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10.07.04 / Moderne Machtkämpfe / EU-Verfassungsentwurf wird in Spanien sehr einseitig diskutiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Juli 2004


Moderne Machtkämpfe
EU-Verfassungsentwurf wird in Spanien sehr einseitig diskutiert

Während in Deutschland eine große Mißstimmung dar-über herrscht, daß das deutsche Volk nicht gefragt wird, ob es die neue EU-Verfassung überhaupt will, haben einige andere EU-Staaten durchaus die Absicht, ihre Bevölkerung über deren europäische Existenz und Zukunft mitentscheiden zu lassen. Eines dieser aus deutscher Sicht privilegierten Völker sind die Spanier, doch die wissen ihr Glück nicht zu schätzen, denn die Meinung der Spanier über die Europäische Verfassung ist, daß sie eigentlich gar keine Meinung haben.

Nach den neuesten Umfragen glauben 36,3 Prozent, daß diese zwar praktisch sei, aber kaum eine Bedeutung habe, 10,3 Prozent sehen sie als überflüssig an, und nur ein Viertel der Spanier beurteilt die Konstitution als tatsächlich notwendig. Nach diesem Ergebnis überrascht es nicht, daß die Mehrheit der Spanier die Arbeit des Europäischen Konvents zum Verfassungsentwurf weder kennt noch verfolgt hat. Die Europawahlen untermauern dieses Desinteresse. Sie wurden im Lande kaum wahrgenommen, nur 45,9 Prozent der Spanier gingen zur Urne, deutlich weniger als bei den spanischen Parlamentswahlen im März. Die Presse des Landes ist sich einig, die Spanier identifizieren sich noch nicht richtig mit Europa. Jedoch trägt sie selber zur Ignoranz bei. Jeden Tag berichtet sie über die EU, allerdings füllen nicht Inhalte, sondern die Streitereien um Macht oder Korruptionsskandale die Seiten von ABC, El Pais oder El Mundo, den drei bedeutesten Tageszeitungen. So erging es auch der Europäischen Verfassung. Nicht sie stand im Mittelpunkt der Berichterstattung, nicht ihre tatsächliche Bedeutung für Europa und letztendlich für die Spanier, sondern der Kampf um eine starke Entscheidungsposition für Spanien im Europaparlament. Zwar ist die Mehrheitsfrage ein wichtiger Punkt, allerdings nur einer unter vielen, die der Gesetzes-text beinhaltet.

Die Politiker der sozialistischen PSOE klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, stolz auf den erreichten Kompromiß. Die oppositionelle Volkspartei Partido Popular (PP), die ehemalige Regierungspartei, bezeichnet das Ergebnis beim Stimmrecht als "einen Schritt zurück für das spanische Gewicht in Europa", so der Vorsitzender von PP, Mariano Rajoy. Für El Mundo, der eher bürgerlich orientierten Zeitung des Landes, verliert Spanien klar an Macht, sie schreibt über ihr Land, daß es in diesem neuen Europa nicht mehr ein Kleiner unter den Großen, sondern ein Großer unter den Kleinen geworden sei. Zwar versuchte der sozialistische Ministerpräsident Zapatero, die Niederlage so klein wie möglich zu halten, erreichte jedoch nicht, daß Spanien das Stimmrecht der Großen hat. Zufrieden ist er trotzdem, denn es gelang ihm durchaus, in die Position zu kommen, zusammen mit kleineren Ländern, die Großen, Frankreich, England, Italien und Deutschland, bei wichtigen Entscheidungen blockieren zu können.

Beobachter tun sich schwer, beide Positionen miteinander zu vereinbaren. Denn wie kann die Europäische Verfassung so gut sein, wenn Spanien dabei doch angeblich schlecht wegkommt. Die Verwirrung unter der Bevölkerung ist groß, kein Wunder bei so vielen Artikeln die einzig und allein die Prozentfrage der Mehrheiten im Europaparlament diskutieren. Schnell verlieren sie da auch die Lust, Seite für Seite die unterschiedlichen Positionen der einzelnen Parteien zu lesen.

Ist auch damit die zunehmende Europamüdigkeit zu erklären? Gegenüber den 90er Jahren hat diese um 20 Prozent zugenommen. Waren noch vor 14 Jahren 70 Prozent der Spanier überzeugt, daß "Europa eine gute Sache sei", liegt die Zustimmung heute bei rund 50 Prozent.

Vielleicht ist das mangelnde Mitbestimmungs- und Gestaltungsrecht seiner Bürger ein Grund dafür. Dieses soll mit der Volksabstimmung geändert werden. Über die Notwendigkeit eines Referendums sind sich die großen Parteien einig. Einig in dem Punkt ist sich auch das Volk. 65,7 Prozent wollen auf jeden Fall über die Konstitution mitentscheiden können. Ob dies eine Welle der Begeisterung auslösen wird, und unter den Spaniern das erlahmte Interesse an Europa zum neuen Leben erweckt, ist allerdings fraglich. Anna Gaul

Gemeinsam stark: Nach den Attentaten vom 11. März in Madrid gingen rund acht Millionen Spanier für den Frieden auf die Straße. Will man den Worten der Politiker EU-weit Glauben schenken, so ist ein vereintes Europa die Voraussetzung für eine friedliche Zukunft auf diesem Kontinent. Allerdings lassen sich die Bürger hierfür nur schwer mobilisieren. Foto: dpa


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