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31.07.04 / Schon heute an das Übermorgen denken / Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt über Fehler und Chancen des stagnierenden "Aufbau Ost" / Teil III

© Preußische Allgemeine Zeitung / 31. Juli 2004


Schon heute an das Übermorgen denken
Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt über Fehler und Chancen des stagnierenden "Aufbau Ost" / Teil III

Die Länder sollten ihre Ausgaben für überregionale Infrastruktur dringend besser aufeinander abstimmen. So müssen der Kapazitätsausbau der Hochschulen über die Ländergrenzen hinweg stärker koordiniert und Infrastrukturen besser vernetzt werden. So ist der Planung von öffentlichen Investitionen zwingend eine Folgekostenrechnung und eine langfristige Bedarfsplanung zugrunde zu legen.

Der Bund hat für 2005 bis 2019 Solidarpaktmittel in Höhe von 156 Milliarden Euro zugesagt. Davon ist ein Drittel - der sogenannte "Korb 2" mit 51 Milliarden Euro - bis heute nicht präzisiert. Ungeklärt sind sowohl die inhaltliche Abgrenzung der hinzuzurechnenden Zuweisungen des Bundes an die Länder, als auch die jährliche Verteilung über die Laufzeit des Solidarpaktes bis 2019. Bis zum Beginn des Solidarpaktes II am 1. Januar 2005 sind es aber nur noch einige Monate.

Bis spätestens Ende 2004 muß der Bund einen verbindlichen Programmrahmen und die jährlichen Beträge für den "Korb 2" festlegen. Bund und Länder sollten gemeinsam einen Katalog der Förderziele und geeigneter Maßnahmen vereinbaren, die in einer Neuauflage des Investitionsförderungsgesetzes gesetzlich geregelt werden.

Falls die Föderalismuskommission die Mischfinanzierungen entflechtet, sind die aufbaubedingten Zuweisungen an die neuen Länder zusätzlich in den gesetzlich zu fixierenden "Korb 2" zu überführen.

Bund und alte Länder vollbringen mit den Milliardentransfers seit der Wiedervereinigung eine große solidarische Leistung. Die neuen Länder - einschließlich ihrer Gemeinden - haben daher auch die Pflicht, die Solidarpaktmittel für die vereinbarten Zwecke zu verwenden. Dabei handelt es sich um den Abbau des Infrastrukturdefizits als teilungsbedingte Sonderlast und um den Ausgleich der unterproportionalen kommunalen Finanzkraft. Die zweckgerechte Verwendung ist nach klar definierten Kriterien jährlich zu überprüfen, möglichst durch neutrale Sachverständige außerhalb der Politik.

Um eine sachgerechte Verwendung zu gewährleisten, ist - zumindest bei einem Teil der Mittel des "Korb 2" - ein erfolgsabhängiger Verteilungsmechanismus zu finden, der die Eigenverantwortung der Länder und ihrer Gemeinden sowie den Wettbewerb stärkt.

Aber die Solidarpaktmittel können nur dann für den Aufbau eingesetzt werden, wenn die ostdeutschen Länder bei ihren laufenden Ausgaben kürzen. Notwendig sind vor allem Einschnitte bei den Personalausgaben, die in den Länderhaushalten einen zentralen Kostenblock ausmachen. Hier ist ein Stellenabbau erforderlich, denn in den ostdeutschen Flächenländern lagen im Jahre 2002 die Pro-Kopf-Ausgaben für die aktiv Beschäftigten (1.003 Euro) um 10,8 Prozent über denen der alten Flächenländer (905 Euro) - trotz eines niedrigeren Besoldungsniveaus. Der Stellenabbau kann dann moderater ausfallen, wenn die Tarifangleichung zeitlich deutlich gestreckt wird. Dabei ist gleichzeitig eine größere Lohnspreizung erforderlich, um es auch dem öffentlichen Bereich in den neuen Ländern zu ermöglichen, hochqualifiziertes Personal zu halten und anzuwerben.

Die ostdeutschen Länder sind bislang auf Grund der Transferzahlungen finanziell besser ausgestattet als die westdeutschen Länder. Vielen Bürgern, aber auch Politikern in Ostdeutschland ist das nicht bewußt. Infolge dessen sehen viele diese Transferzahlungen als selbstverständlich und zeitlich unbefristet an. Tatsache ist jedoch, daß diese Trans-ferzahlungen deutlich zurückgehen werden: Die Solidarpaktmittel werden bis zum Jahre 2019 abgeschmolzen. Die Steuereinnahmen der ostdeutschen Länder und Kommunen werden vom Bevölkerungsrückgang ebenso negativ berührt, wie die Zuweisungen aus dem Finanzausgleich, die kopfbezogen sind. Deshalb müssen rasch Konzepte entwickelt werden, wie die öffentlichen Haushalte an die sinkenden Transferleistungen und geringere Einnahmen infolge der Bevölkerungsverluste angepaßt werden können. Alle öffentlichen Ausgaben müssen hierzu auf den Prüfstand gestellt werden. Da die Haushalte der Länder in hohem Maße von den Personalausgaben bestimmt werden, führt an einem Stellenabbau, Teilzeitregelungen und einer eigenständigen Tarifpolitik in Verbindung mit differenzierteren Lohnstrukturen kein Weg vorbei.

