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10.07.04 / Cassini und Huygens - die Herren der Ringe / Spektakuläre Erfolge der unbemannten Raumfahrt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Juli 2004


Cassini und Huygens - die Herren der Ringe
Spektakuläre Erfolge der unbemannten Raumfahrt
von Hans-Jürgen Mahlitz

Es war einer der spektakulärsten Momente in der Geschichte der Raumfahrt - aber zu sehen war leider nichts davon. In der Nacht zum 1. Juli durchflog die Raumsonde Cassini eine Lücke in den Ringen des Saturn, zündete ihr Bremstriebwerk und war nach 96 Minuten in eine Umlaufbahn um den riesigen Gasplaneten eingeschwenkt. Zur Zeit aber steht Saturn in Konjunktion zur Sonne und ist daher von der Erde aus nicht zu beobachten. Und die ersten Funksignale, die vom Gelingen des riskanten Manövers kündeten, trafen erst gut eineinhalb Stunden später im Flugkontrollzentrum in Pasadena ein.

Die Flugdaten sprengen alle irdischen Dimensionen. Vor fast sieben Jahren, am 15. Oktober 1997, war Cassini in Cape Canaveral gestartet, nahezu sechs Tonnen schwer, groß wie ein mittlerer Lkw, über drei Milliarden Dollar teuer. 260 Wissenschaftler aus 17 Ländern sind an dem gigantischen Projekt beteiligt. Cassini ist die größte, schwerste, teuerste und technisch anspruchsvollste Raumsonde, die je ins All geschossen wurde. Die Wissenschaftler erwarten Erkenntnisse und Entdeckungen, die alles bisher Bekannte in den Schatten stellen.

Schon aufgrund der hohen Nutzlast konnte Cassini nicht den direkten Weg zum zwischen 1,2 und 1,6 Milliarden Kilometer entfernten Saturn einschlagen. Auf verschlungenen Pfaden flog sie von Planet zu Planet, nahm jedesmal zusätzlichen Schwung auf und schaffte so das für irdische Verhältnisse Paradoxe: Die Reisestrecke verlängerte sich auf 3,5 Milliarden Kilometer, aber gerade dadurch wurde viel Sprit gespart.

An Bord der Sonde befinden sich zwölf Experimente, an denen auch deutsche Institutionen beteiligt sind (Kostenanteil 115 Millionen Euro). Das spektakulärste Gepäckstück kommt allerdings erst Anfang nächsten Jahres zum Einsatz: das 375 Kilogramm schwere Landegerät Huygens (siehe Kasten rechts), das am 14. Januar 2005 in die dichte Atmospähre des Saturnmondes Titan eindringen und dessen Geheimnisse lüften soll. Dieser Mond, mit 5.150 Kilometer Durchmesser der zweitgrößte im Sonnensystem, ist für Astrophysiker und Kosmologen fast noch interessanter als Saturn selbst. Er hat als einziger bislang bekannter Himmelskörper eine erdähnliche Atmosphäre mit 80 Prozent Stickstoffanteil (Erde: 78). Eine Smogschicht in 300 Kilometer Höhe verhindert jeden Blick auf die Oberfläche. Bis vor kurzem vermuteten viele Forscher hier Wasser, vielleicht sogar in flüssiger Form. Daran angeknüpft werden Spekulationen über frühe Formen von Leben - Titan könnte ein Ebenbild unserer Erde in der Geburtsphase des Sonnensystems sein.

Auf die erste faustdicke Überraschung brauchten die Wissenschaftler aber gar nicht erst bis Anfang 2005 zu warten. Cassini lieferte schon wenige Tage nach dem Einschwenken in die Saturnbahn erste Infrarotbilder von Titan. Der Blick durch die dichten Wolken offenbarte: keine Spur von flüssigem Wasser, wohl aber ausgedehnte Eisflächen, Methanwolken über den Polen, ferner Hinweise auf starke geologische Aktivitäten wie Wind und Erosion.

Begeistert sind die Wissenschaftler von den Fotos, die Cassini aus nächster Nähe von den Saturnringen zur Erde funkte. Sie sind viel deutlicher voneinander getrennt, als man bisher angenommen hatte, "messerscharf an den Kanten abgeschnitten", wie es ein Mitarbeiter des europäischen Raumfahrtzentrums in Darmstadt formulierte. Mit dieser ersten Entdeckung nach dem Eintritt in den Saturn-Orbit erinnerte die Raumsonde auch nachdrücklich an ihren Namensgeber: Giovanni Cassini (siehe Kasten links) hatte gegen Ende des 17. Jahrhunderts entdeckt, daß Saturn nicht einen, sondern gleich mehrere Ringe trägt; die auffällige Lücke im System heißt seither Cassini-Teilung.

