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17.07.04 / "Sie mußten sich für ein Unrecht entscheiden" / Rebecca Bellano zu den Motiven und Beweggründen, welche die Männer des 20. Juli zum Äußersten schreiten ließ

© Preußische Allgemeine Zeitung / 17. Juli 2004


"Sie mußten sich für ein Unrecht entscheiden"
Rebecca Bellano zu den Motiven und Beweggründen, welche die Männer des 20. Juli zum Äußersten schreiten ließ

Nach dem Anschlag auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 tönte Joseph Goebbels Propagandamaschine von machtbesessenen, vorwiegend dem Adel entstammenden Offizieren, die sich nur zu ihrem eigenen Besten mit den Alliierten hätten verbünden wollen und somit ihren Landsleuten in den Rücken gefallen seien. Und tatsächlich hatte er damit wohl die Stimmungslage vieler junger Wehrmachtssoldaten getroffen, die irgendwo in einem Schützengraben hockten, ihre Kameraden fallen sahen, selbst den Tod ständig vor Augen hatten. Wie konnte man - so mag sich mancher gefragt haben - in dieser Bedrängnis den Führer zu töten versuchen? Und dann auch noch auf so unheroische Art, indem man eine Bombe in einem Raum zwischen lauter Menschen abstellte und sich selbst aus dem Staub machte!

Daß das Attentat jedoch so ablief, war nicht auf Claus Graf Schenk v. Stauffenbergs Wunsch hin geschehen. Es war vielmehr eine Frage des Sachzwanges. Zahlreiche Varianten waren durchdacht und dann wieder verworfen worden. Stauffenberg war der einzige, der auf Grund seiner Stellung Zutritt zum Bunker Adolf Hitlers hatte, der von einem dreifachen Sicherheitsgürtel umgeben war. Daher konnte nur er zur Tat schreiten. Allerdings war er bei der Umsetzung des Staatsstreichs unentbehrlich, da vor allem Fromm keine klare Stellung zu den Attentatsplänen bezog. Auch genügte es nicht, Hitler zu töten, wenn nicht militärisch alles so weit vorbereitet war, daß die Macht im Staate in die Hand genommen werden konnte. So wurde immer wieder auf den richtigen Moment gewartet, an dem am besten auch Goebbels, Göring und Himmler mit zu liquidieren waren. Doch ergab sich dieser Moment nie.

Zudem ist den Aufzeichnungen von Carl-Hans Graf v. Hardenberg, einem der wenigen Überlebenden der Verschwörergruppe, zu entnehmen, daß sie auch den Spagat zwischen Bevölkerung und Kriegslage vollziehen mußten. "Einerseits mußte das deutsche Volk auch reif sein, das heißt durch die militärischen Mißerfolge in seinem Naziwahn erschüttert sein, andererseits durfte der Termin nicht zu spät gewählt werden, wenn überhaupt noch etwas gerettet werden sollte."

Die von Hitler angeordnete Behandlung der Zivilbevölkerung vor allem in den Ostgebieten war laut Berichten der entsprechenden Offiziere derart unpreußisch und unehrenhaft, daß gehandelt werden mußte. So war es bereits vor dem 20. Juli zu Attentatsversuchen gekommen, doch waren diese gescheitert. Beispielsweise im Frühjahr 1943, einem der letzten Male als Hitler zur Front flog, hatten Generalmajor Henning v. Tresckow und Oberleutnant Fabian v. Schlabrendorff beschlossen, eine hochexplosive Sprengbombe vor dem Abflug von der Heeresgruppe Mitte in das Flugzeug des Oberkommandierenden zu legen. Immer wieder war die Bombe auf den Dnjeprwiesen bei Smolensk ausprobiert worden, und jedesmal hatte die Zündung auf die Sekunde genau gearbeitet. Doch auf dem Flug versagte der Zünder. Hitler blieb am Leben, die Verschwörer blieben aber wenigstens unentdeckt.

