29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
26.06.04 / Immer wenn der Phlox blüht

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. Juni 2004


Immer wenn der Phlox blüht
von Marianne Rühmland-Pfeiffer

Die beiden kamen immer: Tante Ulla und Tante Hilde, genannt Lusch - mit kurzem U. Eigentlich waren sie keine Tanten; Hilde war Mamas Freundin seit dem ersten Schultag, Ulla ihre viel jüngere Schwester, gelegentlich auch als Nachschrabsel bezeichnet. Tante Hilde mit ihrer klaren Stimme, ihrem warmen Königsberger Hauch von Dialekt, vornehm, schön. Etwas mickrig dagegen die Ulla - aber lieb. Wie wohl hatten sie sich wiedergefunden nach all dem Chaos? Dem Suchdienst wurde stets aufmerksam gelauscht. Immer waren sie die Geburtstagsgäste - und die Oma, natürlich. In frischen Popelinemänteln, von Ninoflex vermutlich, dezent geblümte Sommerkleider darunter, nach Tosca duftend, trafen sie zur Kaffeezeit ein; schon an der Tür ein großes Hallo und Gelächter.

Einmal hätte es Frankfurter Kranz geben sollen, vom Bäcker im Dorf, den meine Schwester abholen sollte, mit dem Fahrrad. Sie schaffte es bis kurz vor die Haustür, wendete schwungvoll - und der Frankfurter Kranz kugelte sich im Gartenstaub; wir werden ihn wohl trotzdem verspeist haben - bißche abjekratzt.

Und immer gab es Phlox, die Lieblingsblume meiner Mutter, einen großen Strauß in Rot, Weiß oder Rosa - dieser unvergeßliche, unvergleichlich süß-bittere Duft. - "Hol mal die weiße Vase aus dem Wohnschrank."

Der Wohnschrank, Nußbaum furniert. Im oberen, offenen Fach die neuerworbene "Lesering"-Lektüre "Tiefer Süden", "Aber das Herz ist wach", "Das Ei und ich", "Sorge dich nicht, lebe". Davor die "Goldene Dose", gehämmertes Messing mit Holzknopf auf dem Deckel, Aufbewahrungsort für diverses Sammelsurium: Rabattmarken, Steck-, Näh- und Sicherheitsnadeln, die "kleine Schere", Leukoplast, Briefmarken, Reißzwecken und Spalt-Tabletten.

Darunter die "Schreibklappe" - der messingfarbene Schlüssel quietsch-knirscht im Schloß, die Scharniere immer ein bißchen gehemmt. Heruntergeklappt wird das "Heim-Büro" sichtbar: Briefblock und Kuverts, Luftpostpapier, Glück-wunsch- und Weihnachtskarten mehrerer Feste in die hinten liegenden Fächer jepremst. Unterhalb des Heim-Büros zwei Türen, mittig zu öffnen, mit Schlüssel - falls auffindbar. Später verschwand das defekte Schloß - eine gefaltete Streichholzschachtel klemmte die Türen fest; sie wurden ja nicht so oft geöffnet. Immer dort die "Weiße Vase" und langsam auch wieder "das gute Geschirr", Arzberg weiß, zweite Wahl manchmal.

Nach Bohnenkaffee roch es; für uns Kinder stand der "Katzentisch" in der Goldruten-Laube. Wenn es uns denn doch mal interessierte, was im Wohnzimmer gesprochen, "geschabbert" wurde, gab es auf unsere Fragen mindestens zwei Antworten: "Kleinkinderfragen mit Zucker bestreut" oder - viel knapper und um so deutlicher: "Sie fuhren schon" - und wir trollten uns.

"Kinderchen, jeht der Oma entjegen!" Da kam sie - achtsam einen Fuß vor den anderen setzend, auf der steinigen, staubigen Dorfstraße, mit der rechten Hand gestützt auf ihren Krückstock, in der linken die hell-lederne "Paudel" mit dem Knipsverschluß, im seidenen Maßkleid, den alten Blaufuchs - er konnte sich mittels einer unter seinem Schnäuzchen befindlichen Klemme in den Schwanz beißen - um die Schultern geworfen, die Haare frisch onduliert - wie in Rauschen auf der Promenade oder auf dem Weg zu "Schwermer".

Eine von uns trug die Paudel. "Na, mach man auf." Wie immer - vier Papierspitztütchen, weiß mit blauen Sternchen, gefüllt vom Kaufmann im Dorf mit "Goldnüssen" oder "Himbeeren" - genau abgezählt.

Bei Frau König, segensreiche Einzelhandels-Repräsentantin in der Siedlung mit fließenden Öffnungszeiten, schnell noch die Dose Milch holen und ein Fläschchen "Graves de Vayres", gesprochen von Frau König "Grawes de Wajeeres", ein goldglänzender, lieblicher Südwein, der die Stimmung der vier Damen womöglich noch fröhlicher machte - wir durften auch mal probieren, später. In etwas besseren Zeiten tauchte "Danziger Goldwasser" auf, das uns mit seinen schwebenden Goldfusselchen faszinierte. "Nu schüttel nich dauernd!"

Die Tanten hatten einen ziemlich langen Heimweg, mit dem Bus, die Oma wurde von einer von uns Marjellens "jebracht". Vorher gab's natürlich Abendbrot, Tee und Stullchen, auf jeden Fall mit Leberwurst, vielleicht auch Zungenwurst, Tomaten mit Schnittlauch oder Zwiebelchen, feinjehackt und - Tilsiter aus der Käseglocke. Wir hielten uns die Nasen zu.

Jetzt streife ich durch Vorortgärten und schnuppere an jedem erreichbaren, erriechbaren Phlox.

Ach, Mama!

 

Sanft
von Walter Heymann

Dein Gang ist wie das leise Schwanken der hohen Gräser im Feld,

wenn der Wind sie belebt, der den Gewandsaum hebt,

wenn deiner geschmeidigen Füße Spur bleibt in den Wegen.

Immer kommst du mir schön wie zur Schimmerstunde entgegen,

größer scheint die Gestalt, jeder zögernde Schritt

zwischen den summenden Halmen ein Halt!

Und deinen Schatten bergen die hohen Gräser im Feld,

durch ihres Blühens Duft streicht der Duft deiner Haut.

Du bist wie betaut.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren