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24.07.04 / Weit weg

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24.Juli 04


Weit weg von Buddha
Roman über die Fürstenwillkür im Tibet des 20. Jahrhunderts

Ich habe gelernt, daß die Erde das stabilste auf der Welt ist. Danach kommt gleich das königliche Recht des Fürsten, der sie regiert. Doch im ersten Jahr, in dem Fürst Maichi auf seinem Land Mohn anbaute, schwankte tatsächlich die Erde." Denn der Mohn machte den Fürsten zwar reich, doch brachte er auch Unfrieden nach Tibet.

In "Roter Mohn" erzählt der chinesische Autor Alai aus Sicht des jüngsten Sohnes des Fürsten Maichi, dem Idioten, wie sich seine mittelalterlich geprägte Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts radikal veränderte.

Der mit dem wichtigsten chinesischen Literaturpreis ausgezeichnete Autor, dessen kritischer Roman lange Zeit keinen Verleger fand, nimmt den Leser mit in das Reich der tibetischen Fürsten. Willkürherrschaft ist hier an der Tagesordnung. Die Diener werden wie Vieh gehalten und der Henker hat alle Hände voll zu tun, um das Volk gefügig zu machen. Bunte, bizarre Bilder vermittelt der Autor, voller Leben sind seine Figuren, und über allem der von den Chinesen eingeführte rote Mohn. Doch sind Alais Charaktere keineswegs nur böse. Fürst Maichi offenbart sich sogar als besonders vorausschauend, da er den ihn reich machenden Mohn nur alle zwei Jahre anbaut und Korn zur Nahrung in großen Speichern zurückhält. Eine weise Tat, die seine fürstlichen Nachbarn nicht berücksichtigen, so daß es dort zu Hungersnöten und danach zum Krieg mit Maichi kommt. Vor der Tür des Idioten, der in seiner Gestaltung ein wenig an den Grasschen Oskar Matzerath erinnert, stehen die Hungernden der Nachbarreiche, doch sie rebellieren nicht, sie blicken ihn aus todtraurigen Augen an und ziehen sich zum Sterben an den Fluß zurück.

Alai entwirft ein völlig unbekanntes Bild von Tibet. Zwar kommen auch hier budhistische Lamas vor, doch sind auch sie keineswegs so friedfertig wie vermutet. Sie ringen um die Gunst des Fürsten und versuchen in der keineswegs humanen Welt ihr Auskommen zu finden. Nur der Idiot läßt manchmal humane Sichtweisen erkennen, doch passen diese nicht in das Leben am Hofe des Fürsten. So ist der Sohn des Henkers nach Ansicht des Idioten ein vorzüglicher Dichter und Denker, doch da er eben als Sohn des Henkers geboren wurde, erlernt auch er das Handwerk des Tötens. Auch seiner Dienerin, die schon seit seinem 13. Lebensjahr zugleich seine Mätresse war, versucht der Idiot den Leibeigenenstatus nach ihrer Heirat zu erleichtern, doch letztendlich kann sich keiner seinem seit Jahrhunderten vorgezeichneten Weg entziehen. Bis, ... ja bis die Gegenwart auch das tibetische Hochland erreicht. Von da an ist nichts mehr stabil, das Fürstenreich zerfällt, besser jedoch ist danach nichts. Eindrucksvoll! R. Bellano

Alai: "Roter Mohn", Unionsverlag, Zürich 2004, geb., 445 Seiten, 22,90 Euro


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