Im Falle der Renten sieht der Ei-nigungsvertrag vor, daß die ostdeutschen Länder dem Bund einen Teil der Rentenansprüche aus den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der ehemaligen DDR erstatten. Die Details regelt das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG). Diese Verpflichtung beruht allerdings auf einer völligen Fehleinschätzung des Ausmaßes der Verbindlichkeiten und insbesondere der nachfolgenden Auslegung der AAÜG-Tatbestände durch die Gerichte. Von 1991 bis 2003 stiegen die Ausgaben allein in Sachsen für beide Versorgungssysteme von rund 86 Millionen Euro auf rund 694 Millionen Euro, das heißt auf mehr als das Achtfache. Die neuen Länder insgesamt müssen bereits 25 Prozent der empfangenen Solidarpaktmittel für diese Sonderlasten aufwenden. Diese Mittel fehlen den neuen Ländern beim wichtigen Infrastrukturaufbau!

Hier hat der Bundeskanzler im Vermittlungsausschuß im Dezember 2003 zugesagt, die Erstattungen der ostdeutschen Länder für die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme ab 2005 zu begrenzen. Es wird vorgeschlagen, daß der Länderanteil auf 15 Prozent der jährlichen Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen (SoBEZ) beschränkt wird. Im Gegenzug verpflichten sich die neuen Länder zu höheren Investitionsausgaben sowie dazu, die Hälfte der "frei" werdenden Mittel ihren Kommunen für dringend nötige Investitionen und zur Finanzierung des Programms "Stadtumbau Ost" zu geben.

Mit dem Programm "Stadtumbau Ost" hat sich der Bund eines besonders drängenden Problems Ostdeutschlands angenommen. Wegen der schrumpfenden Bevölkerung wird der Städtebau in Ostdeutschland voraussichtlich für einen längeren Zeitraum besondere Herausforderungen zu bewältigen haben. Der großflächige Abriß von Wohnungsbeständen zur Reduzierung der Überkapazitäten ist dabei nur ein erster Schritt. Parallel muß künftig der Rückbau der technischen Infrastrukturen (vor allem Wasser/Abwasser) unterstützt werden.

Ein wichtiges Werkzeug zur Begleitung des Stadtumbaus ist die Altschuldenhilfeverordnung des Bundes. Sie entlastet die Wohnungsunternehmen von staatlichen Schulden, die sie vor der Wiedervereinigung für Gebäude aufnehmen mußten, die sie jetzt abreißen. Bis zum 31. Dezember 2003 konnten Entschuldungsanträge gestellt werden. Nach Ablauf der Frist steht nun allerdings fest, daß die vom Bund für seinen Finanzierungsanteil bereitgestellten Mittel nicht ausreichen werden, um allen fristgemäß gestellten Anträgen, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, auch entsprechen zu können.

Die Förderung im Rahmen des "Stadtumbaus Ost" muß fortgeführt werden. Der Bund sollte eine einmal begonnene Politik konsequent zu Ende führen und die für den Vollzug der Altschuldenhilfeverordnung notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. (Fortsetzung folgt)

 

Georg Milbradt wurde am 23. Februar 1945 in Eslohe/Sauerland geboren, aufgewachsen ist er in Dortmund, wo die Familie, die aus Wongrowitz in der Nähe von Posen stammt, nach Kriegswirren und Flucht schließlich landete. 1964 machte er in Dortmund sein Abitur. Im selben Jahr begann er ein Studium der Fächer Volkswirtschaft, Jura und Mathematik an der Universität Münster, welches er 1968 mit dem Diplom als Volkswirt und der Note "sehr gut" abschloß. 1973 promovierte er zum Dr. rer. pol. "summa cum laude". 1980 erhielt er die Lehrbefugnis für das Fach Volkswirtschaft. In den Jahren 1983 bis 1990 war er als Finanzdezernent der Stadt Münster tätig. Von November 1990 bis Februar 2001 war er sächsischer Staatsminister der Finanzen. 1973 wurde er Mitglied in der CDU, und 1991 wurde er in den Landesvorstand, im November 1999 zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der sächsischen Christdemokraten gewählt. Im September 2001 wurde er dann Landesvorsitzender der Sachsen-CDU. Seit dem 18. April 2002 hat Georg Milbradt das Amt des Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen inne.

 

Die Platte wird "platt gemacht": Im Rahmen des Projektes "Stadtumbau Ost" wird unter anderem überflüssiger Wohnraum bewußt vernichtet. Foto: pa


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