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17.07.04 / Zum Nachdenken gezwungen / Die Figuren des Literaten Tschechows sind bis heute in ihrer Gestaltung einzigartig

© Preußische Allgemeine Zeitung / 17. Juli 2004


Zum Nachdenken gezwungen
Die Figuren des Literaten Tschechows sind bis heute in ihrer Gestaltung einzigartig

Zum 100. Todestag des berühmten russischen Literaten Anton Tschechow sind zahlreiche Veröffentlichungen erschienen. Auch das Schweizer Monatsmagazin du hat dieses Jubiläum zum Anlaß genommen, eine ganze Ausgabe dem bis heute unerreich-ten Erzähler und Dramatiker zu widmen. Zahlreiche Artikel und Abbildungen behandeln Leben, Werk und Bedeutung Tschechows. Dieser wurde am 29. Januar 1860 im südrussischen Taganrog am Asowschen Meer als Kaufmannssohn geboren. Nach dem Abitur studierte er in Moskau Medizin. Da sein Vater in Konkurs gegangen und die Familie in Armut geraten war, begann er - zunächst unter dem Pseudonym Antoscha Tschechonte - humoristische Kurzgeschichten für verschiedene Witzblätter und Zeitungen zu schreiben, um sich sein Medizinstudium selbst zu verdienen. Nebenbei unterstützte er damit die verarmte Familie. Nach dem Studium ließ er sich als Arzt nieder. Während seiner Jahre als Mediziner erwarb er sich einen tiefen Einblick in die menschliche Natur und wurde zum überzeugten Atheisten.

1889 starb sein Bruder Nikolai an der Krankheit, an der Anton auch litt, der Tuberkulose, was eine Sinnkrise bei Anton auslöste und ihn veranlaßte, die sibirische Verbannungsinsel Sachalin zu besuchen, um die medizinischen Verhältnisse dort zu untersuchen. 1892 kaufte Tschechow das Gut Melichowo bei Moskau und begann sich mehr und mehr seiner schriftstellerischen Tätigkeit zu widmen. Hier entstanden die meisten seiner Komödien und Novellen. 1896 lernte er in St. Petersburg bei einer Aufführung seiner Komödie "Die Möwe" die Schauspielerin Olga Knipper kennen, die später seine Frau wurde. Zu Tschechows 44. Geburtstag wurden in Moskau die Stücke "Drei Schwestern" und "Der Kirschgarten" uraufgeführt. Zu diesem Zeitpunkt war Tschechow schon todkrank, weshalb er anschließend mit seiner Frau Olga nach Badenweiler fuhr, um sich auszukurieren. In Badenweiler starb er am 15. Juli 1904.

Tschechow verstand sich selbst nicht als Gesellschaftskritiker, obwohl seine Werke so aufgefaßt werden könnten. Er wollte einfach nur "lustige Stücke" schreiben.

Er ist ein humorvoller und ironischer Beobachter des menschlichen Lebens, bewegt sich zwischen kritischem Realismus und literarischem Impressionismus. Seine tragikomischen Erzählungen und Theaterstücken haben ihn zu einem der bedeutendsten Autoren der Weltliteratur gemacht. In seinen Erzählungen spielt der Zufall eine große Rolle, der die Figuren verunsichert. Sie stellen sich selbst in Frage, sind irritiert, geraten in Mißmut über diese Störung, argwöhnen, sind zum Nachdenken gezwungen. Doch auf die Irritation folgt als Reaktion kein Ausbruch, sondern Rückzug. Die Figuren werden mit ihrer stagnierenden Gesellschaft lediglich konfrontiert, ohne ihren eigenen Weg zu gehen. Tschechows Gestalten reden und empfinden aneinander vorbei. Sie überspielen die Leere ihres Daseins und wirken gerade deshalb komisch, weil sie so traurig sind. Tschechow stattet beispielsweise seine Liebesgeschichten mit radikal antiromantischen Pointen aus. Literarische Klischees werden verfremdet.

Tschechow karikiert in seinen Werken Szenen aus dem Provinzleben und den Hochmut der fortgeschrittenen Zivilisation auf eine feine, subtile Weise, ohne moralische Wertungen vorzunehmen.

Manuela Rosenthal-Kappi

"du746 - Anton Tschechow: Dramen des Alltags", Verlag Niggli, Sulgen 2004, broschiert, 98 Seiten, 12 Euro


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