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12.06.04 / Höchst sonderbar ... / Esther Knorr-Anders besuchte Schloß Ehrenburg in Coburg

© Preußische Allgemeine Zeitung / 12. Juni 2004


Höchst sonderbar ...
Esther Knorr-Anders besuchte Schloß Ehrenburg in Coburg

Wer von Coburg spricht, nennt zuerst die Veste und Martin Luther. Wer von Coburg schwärmt, redet vom Markt mit den Wurstbuden und den berühmten Kiefernzapfenglut-Würsten. Wer von Coburg träumt, erwähnt das Stadtschloß Ehrenburg - lächelt und schweigt. Drängt man ihn, das Residenzschloß zu beschreiben, erhält man so aussageträchtige Antworten wie: "Man muß es gesehen haben. Höchst sonderbar ist es. Viele Zimmer, viele Gemälde. Eine unglaubliche Kirche."

Daß es in Schlössern eine Hofkirche, zahlreiche Zimmer und unzählige Gemälde gibt, wird niemanden verwundern. Was es denn für Bilder seien, frage ich den neben mir stehenden Bratwurstesser. "Porträts, Coburger und Verwandtschaft." Aha, denke ich. Fraglos gibt es furchteinflößende Familienclans. Jeder weiß es. "Und was ist mit den Räumen?" möchte ich wissen. "Man darf das Weiteratmen nicht vergessen!" Sieh mal an!

Nachdenklich wandere ich zur Ehrenburg. In greller Sonne grau flimmernd, breitet sich der Schloßplatz aus. Unterbrochen wird das Grau durch ein begrüntes Rondell, gezirkelte Baumreihen, Blumenrabatten. In der Platzmitte schaut Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Gotha von hohem Sockel. Auch er wirkt grau. Gespenstisch hell schimmern der gesamte Schloßbau, die gitterartige Fassadengliederung, die seltsam anmutenden Zinnenkränze. Als englische Neugotik gilt dieser Baustil, und für die Verwirklichung dieses englischen Traums sächsischer Seele war Karl Friedrich Schinkel anno 1810 nach Coburg gelockt worden. Er verpaßte der alten Ehrenburg das wundersame Ambiente.

1840 erfüllte sich ein ganz anderer sächsisch-englischer Traum. Prinz Albert von Sachsen-Coburg-Gotha heiratete seine Cousine, Königin Victoria von England. Während ihrer Besuche residierten sie im Schloß Ehrenburg. Ich überlege: Als Mitglieder des Familienclans müssen ihre Porträts in den Zimmern hängen, in denen man "das Weiteratmen nicht vergessen" darf. Neugier überfällt mich. Unverzüglich gehe ich ins Schloß.

Bereits im Treppenhaus stockt der Fuß. Architektur zugleich Musik, Richard Wagners "Waldbeben" müßte bis unter die Kassettendecke tönen, wo pflanzenartige Gebilde schimmern. Die grünen Wände reflektieren grünliches Licht. Leichenbleiche Frauenstatuen flankieren die Treppenflucht. Sie bilden nur den Auftakt für ein Sammelsurium von Kunstgegenständen, kostbaren Möbeln verschiedener Stile und unüberschaubarer Gemäldeanhäufung.

"Weiteratmen nicht vergessen!" Im "Familiensaal" ist diese Warnung konsequent zu beherzigen. Die in Großformaten aufgereihten Porträts lassen ahnen, was Verwandtschaft bedeuten kann: nämlich Aufforderung zur Landflucht; Veranlassung zur Ablegung des Familiennamens; Verleugnung jeglicher Blutsverwandtschaft. Von den männlichen Coburgern ist bekannt, daß sie gut aussahen, elegante Erscheinungen waren. Dagegen dürfte die Attraktivität der dargestellten Damen die Phantasie der Künstler ziemlich stark beansprucht haben. Wahrscheinlich standen sie vor der Wahl, lukrative Aufträge zu verlieren oder Mastenten in Schwäne zu verwandeln. Sie zogen das letztere vor.

Die berühmte Verheiratungsstrategin Herzogin Auguste Caroline Sophie, geborene Gräfin Reuss zu Ebersdorf, blickt von der Wand. Ein verbissener Zug um den Mund warnt davor, ihrer Stiftfräulein-Aufmachung Bewunderung zu zollen. Die Resolute reiste 1795 mit drei Töchtern nach St. Petersburg. Katharina die Große suchte für ihren Enkel, Großfürst Konstantin, eine passable Frau. Die gerade fünfzehn- jährige Juliane wurde auserkoren. Diese Eheschließung leitete die "Coburger Heiratsoffensive" ein. Das Herzoghaus verband und verschwägerte sich ohne Scheu und Schrecken mit nahezu allen bedeutenden europäischen Dynastien.

Ich trete vor das Gemälde Her- zog Ernsts I. (1784 bis 1844). Schön ist er, von der Haarlocke bis zum Lackschuh. Der Hermelinmantel umwallt ihn. Abwägend blickt er zu seiner Frau hinüber. Marie, Prinzessin von Württemberg, lächelt verhalten-bedrohlich zurück. Auch sie umwallt eine pompöse Schleppe. Das Spitzenrieselkleid unternimmt den Versuch, den stämmigen Körper feenhaft zu machen. Vom Doppelkinnansatz lenkt das funkelnde Collier ab.

Der schöne Ernst, stets reiselustig, war vom klassizistischen Paris hingerissen. Er ließ eine Fülle von Mobiliar erwerben und stattete im friedfertigen Coburg seinen Thronsaal im Stile des heldisch-kriegerischen Empire aus. Im "Familiensaal" anwesend ist selbstverständlich des deutschen Gemütes einstiges Traumpaar: Prinzgemahl Albert und Königin Victoria. Er, der blaßgesichtige Coburger, wirkt ausgesprochen englisch; sie, die Engländerin, würde jeder drallen Fränkin Konkurrenz bieten. Schwarze Locken, rote Blüte im Haar, eine selbstbewußte Brauerei-Erbin.