Sie nutzten die Zeit, um immer mehr Anhänger zu gewinnen. So versuchte Stauffenberg seinen ehemaligen Kameraden aus dem Bamberger Reiterregiment Ludwig Freiherr v. Leonrod von der Notwendigkeit des Tyrannenmordes zu überzeugen. Doch dieser verhielt sich ähnlich ablehnend wie manch anderer. Er verwies auf seinen Eid und auf religiöse Bedenken. Stauffenberg erwiderte, daß es gerade die Pflicht eines gläubigen Katholiken sei, einen Massenmörder und Tyrannen zu beseitigen. Erst als sein Kaplan ihm mitteilte, daß die katholische Kirche unter diesen Umständen Absolution erteile, gab Leonrod seine Zusage. (Für diesen Rat wurde übrigens der Kaplan zusammen mit Leonrod nach dem 20. Juli hingerichtet.)

Im Grunde ist es erstaunlich, wie viele Personen von den Plänen der Attentäter vom 20. Juli wußten. Und selbst wenn sie sich nicht beteiligen wollten, so verriet doch keiner etwas.

Als den Alliierten im Juni 1944 die Landung in der Normandie und der Durchbruch an der Ostfront gelungen waren, meinten die Verschwörer ihren Plan nicht weiter hinausschieben zu können. Schon kurz nach dem Beginn des Rußlandfeldzuges hatte Stauffenberg die Probleme des Nachschubes an Soldaten vorgetragen. Hielte die Verlustrate an, würde man bis Ende 1941 noch 16.000 Offiziersreservisten benötigen, es standen aber nur 5.000 zur Verfügung. Ähnlich sahen die Zahlen bei den Mannschaften aus; es fehlten bei angenommenen gleichbleibenden Verlusten knapp 400.000 Mann, die Verlustrate stieg täglich weiter an. Nach dem Juni 1944 war die Lage noch um ein vielfaches dramatischer.

Carl-Hans Graf v. Hardenberg begründete seine Entscheidung, alle bisherigen Wertmaßstäbe zu verwerfen, mit seiner Pflicht, "die deutsche Jugend nicht weiter sinnlos sterben zu lassen und der Vernichtung an deutschen Städten und Kunstbauten Einhalt zu bieten. Was wiegt hiergegen die Frage, ob die wenigen Menschen, die zum Opfergang bereit waren, später Anerkennung fanden?" Hardenberg jedenfalls setzte nicht nur sein Leben aufs Spiel, sondern bezog eine seiner Töchter und seine Frau in die auf Schloß Neuhardenberg stattfindenden Versammlungen der Verschwörer mit ein. Vater und Tochter wurden dafür später ins Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht.

Der von Hitler beziehungsweise Goebbels verbreiteten Behauptung, daß die Verschwörer nur die Macht um ihrer selbst willen anstrebten, ist nicht zuzustimmen, doch ist nicht von der Hand zu weisen, daß ihr Weg nicht frei von Fehlern und Irrtümern war. Warum verweigerten sie nicht den Eid auf Hitler? Fast alle von ihnen hatten höhere Positionen im Dritten Reich inne. Nur wenige zogen sich wie Hardenberg nach der sogenannten Machtergreifung 1933 ins Privatleben zurück. Dann, nachdem die Abkehr vom deutschen Staatschef und Oberbefehlshaber vollzogen war, dieses Zögern. Ihr Gewissen blockierte sie lange. Bei vielen kam auch noch die Angst hinzu. Andere, wie Stauffenberg, hofften stets auf Besserung der Lage und Einsicht Hitlers. Heute beurteilt man diese Hoffnung als naiv, heute kennt man aber auch den Ausgang. Doch auch der Glaube an einen milden Frieden mit den Alliierten nach dem Staatsstreich erscheint heute naiv.

"Wie schwer das für unsere Freunde war", so erinnert sich die beteiligte Tochter Graf Hardenbergs, "kann man daran ermessen, wenn man sich klarmacht, daß sie sich für ein Unrecht entscheiden mußten: entweder mußte man den Mord auf sich nehmen, oder man mußte das Unrecht erdulden. Einen Mittelweg gab es nicht."

Der Besprechungsraum im Führerhauptquartier Wolfsschanze nach dem Bombenattentat: Was brachte die Täter so weit, daß sie neben dem Tod ihres Staatschefs und Oberkommandierenden auch jenen von Unschuldigen in dieser Stätte der Verwüstung billigend in Kauf nahmen? Foto: DHM


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