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05.06.04 / Es war doch gut gemeint ...

© Preußische Allgemeine Zeitung / 05. Juni 2004


Es war doch gut gemeint ...
von Hannelore Patzelt-Hennig

Die Familie war groß. Und es gehörte zur festen Gewohnheit damals, in den ersten Jahren nach dem Krieg, daß sich die Kinder, Schwieger- und Enkelkinder am Sonntagnachmittag bei den alten Adomeits zum Kaffeetrinken einfanden. Um die zwölf Personen waren es meistens, die sich um den alten Ausziehtisch versammelten, der die Bewegungsfreiheit in dem etwa 15 Quadratmeter großen Wohnküchenraum ausgezogen noch um einiges mehr einschränkte. Nur die Betten standen in einem kleinen Stübchen nebenan, wo auch noch so manches untergebracht war, was da eigentlich nicht hingehört hätte.

Die alten Adomeits aber waren froh über jeden der Ihren, der kam, und brachten auf den Tisch, was nur ging. Ganz besonders aber freute sich Oma Adomeit immer über die Kleinsten. Sie waren auch dem Opa eine große Freude, ihm lag aber auch sehr an den beiden ältesten Enkelsöhnen, dem Herbert und dem Ewald, die in ihren Kinderjahren in der Heimat viel um ihn herum gewesen waren. Mit ihnen machte er an den Sonntagnachmittagen gern einen Spaziergang. "Kommt man, daß hier Luft gibt!" meinte er scherzend, wenn er die Jungen zum Aufbrechen aufforderte. Und das war im wahrsten Sinne des Wortes gut so. Ganz besonders an jenem Frühlingssonntag, als die Stube bei den alten Adomeits noch voller als sonst war, weil nämlich ein vier Wochen altes Nachkriegsenkelchen sich zum erstenmal bei Oma und Opa eingefunden hatte. Eine neue Situation, bei der auch der Schlafraum für den Besuch gebraucht wurde. Benötigt zum Windeln, Stillen und Szuszen (Schuschen).

Auf dem Spaziergang mit den Großen ließ der Opa an diesem Sonntag dann aber auch noch etwas anderes Neues aus dem Familienkreis verlauten. Allerdings unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Wozu sich beide Jungen bereit erklärten. Einem ihrer Onkel war es möglich geworden, günstig ein kleines Grundstück zu erwerben, auf dem er ein Häuschen zu bauen gedachte, in das auch die Oma und der Opa mit einziehen sollten, was die Oma noch nicht wußte, aber den Opa schon sehr freute. Und gleich nach Offenlegung dieser Neuigkeit bat er die Jungen, bei diesem Bau mitzuhelfen, soweit es ihnen möglich war.

Das versprachen die beiden auch gleich bereitwillig, zumal es sich bei Onkel Gustav um ihren Lieblingsonkel handelte. Herbert, der bei einer Baufirma in der Ausbildung war und gerade sein zweites Lehrjahr abgeschlossen hatte, brachte sich gleich in Position. Und der Großvater versäumte nicht, ihn für die vorgebrachten Kenntnisse gebührend zu rühmen. Ewald, dem es noch nicht geglückt war, eine Lehrstelle zu bekommen, lobte er, daß er sich vor keiner Arbeit drücke, überall da zugriff, wo man ihm Arbeit bot. Beide, das wußte der Großvater, waren für das Haus, das sein Sohn Gustav bauen wollte, gut zu gebrauchen; denn Eigenleistung war mit das Wichtigste bei so einem Vorhaben.

Jetzt galt es nur noch abzuwarten, bis die Sache offen angesprochen wurde. Das ergab sich 14 Tage später beim Sonntagskaffee im Familienkreis. Und alle staunten; denn bis dahin war es noch keinem der hier Vereinten gelungen, nach der Flucht zu Grundbesitz zu kommen. Nur die Oma runzelte die Stirn. "Vergessen solltest aber nich, daß du vor vier Wochen arbeitslos geworden bist, Gustavchen!" Ihr Einwand war berechtigt. Gustav hatte als Handwerksmeister einen Betrieb geleitet, von dem der Inhaber noch in Gefangenschaft gewesen war. Vor einem Monat nun war er zurückgekehrt und Gustav wurde jetzt dort nicht mehr gebraucht. Doch das entmutigte ihn nicht. "Sei man unbesorgt, Muttchen! Ich werd schon wieder Arbeit finden!" tröstete er die Mutter. Und noch am selben Tag nahm er mit den anwesenden Männern eine Ortsbesichtigung auf seinem Grundstück vor, bei der Herbert und Ewald nicht fehlten. Das Grundstück lag nicht allzuweit entfernt. Dort angekommen, erklärte Gustav Adomeit, wo das Haus ungefähr stehen werde und daß er es weiträumig unterkellern wolle.

