 71,2 Millionen. Istanbul ist in wenigen Jahrzehnten von etwa zwei Millionen Menschen zu einer Megalopolis von wenigstens zehn Millionen angewachsen. Im Niltal kommt jährlich eine runde Million neuer Ägypter hinzu. Überall sind mehr als

die Hälfte der Bevölkerung junge Menschen unter 18 Jahren, eine Entwicklung, mit der keine wie auch immer gearteten Maßnahmen in Industrie und Landwirtschaft mithalten können, so daß das Pro-Kopf-Einkommen in diesen Ländern derzeit um jährlich etwa zwei Prozent sinkt. Eine Jugend mit mehrheitlich keinen oder geringen Berufs- und Arbeitsaussichten muß zu einem leichten Rekrutierungsfeld für den islamischen Fundamentalismus und auch Terrorismus werden. Der materielle und der ideelle Nährboden für die islamische Offensive zur Unterwerfung der alternden und schwachen westlichen Konsumgesellschaften ist vorhanden.

Umgekehrt zur Erneuerung in der islamischen Welt verlief die Ent-wicklung in Europa. Nach einer Phase christlicher Besinnung nach dem Ende der totalitären Diktatur setzte hier auf dem Hintergrund einer langen Phase der Hochkonjunktur und des Massenwohlstandes von fast 40jähriger Dauer ein Säkularisierungsschub ein mit allen Begleiterscheinungen des Geschichts- und Traditionsverlustes und im Zeichen eines Verständnisses von "Fortschritt", das sich fast ausschließlich aus Produktions- und Wachstumsziffern herleitet und sich an Technik und allen Gütern eines betont diesseitigen Lebens orientiert. Als Ende der 60er Jahre in Europa und Deutschland die Jugend- und Studentenrebellion begann, brauchte sie den längst in Gang befindlichen kulturellen und historisch-politischen Abbruchprozeß nur fortzusetzen. Sie vertiefte ihn, nur wenige Jahrzehnte nach dem Untergang des Nationalsozialismus, mit erneuten totalitären Erwartungen eines "neuen Menschen" in einer sozialistischen Gesellschaft, jetzt unter "antifaschistisch"-neomarxistischen Prämissen. Mit Parolen wie der individuellen "Selbstverwirklichung" und der "Vergangenheitsbewältigung" entfaltete sich eine antikulturelle "Kulturrevolution", die - von gewissen Kommandohöhen in Wissenschaft, Medien und Politik strategisch gesteuert - "tiefer in das Selbstverständnis der Deutschen eingegriffen hat, als es vermutlich der nationalsozialistischen Kulturrevolution gelungen ist" (Günter Rohrmoser). Sie hat viel zur Schleifung der Bastionen von Religion, Tradition und Nation beigetragen. Die "Vergangenheitsbewältigung" hat mit den faulen Wurzeln des Nationalsozialismus vielfach auch die noch gesunden Triebe europäischer und deutscher Kultur und Gesittung aus-

gerissen. Das Ergebnis sehen wir heute in mancherlei Facetten des Niedergangs vor uns: in einer geschichtslosen, egoistischen und hedonistischen Konsum- und Ellbogengesellschaft, in der Abwertung der Familie, im Singletum, in einem nachhaltigen Säkularisierungsschub im Namen sogenannter "Modernisierung". Nicht zuletzt in den Kirchen ist eine "Selbstsäkularisierung " (Josef Isensee) im Gange, die an die Stelle ihrer Existenzmitte der Verkündigung und Seelsorge eine weitgespannte "Sozialarbeit" rückte.

Ganz im Gegensatz zur religiösen und kulturell-politischen Renaissance im Islam ist in Europa in den letzten Jahrzehnten eine religiöse Tabula rasa entstanden, die sich immer deutlicher als die fatal offene Flanke der offenen Gesellschaft erweist, und als Ursache eines mangelnden kulturellen und auch politischen Selbstbewußtseins der Europäer.

Sicherlich: Das Erleben und Erleiden zweier großer Katastrophen, der beiden Weltkriege und der beiden totalitären Diktaturen, haben die Europäer historisch-politisch ermüdet. Sie sind in ihrer Mehrheit pazifistisch, individualistisch, genußsüchtig; sie möchten möglichst einen sorgenfreien Wohlstand fernab von Ideologien, Konflikten und Politik. Die europäische Geburtenschrumpfung ist zum eindeutigsten, meßbaren Zeugnis dieser Gesamtsituation geworden - im schlagenden Kontrast zur Revolution der Wiegen des Islam.

Aber die Geschichte in ihrer Härte hat noch niemals auf die Befindlichkeiten der Völker Rücksicht genommen, sie stellt sie als Faktoren in ihr Kalkül ein. Wie schon gegenüber den beiden vorausgegangenen totalitären Herausforderungen so gilt auch gegenüber der dritten, islamistischen, die Einsicht, wie Friedbert Pflüger sagt, daß der Pazifismus, der Glaube an einen von Menschen herstellbaren vollkommenen irdischen Frieden nicht nur ein theologischer Irrtum, sondern auch ein stets gefährliches politisches Rezept ist, das zu Schieflagen und Vorleistungen und zur Kapitulation führen kann, man braucht nur an das Ungleichgewicht zwischen dem üppigen Moscheenbau im We-sten und der Behandlung der Christen im dar al-Islam zu denken.

Der westlich-islamische Dialog führt derzeit den Westen leicht dazu, ihn auf dieselbe Weise zu führen wie einst mit dem Sowjetkommunismus: als einseitigen "Wandel durch Annäherung". Ein wirklich konstruktives Religionsgespräch muß als Mittel der Wahrheitssuche auch dazu dienen, scharfe Grenzen zu ziehen. Schon vor über 200 Jahren hat der Dichter Friedrich von Hardenberg, manchen noch als Novalis bekannt, in seinem Essay "Die Christenheit oder Europa" (1799) im Blick auf die "Mangelhaftigkeit und Bedürftigkeit der bisherigen Staatseinrichtungen" von der Notwendigkeit der Rückbesinnung auf die christlich-abendländischen Wurzeln gesprochen: "Nur die Religion kann Europa wieder auferwecken und die Völker sichern."

 Vorstoß der Kreuzritter: Im Kampf der Religionen hatte mal das Christentum, mal der Islam die Vorherrschaft inne. In den letzten Jahrhunderten fühlte sich das Christentum aufgrund seines wirtschaftlichen und technologischen Fortschritts überlegen, doch der Wohlstand kappte auch die Wurzeln zu den alten Werten und Kräften, beides Vorgaben, die im Islam noch lebendig sind.

Filmszene aus "Die Kreuzritter" mit Armin Mueller-Stahl / pa


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