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17.07.04 / Der richtige Kick oder Ein roter Ball spielt Schicksal

© Preußische Allgemeine Zeitung / 17. Juli 2004


Der richtige Kick
oder Ein roter Ball spielt Schicksal
von Albert Loesnau

Im Vorgarten des kleinen Cafés sind nur zwei Tische besetzt. Die Sonne wärmt schon ein wenig. Doch der böige Wind erinnert noch immer an die Kälte der vergangenen Jahreszeit. Das junge Paar an dem einen Tisch nimmt kaum Notiz von der frischen Brise. Eng aneinander geschmiegt, verweilt es in leisem Gespräch.

Walter Gebhard sitzt in der Nähe der Eingangstür. Er hat den Mantel bis zum Kragen zugeknöpft, die Hände in den Taschen vergraben. Wieder einmal schaut er auf die Uhr. Zehn Minuten nach halb elf.

Walter wartet auf den Anruf der Firma Neuberger. Ein wichtiger Abschluß steht bevor. Der alte Neuberger ist ein netter Mann, der ihm schon manch wichtigen Auftrag erteilte. Aber in letzter Zeit war es immer schwieriger geworden, einen Termin mit ihm zu vereinbaren.

Der Kellner des Cafés öffnet die Tür. "Herr Gebhardt?" wendet er sich zu den beiden Tischen hin. "Ein Anruf für Sie!"

Na endlich! Walter steht auf und folgt dem Kellner zum Telefon. Neuberger ist am Apparat. "Mein lieber Gebhardt", beginnt er, "tut mir leid, aber heute vormittag klappt es nicht mit unserer Besprechung. Es ist etwas dazwischen gekommen. Versuchen Sie's doch noch einmal nach dem Mittagessen, Sie haben doch sicherlich einiges bis dahin zu erledigen ... "

Walter versichert, daß dem so ist, kann jedoch nur mühsam seine Enttäuschung verbergen. Er zahlt und geht. Der Vormittag ist für ihn verloren. Neuberger irrt sich. Es gibt keine andere Vereinbarung an diesem Vormittag für Walter Gebhardt. Leider. Er weiß, daß die Konkurrenz groß ist. Ein Glück, daß Neuberger selbst am Telefon war. Doch beim nächsten Anruf würde sich wahrscheinlich seine Sekretärin melden und Walter mitteilen, daß am Nachmittag leider kein Termin mehr frei sei. Morgen oder im Verlauf der Woche könne er sich ja noch einmal melden ...

Ziellos geht Walter weiter. Er achtet nicht auf den Weg. Bis er am Ende der Straße vor einem Efeu umrankten Tor steht, das in einen Park führt. Walter geht eine dahinter liegende Allee entlang und setzt sich auf eine windgeschützte Bank. Er sieht nicht die aufblühenden Krokusse auf der gegenüber liegenden Wiese. Auch dem ersten zarten Grün der Sträucher um ihn herum schenkt er keine Beachtung. Er ärgert sich selbst über seine schlechte Laune, kann aber nichts dagegen tun.

Ein Ball, der plötzlich unter seiner Bank hindurch rollt, lenkt Walter von seinen verdrießlichen Gedanken ab. Es ist ein großer, roter Plastikball. Verdutzt dreht Walter sich um. Eine Tannenreihe schirmt den dahinter liegenden Spielplatz ab. Laute Jungenstimmen sind zu vernehmen. Walter greift unter die Bank und hebt den Ball auf. Im selben Moment geraten die Tannen in Bewegung. Ein kleiner Bursche, die Hände schützend vor's Gesicht erhoben, zwängt sich hindurch. "Hallo!" ruft er, als er den Ball in der Hand des Mannes sieht. "Da ist ja der Ausreißer!"

Walter steht auf, läßt den Ball auf die Schuhspitze fallen und kickt ihn mit großer Genauigkeit auf den Buben zu. Der Kleine ist offensichtlich beeindruckt. "Verstehen Sie was von Fußball?" erkundigt er sich. Walter Gebhardt lächelt und nickt. "Ja - ein wenig." - "Wissen Sie denn auch, wann ,Abseits' ist?" fragt der Junge weiter. "Ich denke schon ..."

"Au fein - dann müssen Sie es mir und den anderen erklären", meint er mit großer Selbstverständlichkeit. "Wir haben uns nämlich gerade darüber gestritten." Und bevor Walter etwas dagegen einwenden kann, faßt der Junge ihn bei der Hand und zieht ihn durch die Tannenhecke zur Spielwiese hinüber, auf der seine Freunde warten.

Schon ist Walter von einer Schar aufmerksamer junger Zuhörer umringt. Er erklärt das "Abseits" und führt es zugleich an einem praktischen Beispiel vor. Seine Kenntnisse hat er vor Jahren als Mitglied eines Sportklubs erworben. Die Buben sind begeistert. Sie ernennen den Fachmann kurzerhand zu ihrem Schiedsrichter. Der Altersunterschied wird völlig bedeutungslos. Ohne den geringsten Widerstand fügen sich die Kicker seinen Anweisungen.

Auch Walter ist mit Eifer dabei. Und als die Mannschaft einen Mitspieler verliert, springt er sofort für ihn ein. Mit wehenden Haaren stürmt er über den Platz, angefeuert von den Rufen der eigenen Mannschaft. Walter erreicht den gegnerischen Strafraum, umspielt die

Verteidiger und krönt seinen Alleingang mit einem unhaltbaren Torschuß.

Jubelnder Beifall belohnt seine fußballerische Glanzleistung. Fast hätte er vergessen, weshalb er in den Park gekommen war. Noch kurz zuvor hatte er den untätig verbrachten Vormittag als verlorene Zeit empfunden. Jetzt ist er zu einem unerwarteten Geschenk geworden.

Als Walter Gebhardt sich schließlich von seinen jungen Freunden trennt und über die Wiese geht, kickt einer der Jungen ihm den Ball nach. Er nimmt ihn auf und schießt ihn mit einem wuchtigen Schlag zurück. Senkrecht steigt der Ball in die Luft und bleibt sekundenlang als leuchtend roter Punkt im frühlingsblauen Himmel stehen, ehe er wieder auf der Erde landet.

Beim Gang zurück durch die Allee pfeift Walter fröhlich vor sich hin. Die trüben Gedanken sind verflogen. Ohne Zögern betritt er die nächste Telefonzelle. Wie vermutet meldet sich die Sekretärin. Doch ihre Auskunft klingt anders, als Walter es befürchtet hat. "Herr Neuberger wartet schon auf Ihren Anruf", erklärt sie freundlich. "Sie können gleich zu ihm kommen. Es geht um einen größeren Auftrag ..."

Neuberger ist in bester Laune, als Walter sein Büro betritt. Er erteilt einen Auftrag, der den bisherigen Umfang weit überschreitet. Während Walter anschließend in den Fahrstuhl steigt, lächelt er still vor sich hin. Der Tag, der so enttäuschend begann, hatte nun doch noch einen unerwarteten Erfolg gebracht, weil Mißmut und Verdruß schlechte Ratgeber sind. Den Anstoß zu dieser Erkenntnis gab ein roter Ball, den ein wohlgesinnter Zufall unter Walters Parkbank rollen ließ.


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