In die Flucht aber schlägt den Besucher Maria II. da Gloria, Königin von Portugal. Sie heiratete 1835 den Coburger Prinzen Ferdinand, dem es somit beschieden war, das Haus Sachsen-Coburg-Braganza zu gründen. Daß diese Aufgabe ihm physisch schwergefallen sein muß, sieht man dem spindeldürren Titular-König an. Maria da Gloria darf durchaus für fähig gehalten werden, ein Klavier die Treppe hinaufzutragen.

Kreuz und quer geht es durch Säle, Zimmer, Kabinette. Je weiter man vordringt, um so mehr gewinnt der Satz Gewicht: "Weiteratmen nicht vergessen!" Im "Roten Empfangszimmer" scheint die Abendsonne zu glühen. Das liegt an der Wandbespannung. Es ist "karmesinroter" Seidendamast aus Lyon von 1820. "Karmesinrot" leuchten auch die Bezüge der weißgoldenen Sitzgarnituren. Auf der von Carlo Tagliato entworfenen Stuckdecke posieren Putti, umarmen sich mythische Halbfiguren. Auf den Deckengemälden wird in Tugenden und Lastern geschwelgt. Es kontrastieren "Treue" und "Unschuld" mit "Betrug" und "Schmeichelei". Die Laster sind lebensfroher dargestellt.

Das Zimmer ist dem Andenken des Prinzen Leopold gewidmet. Mit scharfem Verstand ausgerüstet, den er klüglich mit Charme bemäntelte, ließ er sich 1831 vom belgischen Nationalkongreß zum König der Belgier küren. Sein Porträtschöpfer stellt ihn als zielbewußten Regenten vor. Die 22 Jahre jüngere Gattin Luise Marie von Orleans, Tochter König Louis Philipps I. von Frankreich, wird als lammfromme Schöne wiedergegeben.

Ein Alptraum von Schlafzimmer läßt zurückprallen. Giftig-grüne, mit weißen Rosetten gemusterte Seidenwolken drapieren sich ums Halbrund der Bettnische, quellen vom hohen Baldachin herab, den eine goldene Krone schirmt. Die Stoffmassen verbergen zwei Türen. Eine zum Abtritt und eine zur Treppenspindel, die in das darüberliegende herzogliche Schlafzimmer führte. Schließlich mußte das Hauspersonal ja nicht unbedingt wissen, zu welcher Tages- und Nachtzeit für den Fortbestand der Dynastie pflichtschuldigst gesorgt wurde.

In diesem bräunlich-geblümten oberen Schlafraum nächtigte oft die alternde Queen-Witwe Victoria. Einen unerhörten Auftrag erteilte sie. Sie ließ ins Zimmer ein WC englischer Fabrikation einbauen. Mahagoniumkleidet drückt sich das rötliche Gehäuse neben das Bett. Das Klo der Königin wirkte auf die Zeitgenossen vermutlich sensationeller als der "Riesensaal". Er war den Festakten vorbehalten und ist ständiger Aufenthaltsort von 28 Muskelprotzen. Diese bis zum Nabel, keinen Millimeter weiter, entblößten Atlanten tragen seit 1699 sowohl die Laub- und Blüten-Stuckdecke wie auch die Kerzenleuchter. Mit einem Arm strecken sie die Leuchter vor, mit dem anderen umschlingen einzelne den Körper des nachbarlichen Riesen.

Die "unglaubliche Hofkirche" wurde 1738 eingeweiht. Eine "Schwalbennestkanzel" im Zentrum des Altars weist nachdrücklich darauf hin, daß eine protestantische Predigtkirche in erster Linie der Wortverkündung dient und dann erst dem rauschhaften Entzücken an Prunk und Pomp. Letztere Gefühle werden durch die gemalte Bildwelt in Schach gehalten. Man sieht den Satansbezwinger Michael, das Buch mit den sieben Siegeln, die apokalyptischen Reiter und herumgeisternde Mischwesen.

Angesichts dieser Wesen wurde auch eine weltberühmte Mischehe geschlossen. Die beiden Liebenden waren der Walzerkönig Johann Strauß und Adele Deutsch. Die Eheschließung hatte ein verzwicktes Vorspiel gehabt. Strauß war geschieden. Nach in Österreich geltendem katholischen Eherecht durfte er nicht wieder heiraten. Erzherzogliche Wiener Freunde wiesen auf den liberal-protestantischen und - welches Glück - musikliebenden Coburger Herzog Ernst II. hin. Dieser trennte 1887 aus "landesherrlicher Machtvollkommenheit" des Walzerkönigs Ehe "dem Bande nach", das heißt endgültig. Voraussetzungen hierfür waren die Aufgabe der österreichischen Staatsangehörigkeit, der Erwerb der Staatsbürgerschaft des Herzogtums Sachsen-Coburg-Gotha und der Übertritt zum Protestantismus. Ohne zu zögern, entsagte Strauß dem katholischen Glauben, Adele dem mosaischen. In dieser Kirche wurden sie evangelisch getraut. Ganz Coburg feierte das außergewöhnliche Paar. Und nun beginnt die Orgel zu jubeln. Es ist, als geschähe das Ereignis gerade jetzt. Schloß Ehrenburg: "Man muß es gesehen haben." Ein wunderlicher Traum.

Schloß Ehrenburg: Englische Neugotik, nachempfunden von Schinkel

Veste Coburg: Die gewaltige Burganlage aus der Luft gesehen Foto: Coburg


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