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26.06.04 / Die gnadenlose Schlacht am Buffet

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. Juni 2004


Die gnadenlose Schlacht am Buffet
von Esther Knorr-Anders

Tag für Tag treibt es Menschen zu irgendwelchen Buffets. Männer und Frauen unterscheiden sich in ihrem Verhalten nicht. Beobachtet man sie, drängt sich die Frage auf, ob sie einer bis dato unerforschten Sucht erlagen, die sie zwingt, auf unbequemen Hockern oder an tristen Stehtischen allerlei Eßbares der Speiseröhre zuzuführen. Man könnte die Sucht "Buffetitis" nennen. Den raffiniert zur Schau gestellten Freßfallen kann keiner entrinnen. Wohin man den Fuß setzt, ob ins Hotel, ins Warenhaus, in ein Restaurant - man stößt auf ein Frühstücks-, Lunch- oder Abendbuffet. Der "Buffetitis" liegen zwei menschliche Eigenschaften zugrunde: Raffgier und Hamsterei. Als geschickteste Hamsterer gelten vor allem die Frühstücksbuffetler. Tollkühne Hamsterer sieht die Mittagszeit. Beim Delikatessen-Abendbuffet ist Höflichkeit hinderlich. Nahkampf findet statt: Salatbesteck gegen Fleischmesser ...

Wenden wir uns zunächst den Frühstücksbuffetlern zu. Mit Raubvogelaugen mustern sie Mortadella, Schinken, Käse. Wo stecken die Eier? Joghurt, Saft fehlt noch. Endlich haben sie Platz genommen. Kaum ist der letzte Brocken vertilgt, begeben sie sich erneut zur Anrichte, kehren mit gefülltem Teller zurück. Diskret gleitet ein Ei in den Aktenkoffer, ein rasch in die Serviette gehülltes, überquellend belegtes Brötchen nimmt den gleichen Weg. Es wird doch hoffentlich niemand bemerkt haben? Und wenn schon! Hier komme ich ja nicht wieder her ...

"Delikatessa", "Gourmessa" nennen sich Buffetabteilungen in Warenhäusern. Jeder Quadratzentimeter ist auf Totalverlockung getrimmt. Daß es Außenseiter gibt, die angesichts aufgetürmter Eßwaren gar nichts essen wollen, fällt kassenmäßig nicht ins Gewicht. Schon gar nicht beim "Bayerischen Schmankerl-Buffet". Es dampfen Knödel, Kraut, Würste. "Hot Potatoes" sind am Nebenbuffet gefragt. Jeder hat eine aufgeschnittene Riesenkartoffel vor sich, gefüllt mit Fleischsalat. Diese Kartoffelesser müssen Seltsames erleben. Viele verziehen das Gesicht, Tränen rinnen. "Himmel, sind die Dinger heiß." - "Verdammt, ich hab mir die Zunge verbrannt." Nein, mit derart heimtückischen Kartoffeln sollte man sich nicht einlassen.

Wie wäre es mit dem "Italienischen Nudelbuffet"? Oder mit dem "Vitamin-Buffet", garantiert Reformhauskost. Das "Salatbuffet" zieht an. Es wird von blatthungrigen Mittags-päuslern belagert. Ein an sich friedfertig wirkendes Ehepaar drückt die Ellenbogen gegen mich. Schneller kommen wir deshalb nicht vorwärts. Sie raunt dem Gatten zu: "Hier gilt Einheitspreis! Nimm, soviel du kannst." Das ist der Leitgedanke aller. Unglaublich fix hantieren sie mit den Auflegebestecken. Keine Schüssel bleibt unbehelligt. Geraspelter Rettich, Paprika wirbeln in den Plastiknapf. Die vegetabile Pracht blendet das Auge. Kaninchen müßte man sein! Was nehmen aus der Fülle? Gurkenscheiben in Dill-Dressing? Mag ich das eigentlich? Es bleibt keine Zeit zur Überlegung, ich werde zum Warmbuffet gedrängt. "Bratkartoffeln? Kartoffelsalat?" fragt die weißbemützte Fee und klatscht beides auf den Teller. Mein Einspruch wird nicht beachtet. "Kalbfleisch? Huhn?" Um weitere Mißverständnisse zu stoppen, verlange ich lauthals "ein kleines Schnitzel". Ungerührt kommt die Antwort: "Bei uns gibt's nur große."

