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31.07.04 / Hindenburg und die EU-Verfassung / Wie Weimars letzter Reichspräsident zum Schaden Deutschlands instrumentalisiert wird

© Preußische Allgemeine Zeitung / 31. Juli 2004


Hindenburg und die EU-Verfassung
Wie Weimars letzter Reichspräsident zum Schaden Deutschlands instrumentalisiert wird
von Manuel Ruoff

Wenn, wie unlängst erst wieder aus Anlaß des ünwürdigen Geschachers der Parteien um Johannes Raus Nachfolge als Bundespräsident, die Frage aufkommt, ob das Staatsoberhaupt nicht lieber vom Volke gewählt werden solle, kommt auf lang oder kurz das "Totschlagargument" Paul v. Hindenburg.

Entweder heißt es, daß ein vom Volke gewählter Bundespräsident analog zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik aufgrund seiner direkten demokratischen Legitimation ein mit viel Macht ausgestatteter Präsident sein müsse und der angebliche Mißbrauch dieser Macht durch Hindenburg maßgeblich zum Ende der ersten deutschen Demokratie beigetragen habe. Dabei wird übersehen, daß auch der Sozialdemokrat Friedrich Ebert sich als Reichspräsident des viel geschmähten Notstandsartikels 48 der Weimarer Verfassung bediente, dieser Artikel also so undemokratisch nicht gewesen sein kann.

Oder es wird argumentiert, daß das Volk mit der Wahl Hindenburgs seine Unfähigkeit zur Wahl eines geeigneten Präsidentschaftskandidaten bewiesen habe. Dabei wird dann gerne verschwiegen, daß Hindenburg bei seiner Wiederwahl 1932 der gemeinsame Kandidat von SPD, Zentrum und Bayerischer Volkspartei sowie Deutscher Staatspartei und Deutscher Volkspartei war und damit von jenen Parteien, die beziehungsweise deren Nachfolger seit 1949 die Wahl des Bundespräsidenten unter sich ausgemacht haben.

Hindenburg wird vor allem vorgeworfen, daß er Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt hat. In Demokratien ist es Usus, daß das Staatsoberhaupt den mit der Regierungsbildung beauftragt beziehungsweise - wie in der Bundesrepublik - dem Parlament zur Wahl vorschlägt, hinter dem die meisten Abgeordneten stehen. Am 30. Januar 1933 war das nun einmal Adolf Hitler.

Ferner wird Hindenburg vorgeworfen, daß er nach dem vermeintlich kommunistischen Brandanschlag auf den Reichstag vom 27. Februar 1933 der Umwandlung der Weimarer Republik in das Dritte Reich keinen Widerstand entgegengesetzt habe. Mit diesem Vorwurf sollten wir spätestens seit dem mutmaßlich islamistischen Anschlag auf das Welthandelszentrum vom 11. September 2001 vorsichtig sein. Menschenrechtsorganisationen konstatieren weltweit Einschränkungen der bürgerlichen Rechte und Freiheiten unter Hinweis auf den Terrorakt, und die US-Regierung hat den Angriff auf die New Yorker Zwillingstürme gar zum Anlaß für zwei Kriege genommen. So wissen wir inzwischen, daß selbst westliche Gesellschaften mit einer langen demokratischen Tradition ihrer Regierung sehr viel, gefährlich viel Spielraum gewähren, wenn sie der Überzeugung sind, daß ein bedrohlicher, gutorganisierter Feind ihres Landes und ihres Lebensstils einen erfolgreichen Anschlag auf eines ihrer Nationalsymbole verübt hat. Das rechtfertigt nicht das Versagen der Reichsorgane, die nach dem Reichstagsbrand der Machtkonzentration bei der Reichsregierung keinen oder zumindest nicht genügend Widerstand entgegensetzten, aber es relativiert deren Schuld. Zudem vollzog sich der Systemwechsel am Ende der Präsidentschaft Hindenburgs in hohem Maße den Gesetzen entsprechend, was in dem von den Nationalsozialisten verwendeten Begriff der "legalen Revolution" seinen Ausdruck findet. So war es denn auch primär der Geist der Weimarer Verfassung und weniger deren Text, dem die NS-Herrschaft widersprach.

Die ablehnende Haltung der politischen Klasse gegenüber einer Wahl des Präsidenten durch das Volk ist nicht allein mit Paul v. Hindenburg zu erklären. Vielmehr steht das politische Establishment jeder über Parlamentswahlen hinausgehenden Einflußnahme des Volkes auf die Bundespolitik distanziert gegenüber. Gerne suggerieren die etablierten Parteien den Eindruck, daß sie pluralistisch das demokratische Spektrum widerspiegeln und abdecken würden, aber in der Frage der Beteiligung des Volkes an bundespolitisch wichtigen Entscheidungen sieht sich der Wähler einer Einheitsfront gegenüber, aus der einzelne Parteien höchstens dann einmal populistisch ausscheren, wenn sie sicher sein können, daß es wirkungslos bleibt.

Wenn diese Bevormundung des Volkes dazu führt, daß die Politik der Bundesrepublik im Vergleich zu jener der Nachbarstaaten mit plebiszitären, direktdemokratischen Elementen wie Volksabstimmungen stärker von ausländischen und weniger von den Interessen des Staatsvolkes bestimmt wird, dann ist das in den Augen derer, die in Deutschland statt des Volkes entscheiden, nicht etwa eine bedauerliche Begleiterscheinung, sondern vielmehr Sinn und Zweck der sogenannten repräsentativen oder indirekten Form der Demokratie.

So heißt es in dem von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebenen Sammelband "Repräsentative oder plebiszitäre Demokratie - eine Alternative?" in einer Zusammenfassung des Beitrages des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Josef Klein, gegen mehr Plebiszite auf der Bundesebene spreche das stärkere außenpolitische Gewicht Deutschlands. Direktdemokratische Entscheidungen zur Außenpolitik böten weder den Menschen in anderen Staaten und nur sehr bedingt deren Medien die Chance, sich in den nationalen Meinungsbildungsprozeß einzubringen, auch wenn sie davon maßgeblich betroffen wären. Da immer mehr innenpolitische Entscheidungen außenpolitische Auswirkungen hätten, schränke dies die überzeugende Anwendung von Plebisziten auf nationaler Ebene maßgeblich ein.

Es besteht also ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der weitgehenden Entmündigung des Bundesbürgers und der Vernachlässigung seiner Interessen durch die bundesdeutsche Politik.

Häufig wird seitens der etablierten Parteien der Verzicht auf Volksbefragungen mit dem Hinweis auf das Grundgesetz begründet. Dabei verstießen beziehungsweise verstoßen noch heute sie selber gegen den Geist des Grundgesetzes, wenn sie der "für eine Übergangszeit" bestimmten Bonner Ordnung per Grundgesetzänderung ihren provisorischen Charakter nahmen und dem deutschen Volke das grundgesetzlich verbriefte Recht vorenthalten "in freier Entscheidung" über seine Verfassung und die Art und den Grad seiner Mitbestimmung zu beschließen. Wenn die politischen Entscheidungsträger jedoch nicht einmal vor einer Mißachtung des Geistes des Grundgesetzes zurückschrecken, um den Status quo zu wahren, besteht kaum Hoffnung, daß sie - beispielsweise in der EU-Verfassungsfrage - freiwillig und ohne Not eine Mitbestimmung des Volkes und damit eine stärkere Berücksichtigung deutscher Interessen zulassen werden.


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