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19.06.04 / Sein Leitbild war das christliche Abendland / Vor 100 Jahren wurde der frühere Außenminister und CDU/CSU-Bundestagsfraktionsvorsitzende Heinrich v. Brentano geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. Juni 2004


Sein Leitbild war das christliche Abendland
Vor 100 Jahren wurde der frühere Außenminister und CDU/CSU-Bundestagsfraktionsvorsitzende Heinrich v. Brentano geboren

Heinrich v. Brentano war eine der eindrucksvollsten und bedeutendsten Gestalten der bundesrepublikanischen politischen Szene in der Ära Adenauer. Stellte man in einer der heute so beliebten Quizsendungen jüngeren Menschen die Frage, wer dieser Heinrich v. Brentano denn sei und welche politischen Ämter er ausgeübt habe, so würde man wohl Schweigen ernten.

Daher ist es um so verdienstvoller, daß der im Bereich der Geschichtswissenschaft sehr angesehene Oldenbourg-Verlag mit dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch einen prominenten Herausgeber für einen lesenswerten aktuellen biographischen Sammelband über ihn gewinnen konnte. In dem 294 Seiten starken und 24,90 Euro teuren Band mit dem Titel "Heinrich von Brentano: Ein Wegbereiter der europäischen Integration" werden die reichhaltige und faszinierende Familiengeschichte des ursprünglich aus Italien stammenden Geschlechts der Brentanos sowie die wichtigen politischen Schritte geschildert, die Heinrich v. Brentano als Landes-, Bundes- und Europapolitiker unternommen hat. Für den interessierten Leser dürften insbesondere das exzellente biographische Porträt von Frank-Lothar Kroll, der schöne Aufsatz von Hans-Christof Kraus über die deutsch-französischen Beziehungen in der Ära Adenauer und Arnulf Barings Ausführungen über das Verhältnis von Heinrich v. Bren-tano und Konrad Adenauer sein, die mit der ganzen Lässigkeit des Emeritus und gelernten Journalisten geschrieben sind.

Wer war dieser Heinrich v. Brentano, der am 20. Juni 1904 geboren wurde? Zunächst fällt auf, daß schon seine familiäre Abstammung eine Ausnahme darstellt unter den sonstigen Berufspolitikern der Bundesrepublik. Fast alle deutschen Politiker stammen nämlich aus Verhältnissen, die früher recht abschätzig als "klein" bezeichnet worden sind. Heinrich v. Brentano aber entstammte sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits einem weitverzweigten lombardischen Adelsgeschlecht. Die Angehörigen dieser "edlen" Familie wanderten im 18. Jahrhundert aus ihrem Stammland Italien aus und spielten von da an in verschiedensten Funktionen (als Kaufleute, Politiker, Schriftsteller etc.) eine bisweilen wichtige Rolle in der deutschen Geschichte.

Wohl kaum jemand käme auf die Idee, Konrad Adenauer eine besonders sensible Seele oder ein überaus reiches Innenleben zu unterstellen. Sein Naturell war zupackender Art, von Selbstzweifeln frei und mit Sicherheit "schlichter" als dasjenige seines Außenministers von 1955 bis 1961. Heinrich von Brentano gebot über Charakterzüge und Veranlagungen, die das Leben eines Berufspolitikers nicht unbedingt einfacher machen. Er war nobel und weltläufig, schwierig und kompliziert, im persönlichen Auftreten gewinnend und voller Charme, aber auch kontaktarm. Seine Homosexualität dürfte dem katholischen und konservativen Politiker das Leben in der Ära Adenauer nicht unbedingt erleichtert haben, schloß diese Veranlagung doch eine enge private Beziehung zu einem geliebten Menschen aus.

Anders als beim pragmatischen Adenauer, dem das "Christliche" seiner Politik oft auch Dekor und willkommene Unterstützung seiner antikommunistischen Politik bedeutete, kann bei Heinrich v. Brentano davon ausgegangen werden, daß er den "Typus des wertkonservativen Ideenpolitikers" (Frank-Lothar Kroll) par excellence darstellte. Er war ein prominenter Vertreter der in den 50er Jahren recht einflußreichen "Abendland"-Ideologie, wobei sein christlich-humanistisches Ethos sich scharf gegen antisemitische und rassistische beziehungsweise nationalistische Tendenzen wandte.

De Maistre, Savigny, Eichendorff, Friedrich Schlegel, Herder, Hegel, Hölderlin, Paul Claudel, Georges Bernanos, Reinhold Schneider oder Jacques Maritain: Das sind die Geistesgrößen, auf die sich der gebildete Heinrich v. Brentano gern und ausgiebig bezog. Es verwundert vielleicht nicht, daß der nicht nur als Außenminister stark mit Europafragen beschäftigte Politiker seine Defizite oft eher im praktischen Bereich hatte. So fehlen in seinen gelehrten und grundsätzlichen Ausführungen zur Europapolitik oft die "konkreten Fragen der politischen und wirtschaftlichen, aber auch der infrastrukturellen und organisatorischen Integration des Kontinents" (F.-L. Kroll).

Anders als sein Kanzler war v. Brentano kein starrer Dogmatiker der Westbindung. Mit mehr Herzblut trat er für die Wiedervereinigung ein, die ihm bis zuletzt ein wichtiges Anliegen blieb. Seine ostmitteleuropäischen Sympathien nährten seine Hoffnung, das deutsch-polnische Verhältnis möge dereinst ähnlich positiv sein wie das deutsch-französische. Hier gab es Differenzen mit Adenauer. Und unbestimmte Äußerungen Mitte der 50er Jahre, wonach eine deutsche Wiedervereinigung eventuell mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Grenze erkauft werden müsse, führten zu scharfen Protesten der deutschen Vertriebenen.

Nach der Bundestagswahl von 1961 wurde v. Brentano recht schmählich von Adenauer aufgegeben, um die FDP - welcher der Außenminister schon lange ein Dorn im Auge war - weiter bei der Stange zu halten. Dies ist ein Zeichen der unschönen menschlichen Züge Konrad Adenauers. Der treue Knappe klagte nicht, trat ins zweite Glied zurück und wurde wieder - wie schon zwischen 1949 und 1955 - Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. In dieser Funktion arbeitete der Kettenraucher und unmäßige Koffeinkonsument bis zu seinem qualvollen Tod am 14. November 1964, als der Speiseröhrenkrebs seinem Leben ein Ende setzte. Heinrich von Brentano war ein Anwalt der deutschen und der europäischen Einheit. Welch ein Unterschied zu dem jetzigen Außenminister Joseph Fischer. Wo man bei v. Brentano auf das reichhaltige Fundament des "christlichen Abendlandes" stößt, finden sich beim jetzigen Amtsverwalter nur Egoismus, Opportunismus und Konzeptionslosigkeit. Ansgar Lange

Heinrich v. Brentano: Im Parlamentarischen Rat 1948 Foto: Archiv


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