Mit dem Teller in der Hand geselle ich mich zu dem bereits kauenden Ehepaar. Der Gatte stochert in Bohnen und Zwiebelringen herum. "Hätt' ich nur nicht von allem genommen. Es bekommt mir überhaupt nicht." Die Gattin kontert: "Spielt keine Rolle. Du hast es bezahlt."

In wenigen Minuten beginnt in dem Fünf-Sterne-Hotel das Lunchbuffet. Auf Marmortischen und viel Silber gebettet, harren die herrlichsten Dickmacher. Obwohl genügend Plätze vorhanden sind, setzt sich eine füllige Dame zu mir. Sie weiß warum, ich weiß es noch nicht. Die Getränke werden serviert; das Buffet ist eröffnet. Ich beginne mit einer Kerbelsuppe. Meine Tischgefährtin verzehrt derweil eine Pastete, anschließend eine Gänseleberterrine. Jetzt ist sie mit glacierter Ochsenbrust beschäftigt. Der letzte Happen verschwindet. Unmittelbar geht sie dazu über, mir ihr Vertrauen zu schenken. "Feinschmecker holen sich nur Miniportionen, deshalb wandere ich dauernd zum Buffet. Es hinterläßt leider den Eindruck, Vielesser zu sein." Dunkel ahne ich, was heraufbeschworen wird. Als ich Anstalten mache, den von mir begehrten Fischköstlichkeiten zuzustreben, fragt sie: "Fischliebhaberin sind Sie? Tun Sie mir den Gefallen, bringen Sie mir eine Kleinigkeit mit. Ein paar Krabben, etwas Lachs." Sie strahlt mich an. Manchen Situationen ist man nicht gewachsen. Ich wähle das Gewünschte für sie und eine Auswahl "Fruits de Mer" für mich. Zum Tisch zurückgekehrt, greift sie nach meinem Teller. Das geht zu weit, ich halte ihn fest. Der Jungkellner prustet. Der Blick des Oberkellners scheucht ihn aus dem Saal. In diesem Hotel lacht kein Bediensteter.

Geraume Zeit verstreicht. Ich bestelle Kaffee. Sie auch. "Nehmen Sie kein Dessert?" haucht sie. "Nein." Nachdenklich schweift ihr Blick zum Tortenangebot. Der Teufel zwickt mich. "Soll ich Ihnen etwas aussuchen?" Erleichterter Seufzer ihrerseits. "Sie sind ein liebenswürdiger Mensch. Creme-Nuß bitte und ein Eis mit heißer Schokolade."

Großes Abendbuffet. Politiker, Literaten haben sich getroffen. Ein Kulturfunktionär läßt lange Reden über die Lippen strömen. Niemand hört zu. Die Blickrichtung geht zum aufgebauten großen Schlemmerbuffet. Nimmt denn das Geschwafel kein Ende? Er muß doch mal fertigwerden? Wird er auch. Und sekundenschnell ist das Buffet umlagert.

Jeder ist Einzelkämpfer. Man kann einen Mayonnaise-Toast durchaus auch so balancieren, daß er abschreckend auf den Feind wirkt. Gelernt ist gelernt. Da, dem FDP-Mann tropft Remoulade auf den Lackschuh. Sein Salatblatt ziert das Hemd des CDU-Kollegen, der Manschettenknopf des SPD-Genossen senkt sich in die Bratentunke, einem Grünen rutscht die Spargelstange aufs Knie. Die anwesenden Schreibkünstler kauen konzentriert, ungeachtet dessen, ob was kleckert, schmiert.

Menschen am Buffet! Egal an welchem, nach dem Schluß der Orgie überfällt sie tiefe Trauer: Vom Nudelsalat nichts genommen. Die Melonen außer acht gelassen. Die Matjesfilets übersehen. "Aber das nächste Mal ..."

 

Menschen am Buffet: Köstlichkeiten aus aller Welt lassen manche Menschen nahezu tierisches Verhalten annehmen. Foto: Archiv


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