Das gewagte - und gelungene - Bahnmanöver der Cassini-Sonde war der Höhepunkt einer Serie spektakulärer Weltraumunternehmungen in den vergangenen Monaten. Zuvor hatten Europäer und Amerikaner einen friedlichen Wettlauf zu unserem kosmischen Nachbarn Mars ausgetragen. Anfangs schien es, als hätte die NASA wieder einmal die Nase vorn. Inzwischen haben die Europäer aber den Verlust ihrer Landesonde verwunden und mit sensationellen Forschungsergebnissen über den Roten Planeten Boden gutgemacht.

Bereits vor knapp zehn Monaten endete die Galileo-Mission. Acht Jahre lang hatte diese deutsch-amerikanische Sonde den größten Planeten des Sonnensystems, Jupiter, und seine Monde (inzwischen sind 58 bekannt) erforscht, bis man sie gezielt in den Gasriesen stürzen ließ.

Für Naturwissenschaftler in aller Welt steht zweifelsfrei fest: Wir erleben zur Zeit eine geradezu unglaubliche Blüte der Astronomie und Kosmologie, mit spektakulären Erkenntnissen und Entdeckungen, mit sensationellen Bildern aus den Fernen des Alls und mit einer Flut von Meßdaten, deren Auswertung erst in Jahren, vielleicht gar Jahrzehnten abgeschlossen ist. Für die breite Öffentlichkeit hingegen stellt sich, gerade in Zeiten leerer öffentlicher Kassen, vor allem die Frage, ob wir solch teure Raumfahrtprojekte überhaupt brauchen.

Doch der Mensch hat, seit er zu denken begann, stets gefragt, wie die Welt wohl jenseits seines engen eigenen, direkt spürbaren und erfahrbaren Lebensumfelds aussehen mag, wie sie entstanden sein und wie sie enden könnte. Es ist kein Zufall, daß die ältesten Zeugen menschlicher Kultur - etwa die Pyramiden von Gizeh oder das rätselhafte Rund von Stonehenge - eindeutig neben kultischer auch astronomische Bedeutung hatten; ohne die Suche nach Antwort auf die Grundfrage nach dem Woher und Wohin des Universums und des menschlichen Lebens gäbe es keine Religion, keine Kultur, keine Wissenschaft.

Doch auch wenn man den Sinn der Weltraumforschung nicht grundsätzlich anzweifeln will, strittig bleibt eine andere Frage: unbemannte oder bemannte Raum- fahrt? In diesen Tagen jährt sich die erste Landung von Menschen auf dem Mond zum 35. Mal. Die schemenhaften Bilder vom ersten "großen Schritt" Neil Armstrongs waren natürlich weitaus spektakulärer als die nüchternen Funksignale von Mars oder Saturn. Die wissenschaftliche Ausbeute in Relation zu den Kosten (und auch den Gefahren, man denke nur an die Challenger- und die Columbia-Toten) spricht aber derzeit klar für unbemannte Projekte wie Cassini.

Dennoch: Irgendwann wird wieder ein Mensch seinen Fuß auf den Boden eines fremden Himmelskörpers stellen. Ihn wird dann nicht nur Abenteuerlust oder Entdeckermut treiben, sondern vor allem die simple Erkenntnis: Kein Computer, keine "künstliche Intelligenz" wird je Verstand, Sinne und Emotionen des Menschen ersetzen können.

 

Giovanni Domenico Cassini

Der italienische Astronom Giovanni Domenico Cassini (1625 bis 1712) lehrte zunächst als Professor an der Universität Bologna, ging 1669 nach Paris, wo er die Leitung der neuerrichteten Sternwarte übernahm. Zwischen 1671 und 1684 entdeckte er hier die vier Saturnmonde Iapetus, Rhea, Tethys und Dione sowie die nach ihm benannte Teilung des Ringsystems. Ferner gelang es ihm, die Rotationszeiten von Mars und Jupiter zu bestimmen. Zudem war Cassini Begründer einer wohl einmaligen Astronomen-Dynastie: Auch sein Sohn, sein Enkel und sein Urenkel wurden Direktoren der Pariser Sternwarte.

 

Christiaan Huygens

Der Holländer Christiaan Huygens (1629 bis 1695) studierte zunächst Jura, dann Naturwissenschaften. Mit einem selbstgebau- ten Fernrohr entdeckte er den Saturnmond Titan (jetzt Ziel der Mission), den Saturnring und den Orionnebel. Da für die Beobachtung des Sternenhimmels ein exaktes Zeitmaß notwendig war, beschäftigte er sich mit dem Phänomen der exakten Zeitmessung, erfand die Pendeluhr und die Taschenuhr mit Spiralfeder und Unruh. 1690 stellte er erstmals eine Wellentheorie des Lichtes zur Diskussion. Huygens zählte auch zu den führenden Mathematikern seiner Zeit.


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