Zurückgekehrt, legte er dann sogar die fertige Bauzeichnung auf den Tisch. Das war der Moment, in dem Herbert über sich selbst hinauszuwachsen schien. Er sah sich jetzt genötigt, seine "baulichen Erfahrungen" voll und ganz einzubringen. Und der Opa versäumte nicht, eine Flasche Selbstgebrannten auf den Tisch zu stellen. Der Schnaps nahm schnell ab und die Stimmung zu. Auffällig war und blieb, daß Herbert es immer wieder schaffte, die Bauzeichnung zu sich herzuziehen, so als sei es seine. Das wurde schließlich ordentlich belächelt. Aber er konnte an diesem Nachmittag gar keinen anderen Gedanken fassen. Auch in den folgenden Tagen ließ das Bauvorhaben des Onkels ihm keine Ruhe. Und daß auf dem Grundstück schon die Kanthölzer und die Bretter für die Baubude lagen, schon gar nicht. Das führte ihn sogar zu einem verwegenen Entschluß. Und dazu verbündete er sich mit dem Ewald. Wenn die Baugenehmigung auch noch nicht erteilt war, änderte das nichts an der Tatsache, daß die Baubude schon aufgestellt werden konnte. Und das beschlossen die beiden heimlich zu bewerkstelligen.

Der Onkel war jetzt manchmal für vier bis fünf Tage weg. Er fuhr, wenn er gerufen wurde, mit einem Lkw-Besitzer, der Fernfahrten machte, als Begleitperson mit. So auch in der folgenden Woche.

Diese Tage nutzten Herbert und Ewald, wenn sie Feierabend hatten, voll Euphorie und Tatendrang für ihr Vorhaben. Sie wollten den Onkel nach seiner Rückkehr mit der fertigen Baubude überraschen. Und das sollte ihnen auch gelingen. Einen Tag vor der Rückkehr des Onkels stand sie fix und fertig da. Allerdings schwiegen die beiden gegenüber jedermann. Nicht einmal zum Opa sprachen sie von ihrer Tat.

Von erheblichem inneren Stolz erfüllt, fanden sie sich dann am darauffolgenden Sonntag, wie meistens, bei den Großeltern zum Kaffee ein. Äußerst gespannt warteten sie dort auf das Erscheinen von Onkel Gustav. Aber der kam entgegen seiner Gewohnheit nicht. Irgendwann fragte Herbert die Oma, ob sie wisse, war-um er nicht da sei. "Na, der kommt nicht, weil dem was ganz Dummes auf seinem Grundstück passiert is! Da hat wer ..." An dieser Stelle fiel ihr der Opa ins Wort. "Dem Onkel Gustav haben se e Baubud aufgestellt, wo se nicht stehenbleiben kann. Sie steht genau da, wo de Schlafstub sein wird von dem neuen Haus. Da muß se natürlich wieder weg. Und der Onkel kann sich auch nich erklären, ob se in guter Absicht errichtet wurd oder ob es e Schabernack war. Jedenfalls is er dabei, se abzureißen. Deshalb kam er heute nich!"

Herbert blieb das Stück Glumskuchen, das er gerade noch im Mund hatte, fast im Hals stecken, als er das hörte. Er winkte mit dem Arm auffordernd zu Ewald hinüber, preßte dann das Wort "Komm!" heraus, und schon waren die beiden auf und davon.

Zum Sonntagskaffee bei den Großeltern fanden sie sich erst drei Wochen später wieder ein. Da erst hatten sie den Mut, sich dem zu erwartenden Gelächter der Verwandten preiszugeben. Das blieb ihnen auch nicht erspart. Und daß der Onkel Gustav sie in Schutz nahm, nützte auch nicht viel. Gehänselt wurden sie dafür lange. Eine geraume Zeit dauerte es dann auch noch, bis sie selbst frei mitlachen konnten.


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