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05.06.04 / "Jede Kunst ist Religion" / In seiner Autobiographie rechnet René Kollo auch mit dem heutigen Kulturbetrieb ab

© Preußische Allgemeine Zeitung / 05. Juni 2004


"Jede Kunst ist Religion"
In seiner Autobiographie rechnet René Kollo auch mit dem heutigen Kulturbetrieb ab

Man schwebt zwischen Himmel und Hölle. Zwischen Seligkeit und Wahn. Zufriedenheit wechselt sich ab mit bitterster Verzweiflung." Der diese Zeilen über das Los eines Sängers schrieb, muß es wissen: René Kollo, seit fast fünf Jahrzehnten der Muse des Gesangs verschrieben. Als Autodi-dakt hatte der Träger eines großen Namens in der Musikbranche (Großvater Walter und Vater Willi Kollo schrieben Musikgeschichte) 1955 mit Dixieland begonnen und Schlagzeug, Kontrabaß, Klavier und Gitarre Töne entlockt. Drei Jahre später nahm er seinen Gesangsunterricht bei Elsa Varena auf: "Ich kam, sang - und sie redete von Oper", erinnert er sich. "Aber Oper - das war mir zu langweilig." Sieben Jahre lang trainierte die Varena seine Stimme; zwischendurch sang er - Schlager. Mit "Hello, Mary Lou" hatte Kollo einen Riesenerfolg, über 125.000 verkaufte Platten. Später sollte dieser Erfolg allerdings hin und wieder ein Hindernis bei seiner Karriere als Opernsänger werden. Beim Vorsingen gab's den Einwand: "Den kann man nicht nehmen, der war ja mal Schlagersänger."

Sein erstes Engagement als lyrischer Tenor erhielt René Kollo 1965 schließlich in Braunschweig. "Meine erste große Premiere war dann der Danilo in Lehárs Lustiger Witwe", erinnert er sich in seiner jetzt bei Henschel, Berlin, herausgekommenen Autobiographie Die Kunst, das Leben und alles andere ... (240 Seiten zahlr. sw Abb., gebunden mit Schutzumschlag, 24,90 Euro). "Ich war damals 28 Jahre alt, glich also in der berühmten Heesters-Aufmachung - Frack, Zylinder, weißer Schal - eher dem jüngeren Urenkel Danilos ... Bei meinem ersten Auftritt sollte ich von der Hinterbühne aus eine Treppe hochklettern und dann, das Auftrittslied singend, auf der anderen Seite der Treppe wieder heruntersteigen, geradewegs auf das Publikum zu.

Während ich also mit weichen Knien von der Hinterbühne aus die Treppe hochkraxelte, um zu meinem Auftritt zu gelangen, intonierte das Orchester die ersten einleitenden Takte. Im selben Moment merkte ich, daß mir der Text nicht mehr einfiel. Mein Kopf wurde zu einem aufblasbaren Ballon, dicke, dumme, dämliche Watte machte sich darin breit, hysterische Angst verursachte dieses fünffache Anwachsen eines Vakuums - und die Musik spielte unerbittlich weiter. Das alles hörte ich wie in einem Traum, aber jeder Traum hat ein Ende, und so befand ich mich plötzlich draußen vor dem Publikum. ,O Vaterland du machst bei Tag ...', so hätte es beginnen sollen. Mit verschwommenem Blick sah ich nach unten in die Zuschauerreihen, und mir wurde immer klarer, daß ich für diesen Beruf wohl doch nicht geeignet war ..."

Nun denn, in Braunschweig ging's dann doch gut - mit einigen dichterischen Freiheiten. Noch einmal erwischte es René Kollo, diesmal allerdings bei einer Schallplatten-Produktion derselben Operette mit Herbert von Karajan. Der Maestro, das wußte Kollo, arbeitete stets ohne Partitur. Um einer eventuellen Blamage zu entgehen, schmuggelte Kollo, der sich an sein Braunschweiger Erlebnis siedendheiß erinnerte, einen Klavierauszug mit ins Studio. Karajan jedoch entdeckte dieses "Schmuggelgut", klappte das Heft zu, und Kollo mußte singen. "Alles ging gut, und der Bann war gebrochen ..."

