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07.08.04 / Und rot blüht der Mohn über allem / Der offizielle Afghanistankrieg ist schon lange vorbei, doch

© Preußische Allgemeine Zeitung / 7. August 2004


Und rot blüht der Mohn über allem
Der offizielle Afghanistankrieg ist schon lange vorbei, doch von Frieden kann noch keine Rede sein
von Wolfgang Börnsen

Die Tötung von zwei UN-Wahlhelferinnen und einem Kind, aber ganz besonders der brutale Mord an elf chinesischen Bauarbeitern hat Afghanistan für einen Augenblick wieder in den Blickfang der Weltöffentlichkeit geführt. Unklar ist immer noch - trotz einiger Verhaftungen -, wer den Terroranschlag im Arbeitscamp bei Jelax Giro verübt hat. Eindeutig jedoch ist, daß der Ort des Massakers an den schlafenden Chinesen nur 46 Kilometer von Kundus entfernt liegt, der Stadt, in der die Bundeswehr ihr erstes Provinzwiederaufbereitungsteam stationiert hat. Mehr als 200 deutsche Soldaten leisten hier ihren Dienst, korrekt, umsichtig, verantwortungsbewußt.

Kundus umfaßt eine Region, die offiziell als relativ sicher gilt. In dieser Provinz, größer als Hessen und Bayern, leben mehr als drei Millionen Menschen. Hier sollen vorerst 250, später bis zu 450 Bundeswehrangehörige für den Neuaufbau des Landes Beispiele setzen durch Befriedung. Eine schwarz-rot-goldene Nadel in einem riesenhaften Heuhaufen.

Der Bundestag hat diesem Einsatz mit großer Mehrheit zugestimmt. Im September wird das Parlament über eine Fortsetzung entscheiden. Kenner vor Ort bestätigen: Kundus ist eine Krisenregion. Taliban-Kämpfer, kriminelle Banden und Privatarmeen der hier herrschenden Drogenbarone verschärfen ebenso die Risikolage wie die Milizionäre des ehemaligen Ministerpräsidenten Hekmatyar, der vehement die Zentralregierung in Kabul bekämpft.

Der kaltblütige Chinesenmord, so teilte der Parlamentarische Staatssekretär Walter Kolbow jetzt im Verteidigungsausschuß mit, gehe vermutlich auf das Konto dieser Karzai-Bekämpfer. Auch wenn das folgenreiche Attentat auf die Bauarbeiter indirekt die Autorität des amtierenden Ministerpräsidenten amputieren soll, bestätigt der Überfall auch die extreme Gefährdung unserer Soldaten. Ich halte es für fragwürdig, falsch und fahrlässig, sie weiterhin hier zu stationieren. Bedingt durch die anstehenden Präsidentschaftswahlen werden Anschläge zunehmen. Entsprechende Ankündigungen der Taliban sind auch der Bundeswehrführung bekannt. Abzug, bevor ein neues Unglück geschieht, ist das Gebot der Stunde.

Mehr als 100 Soldaten der Verbündeten sind in den vergangenen drei Jahren in Kabul im Hauptstadteinsatz getötet beziehungsweise schwer verletzt worden. Auch Landsleute von uns gehören zu den beklagenswerten Opfern. Es darf nicht weiter im Hindukusch gestorben werden.

Die Bundesregierung, eingebunden in Verträge und internationale Abkommen, lehnt einen Abzug ab. Sie steht wie 34 andere Staaten im afghanischen Befriedungsfeldzug zu ihren Bündnisverpflichtungen gegenüber den Vereinten Nationen und der Nato.

Besonders betont sie den Schulterschluß mit den Amerikanern. Seit dem 11. September 2001 machen die USA hier Jagd auf Reste der Taliban-Truppen und Al Qaida. Insgesamt 11.000 Soldaten sind an der Operation Enduring Freedom beteiligt, 9.000 von ihnen kommen aus Amerika, die weiteren aus 26 anderen Ländern. Die Bundesrepublik ist an dieser Koalition nicht beteiligt, sie stellt mit 34 weiteren Staaten die Streitmacht der Isaf in Afghanistan. Rund 6.500 Soldaten gehören zu dieser "International Security Assistance Force".

Die jährlichen Kosten allein für Deutschlands Isaf-Kontingent belaufen sich auf 306 Millionen Euro. Für Bundeskanzler Gerhard Schröder rechtfertigen die internationalen UN-Vereinbarungen zu Afghanistan diesen Betrag. Das gilt auch für die weiteren 288 Millionen Dollar, die als Finanzhilfen von Deutschland vorerst bis 2006 gezahlt werden.

Mit weiteren 80 Millionen Euro jährlich ist seit 2002 die bilaterale Entwicklungshilfe ausgewiesen. Diese Summe soll vorerst bis 2008 zur Verfügung gestellt werden. Multilaterale Zuwendungen über die Weltbank und andere Fonds ergänzen dieses breit angelegte Finanzierungskonzept. Da Afghanistan Schwerpunktland der Entwicklungszusammenarbeit geworden ist, werden Programme und Projekte für andere Sorgenstaaten reduziert. Hier im Kampf gegen den Terrorismus an der Seite der Amerikaner zu stehen, ist politischer Wille von Regierung und Parlament.

