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26.06.04 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. Juni 2004


Schulden und Sühne / Warum Thierse besser schweigt
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Wie sehr die führenden Sozialdemokraten den Draht zum Volk verloren haben, hat Markus Meckel der Welt unfreiwillig vor Augen geführt. Der brandenburgische Bundestagsabgeordnete drosch auf Wolfgang Thierse ein. Der sei ein "Totalausfall", weil er zum Berliner Reformstautheater noch keinen Piep gesagt und seine Partei damit im Stich gelassen habe. Was für ein Unsinn! Lieber Genosse Meckel: Wenn es irgend etwas gibt, das uns den Thierse nicht noch unsympathischer macht, dann, daß er wenigstens hier einmal die Klappe gehalten hat. Nicht auszudenken, wir müßten das quälende Hin und Her bei Haushalt und "Reformen" auch noch unter dem Aspekt von "Schuld und Sühne" zersabbelt sehen. Einen anderen Aspekt kennt Thierse nämlich nicht. Überdies könnte Thierses Betrachtung schwer nach hinten losgehen. Von "Schuld" ist es in der verwinkelten deutschen Sprache nicht weit zu "Schulden", und die sind doch wohl der wunde Punkt. So könnte sich die Debatte ins Thiersedeutsche übersetzt flugs gegen die Bundesregierung selbst wenden. Also Vorsicht, bevor man schlafende Prediger weckt.

Um sich ein weiteres Mal über die Runden zu eicheln, will der Finanzminister die Post- und Telekom-Aktien des Bundes verscherbeln. Von deren Erträgen sollten eigentlich später die Pensionen alter Postbeamte bezahlt werden. Gut, daß die das heute noch nicht wissen. Sonst hätte die SPD ein zusätzliches "Vermittlungsproblem", von denen es derzeit schon überreichlich gibt. Denn das hat der Parteivorstand der Genossen am Montag erneut klargestellt: Die Politik ist richtig, weil der Kanzler keine andere kann und "weil wir weiterregieren müssen, auch über 2006 hinaus". Den Satz im Ohr haben die anwesenden SPD-Granden auf dem Taschenrechner vermutlich ihre Politiker-Pensionsansprüche ab einem Ausscheiden 2006 nachgerechnet und entdeckt: Reicht nicht! Tags darauf konnten die Medien melden, daß in der eben noch zerstrittenen SPD jetzt wieder Eintracht herrscht.

Auf die Medien hat der Kanzler in der letzten Zeit viel geschimpft. Zu Unrecht. Insbesondere Journalisten verstehen es, den verwirrenden Nachrichten eine überschaubare politische Richtung zu verleihen, die dem Bürger sagt, was er von alldem halten soll. Vergangenen Sonntag etwa berichtete der TV-Ableger eines großen Nachrichtenmagazins über die Pleitewelle im CDU-regierten Hamburg. Botschaft: Die Schwarzen können es auch nicht besser. Dann werden zwei besonders tragische Beispiele für das Elend unterm Dach des Unionssenats vorgestellt: Eine große Textilfirma in "Hamburg-Norderstedt" und ein Maschinenbaubetrieb in Henstedt-Ulzburg. "Hamburg-Norderstedt" wurde eigens für diese Sendung erfunden. Norderstedt ist nämlich kein Stadtteil von Hamburg, sondern die fünftgrößte Stadt des SPD-regierten Schleswig-Holstein. In dem roten Land liegt auch Henstedt-Ulzburg. Aber weiß das jemand in Bayern oder an der Saar? Eben. So sieht fachkundige "Vermittlung von Politik" aus. Das sollte der Bundesregierung zum Vorbild dienen, wenn es darum geht, den Postbeamten zu erläutern, daß der Bundesfinanzminister "für die Zukunft vorsorgt", wenn er die Basis ihrer Pensionen im Etat-Loch 2005 versenkt.

Im übrigen hat Rot-Grün ein Wirtschaftswachstum von mindestens 1,8 Prozent beschlossen und festgestellt, daß die Kunden für die Post-Aktien etc. Schlange stehen und nicht weniger als 15,5 Milliarden Euro bezahlen werden. Beides wird so kommen, weil ja sonst der ganze Etat Makulatur wäre. Wenn von der Politik ständig "Verläßlichkeit" gefordert wird, dann kann man das schließlich auch von Finanzmärkten und Weltwirtschaft verlangen, lautet die Grunddevise der Regierung für das kommende Jahr.

Die wirtschaftliche Entwicklung einfach staatlich verordnen, statt sich dem Wohl und Wehe der Konjunkturen auszusetzen, und den Leuten zu festen Preisen das verkaufen, was man loswerden will - eine wunderbare Idee. Ein anderer deutscher Staat schaffte so über Jahrzehnte einen stetigen wirtschaftlichen Aufstieg - bis irgend was dazwischen kam, das wir uns bis heute nicht erklären können. Am allerwenigsten die Jungsozialisten, die gerade den 35. Jahrestag ihrer "Linkswende" von 1969 gefeiert haben. Damals schwenkte der SPD-Nachwuchs von Wischiwaschi-Sozialdemokratie auf konsequenten Marxismus um. Der neue Chef des Jugendverbandes, Björn Böhning, verbarg in seiner Antrittsrede nicht seinen Stolz darauf, daß die Jusos seitdem nicht nur die Partei, sondern das ganze Land tiefgreifend verändert haben: Überall sitzen Alt-Jusos an den Schalthebeln der Bundesregierung, der Verbände und Gewerkschaften und haben unser einst rückständiges Land einen beträchtlichen Schritt weitergebracht. Man vergleiche nur die Arbeitslosigkeit, das Wachstum oder die Stellung der deutschen Wirtschaft in der Welt von 1969 mit heute. Auch bei der Zahl der Sozialhilfeempfänger hat sich eine Menge getan, wie in der wachsenden Bereitschaft immer breiterer Bevölkerungskreise, staatliche Leistungen jedweder Art in Anspruch zu nehmen. Von soviel sozialistischem Bewußtsein konnte man Anno 69 nur träumen. Doch spürt Böhning ausgerechnet bei der Jugend den kalten Wind der Reaktion zurückkehren. "Laut einer Umfrage des BAT-Instituts für Freizeitforschung ist für zwei Drittel aller über 14jährigen in Deutschland die Leistungsgesellschaft das Leitbild", warnt der Juso-Chef. Dem will er mit Sozialismus und Feminismus entgegentreten.

Wie kalt und unberechenbar, insbesondere wie respektlos die Jugend von heute geworden ist, bewiesen drei Zwölftkläßler aus Bremen. Für eine Handvoll Euro erfanden die Gymnasiasten ein Maut-System, das sogar nach Aussage von Toll Collect, das uns für einige Milliarden Euro Steuergelder dereinst Spitzenmauttechnik liefern wird, funktioniert. In letzter Minute fand das Maut-Konsortium einen Weg, die angehenden Turbokapitalisten in die Schranken zu weisen: Ihre Erfindung sei zu teuer.

In den Rotzlöffeln von der Weser manifestiert sich die deutsche Misere: Laut einer europaweiten Umfrage von Reader's Digest sind wir die Unbeliebtesten in Europa, und - so meinen die anderen Europäer - die Tüchtigsten. Jetzt haben wir für beides die begründende Antwort: Die drei Streber aus Bremen kann bestimmt keiner leiden. Wenn die Rede hingegen auf Toll Collect kommt, vibrieren noch heute vom Ural bis Portugal die Zwerchfelle.

Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht ... Zeichnung: Götz Wiedenroth


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