Die Deutsche Oper am Rhein, Bayreuth, die Mailänder Scala, Wien, Chicago, Salzburg, die Met in New York, Paris, München, San Francisco, Berlin und immer wieder Bayreuth, Wolfgang und Wieland Wagner, Strehler, Noelte, Solti, Sinopoli - das sind Stationen und Namen im Leben des erfolg-reichen Sängers und Wagner-Interpreten. Kollo, der Name steht heute vor allem für Richard Wagner. "Wagner bleibt für mich ein Wunder", so Kollo. "Jede Art von politischer Diskussion verstummt, wenn das Vorspiel der Meistersinger oder des Tristan oder des Parsifal erklingt, und so wie Lohengrin nur kurze Zeit bei uns blieb, so ist Wagners Ankunft und sein Hier-bleiben ein Wunder gewesen, das in der kurzen Spanne Zeit, die er in dieser Welt tätig war, ein ungeheuerliches und immer noch unbegreiflich geniales Werk schuf und es uns zur Freude und Religion, denn jede Kunst ist Religion, hinterließ."

Doch Kollo gerät nicht nur ins Schwärmen, wenn er von Bayreuth erzählt. So fordert er, Bayreuth müsse Sender sein und nicht Empfänger! "Für mich haben Festspiele keine Berechtigung, wenn dort all das nachgespielt wird, was das ganze Jahr schon an anderen Opernhäusern zu sehen und zu hören war. (Das gilt übrigens nicht nur für Bayreuth, sondern auch für Salzburg.) Festspiele in unseren Tagen haben meiner Meinung nach ein unverwechselbares, eigenständiges Operntheater auf die Bühne zu bringen und nicht alles zusammenzuklauben, was an anderen Häusern an gedankenlosen Inszenierungen gemacht und nachgemacht wird."

Überhaupt nimmt der weltbekannte Tenor kein Blatt vor den Mund, wenn es um Oper, Kunst und Kultur geht. Er prangert das traditionslose Chaos an, das heute an den Theatern herrscht: "Neu muß es sein, neu um jeden Preis, auch um den des Nicht-Verstehens, des Mißverstehens. Anders als es war, muß es sein. Schwierig und unbegreiflich muß es sein, vollgestopft mit unbegreiflichen Verschlüsselungen muß es sein, das allein macht es schon zur Kunst ... Wo kritiklos so gedacht und das Ganze anschließend auch noch von der Kritik beklatscht und aufgewertet wird, ist alles möglich", warnt Kollo und zitiert Heinrich Heine: "Das ist schön bei uns Deutschen, keiner ist so verrückt, daß er nicht noch einen Verrückteren fände, der ihn versteht" (Harzreise). Die "Kultur-Schaffenden", so Kollo an anderer Stelle, "sollten lernen, sich auch als Kultur-Bewahrer zu verstehen. Das ist und bleibt ihre Pflicht - vor allem, wenn sie für ihre Erzeugnisse mit öffentlichen Geldern bezahlt werden."

Und noch einmal Wagner zum Schluß: René Kollo berichtet in seinem Buch natürlich auch von seinem Vater Willi und erzählt vom Großvater Walter, an den er allerdings kaum eine Erinnerung hat. Vater Willi wurde 1904 in Königsberg geboren und in der Tragheimer Kirche getauft, "und alles, was mein späteres Leben beeinflußt hat, schien da schon seine Wurzeln zu graben. In dieser Kirche haben Richard Wagner und Minna Planer auf ihrer Reise nach Riga - Wagner sollte dort seine ungeliebte Dirigentenstelle antreten - geheiratet. So sind in diesem Kirchenregister zwei Komponisten eingetragen, wobei unserer Familie der künstlerische Unterschied zwischen Wagner und Kollo sicher bekannt ist. Eigenartig bleibt es für mich schon. Hier kamen die Namen Wagner und Kollo zum ersten mal in engere Nachbarschaft."  Silke Osman

 

Die drei Kollos: René mit Vater Willi vor dem Bild des Großvaters Walter Kollo Fotos: aus dem besprochenen Buch

Absprache unter Fachleuten: René Kollo mit Regisseur Götz Friedrich und dem Dirigenten Christian Thielemann


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