Gleichzeitig entlasten die Soldaten der Bundeswehr US-Streitkräfte, die im Irak benötigt werden. Auch wird das gestörte Vertrauensverhältnis zur amerikanischen Regierung durch die Arbeitsteilung allmählich wieder verbessert, so Vertreter der SPD/Grünen-Koalition. Mit anderen Worten: Die Nichtbeteiligung Deutschlands am Irakkrieg wird durch den Bundeswehreinsatz in Afghanistan kompensiert, die Soldaten erhalten, zugespitzt formuliert, eine Alibifunktion. Die Beweggründe der Bundesregierung für dieses Vorgehen werden mit außen- und sicherheitspolitischer Verantwortung begründet, dem internationalen Terrorismus aktiv gemeinsam mit anderen Staaten die Stirn zu bieten. Wer Afghanistan befriedet - so die Formel - trocknet damit eine Keimzelle dieser Menschheitsgeißel aus.

Fromme Wünsche. Fachkenner vor Ort kennzeichnen die Lage als äußerst unübersichtlich, labil, unsicher und krisenhaft. Sie verkennen nicht, daß in der Hauptstadt Kabul selbst eine erste Stabilisierung eingetreten ist, die neue Verfassung Hoffnung verspricht und durch die ständigen US-Angriffe sich die Zahl der Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer auf etwa 1.000 verringert hat. Abgesehen davon sind gut zwei Millionen Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurück-gekehrt, weil neben einem Mehr an Sicherheit durch Soldaten auch die Hilfsprogramme neue Perspektiven bieten. Doch die große Sorge der Experten gilt dem zunehmenden Einfluß der regionalen Kriegsfürsten, die über fast 100.000 bewaffnete Kämpfer verfügen.

Die "Warlords" sind nicht bereit, ihre Unabhängigkeit an die Zentralregierung in Kabul abzugeben. Diese eigenwilligen Potentaten haben seit mehr als 20 Jahren am Dauerkriegszustand in ihrem geschundenen Land eine erhebliche Mitverantwortung.

Das Pro-Kopf-Einkommen Afghanistans beträgt heute rund 200 Euro jährlich. Wenn Armut, Hunger und Elend einen Namen tragen sollten, dann den von Afghanistan.

Für die nächsten zehn Jahre benötigt dieser Staat nach Angaben seiner Regierung rund 27 Milliarden Euro. Die Geberländer haben aber nur sieben Milliarden in Aussicht gestellt. Wer soll für die fehlenden 20 Milliarden Euro aufkommen? Sarkastisch verweisen Kenner des Landes auf den Drogenanbau. Hier werden 3.400 Tonnen Opium, drei Viertel der Weltproduktion, illegal angebaut. Über 80 Prozent des verheerenden Heroinkonsums in Europa stammen aus Afghanistan.

Kundus, das die Bundeswehr befrieden soll, ist eine der Hochburgen des Opiumanbaus. Gut 30 Prozent der Bevölkerung sehen darin ihre Existenzgrundlage. Da es, wie der zuständige kanadische Isaf- Kommandeur erklärte, nicht Aufgabe der Nato sei, Mohnfelder niederzubrennen, ist die paradoxe Situation entstanden, daß durch den Schutz Tausender alliierter Soldaten der Anbau, Handel und Schmuggel mit Drogen besser blüht als je zuvor. Welch ein Widersinn!

In unserem eigenen Land finanzieren wir für rund 400.000 Abhängige kostenaufwendige Entzugsmaßnahmen, und gleichzeitig sorgen die Sicherheitsmaßnahmen deutscher Soldaten in Kundus für mehr Opiumanbau. Wer um die Not und das Elend von Drogenabhängigen weiß, muß diesen Zustand als Skandal empfinden. Die Engländer, die ihre regionale Wiederaufbauarbeit durch ein Drogenbekämpfungsprogramm optimieren wollten, haben bei dieser Lage kapituliert.

Zu einer Verringerung des Schlafmohnanbaus ist es auch nicht gekommen, als die UN 2002 den Versuch unternahmen, die Verarbeitung der Mohnsamen zu Heroin durch Aufkaufen der Mohnernte bei den Bauern zu verhindern. Das Gegenteil ist eingetreten. Die Bauern fühlten sich ermutigt, 2003 noch mehr Mohn anzubauen. Nach Angaben des UN-Büros für Drogen und Verbrechen hat der Mohnanbau auf 28 der 32 afghanischen Provinzen übergegriffen. Im Jahr 2001 waren es noch 14 Provinzen. Experten schätzen das Einkommen für die Erzeuger 2003 auf gut eine Milliarde Dollar.

Fehlgeschlagen sind auch alle Versuche, andere Feldfrüchte als Alternative durchzusetzen. Der Mohn bringt mit Abstand die höchsten Beträge. Afghanische Behörden haben trotzdem ein Anti-Drogen-Programm für 300.000 Dollar für drei Jahre aufgelegt.

Für Militäroperationen werden in diesem Land dagegen allein zehn Milliarden Dollar jährlich ausgegeben. 25 Milliarden Dollar wären erforderlich, um eine alternative Landwirtschaft zu finanzieren. Solange das Geld fehlt, bleibt die Abhängigkeit vom Opiumanbau bestehen. Ganz im Sinne der "Warlords" und auch der Terroristen, die ihre Kämpfer und Waffen durch Drogengelder finanzieren.

Die Zentralregierung zeigt sich weitgehend machtlos in diesem Klima der anhaltenden Gesetzlosigkeit.

Diese risikoreichen Rahmenbedingungen engen auch die aufopferungsvollen Aktivitäten der über 100 zivilen Organisationen (NGO) ein, die sich am Wiederaufbau des Landes wie an humanitären Maßnahmen beteiligten. Sie beklagen zudem die oft mangelnde Kooperation und Koordinierung der verschiedensten Maßnahmen. Über 50 Staaten sind hier tätig, die UN, die Nato mit ihren 6.500 Soldaten aus 34 Staaten nationale Entwicklungsbeauftragte und schließlich auch noch die afghanische Übergangsbehörde (ATA), die von Hamid Karzai geführte international anerkannte Regierung. Dazu sind als besonderer Machtfaktor die Regionalfürsten zu rechnen, für die die von außen eingesetzte, nicht von ihnen gewählte Regierung in Kabul keine Autorität darzustellen scheint. Auch die Berliner Afghanistankonferenz hat trotz intensiver Bemühungen der Bundesregierung keine Struktur in dieses geordnete Chaos von Zuständigkeiten bringen können.

Sicher, es ist durch militärische Gewalt gelungen, dem internationalen Terror, der aus Afghanistan kam, weitgehend zu zerschlagen. Auch hat sich die provisorische Zentralregierung mit Hilfe der ausländischen Streitkräfte im Amt halten können. Und die anstehenden Präsidentenwahlen wie die zum Parlament weisen einen richtigen Weg. Doch um die Lage in diesem Land auch für die Soldaten sicherer zu machen, müßte man nach einem Bericht des Henry-L.-Stimson-Center die Anzahl der Truppen außerhalb Kabuls auf rund 18.000 verdreifachen. Dafür fehlt es an Geld. Und so bleibt es bei halbherzigen Entscheidungen. Auch die Nato-Konferenz in der Türkei hat nichts daran geändert. Im Gegenteil: Das reduzierte Engagement verschärft die Krise. Auch gibt es keine klare Rechtslage für die Drogenbekämpfung und Beschneidung der Macht der Regionalfürsten. Zudem sind die Verbündeten sich nicht einig in ihrem Vorgehen - trotz der Einrichtung einer Lenkungsgruppe für den Wiederaufbau (ARSG) unter Leitung der USA, Japans und Saudi-Arabiens.

Unabhängig davon dürfen wir in unserem Land nicht der Frage nach den deutschen Interessen in Afghanistan ausweichen. Das gilt besonders für die Bundesregierung und alle Fraktionen im Bundestag. Es fehlt seit Jahren an einer Grundsatzdebatte zu diesem Sachverhalt. Auch die Opposition trägt an diesem Versäumnis eine Mitverantwortung.

Welche nationalen Überlegungen rechtfertigen es, daß Regierung und Parlament Soldaten der Bundeswehr zumuten, ihr Leben in einem fremden Land zu wagen, zu verlieren, zu opfern? Kann dem Terrorismus nur so und nicht anders begegnet werden?

Mehr als 7.700 deutsche Soldaten sind derzeit auf drei Kontinenten im Auslandseinsatz. Fast zwei Milliarden Euro jährlich kostet dieser Anti-Terror- und Friedenseinsatz nach Aussage von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Doch die Zweifel im Parlament - von der FDP über die Union bis hin zu einigen Bündnisgrünen - nehmen zu, ob diese Einsätze außerhalb Deutschlands, außerhalb der Nato in Form, Umfang und Dauer tatsächlich gerechtfertigt sind.

Für Afghanistan sind die Zweifel angebracht. Frankreich hat sich gegen eine Beteiligung an den regionalen Wiederaufbauteams entschieden, Portugal ist ganz ausgestiegen. In der Güterabwägung zwischen Landesbefriedung und Soldatensicherheit haben sie sich für ihre Landsleute entschieden.

 

Wolfgang Börnsen ist Mitglied des rund 300 Abgeordnete umfassenden Nato-Parlamentes. Auf der Frühjahrstagung dieses Jahres in Bratislava (Slowakei) war die Entwicklung in Afghanistan eines der Schwerpunktthemen. Der Flensburger CDU-Abgeordnete gehört zu den wenigen Parlamentariern, die im Bundestag gegen einen Bundeswehreinsatz in Afghanistan gestimmt haben.


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